6563336-1949_21_04.jpg
Digital In Arbeit

Das Bonner Grundgesetz

Werbung
Werbung
Werbung

Das christliche Gewissen der Welt muß sich erheben, um die rücksichtslosen und skrupellosen Experimente mit einem Volk zu verhindern, das keine Mittel besitzt, sein Menschenrecht zu verteidigen, weil es sich bedingungslos den großen christlichen Mächten des Westen ergeben hat.

,„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Hamburg. .., um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“

Schon diese Präambel zeigt im Vergleich Zum Selbstvertrauen des Vorspruchs zur Weimarer Verfassung die Wandlung, die sich als Folge der umwälzenden Ereignisse der letzten drei Jahrzehnte vollzogen hat. E ist ein Unterschied, kaum minder tiefgreifend als der einst vielbetonte zwischen jenem Vorspruch und der Eingangsformel der Reichsverfassung von 1871, die das neue Reich als einen „ewigen Bund" zwischen den deutschen Fürsten kennzeichnete. Gewiß enthält das nun in Bonn nach mehr als achtmonatigen Beratungen beschlossene Grundgesetz nicht nur viele wertvolle Bestandteile und Gedanken au früheren deutschen Verfassungsversuchen und Verfassungen, von den Grundrechten der Paulskirche bi zur Weimarer Verfassung. Es folgt auch in der Gliederung der Hauptabschnitte dem Vorbild der „Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919" — mit dem bezeichnenden Unterschied freilich, daß der ganze zweite, die Grundrechte umfassende Hauptteil der Weimarer Verfassung im Bonner Grundgesetzt gekürzt und gestrafft an die Spitze des eigentlichen Gesetzestextes gestellt ist, der daher jetzt mit der lapidaren Feststellung begannt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Aber auch sonst zeigen die 146 Artikel von Bonn gegenüber den 181 Artikeln von Weimar überall das Streben nach Klarheit und Kürze. Die Lehren der jüngsten Vergangenheit fanden ihren Niederschlag in den Bestimmungen zum Schutz von Freiheit und Menschenrecht, Verfassung und Demokratie auch gegenüber „legal“ vorgehenden Feinden — in den „Nie-wieder- Hitler-Klauseln“, wie englische Blätter diese Bestimmungen nannten —, sowie in dem Fehlen einer Entsprechung zu dem berühmten Artikel 48 der Weimarer Verfassung, der es dem Reichspräsidenten gestattete, im Notfall ohne Reichstag zu regieren. Auch der Satz in Artikel 21, wonach die Parteien öffentliche Rechenschaft über die Herkunft ihrer Mittel geben müssen, ist in diesem Zusammenhang wichtig. Artikel 26: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht unternommen werden, da friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen“, sowie die Bestimmung, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf (Art. 4) spiegeln die traurigen Erfahrungen mit einem übersteigerten Militarismus wider. Die Schwierigkeiten des radikalen Neubaues auf dem durch Niederlage und Nachkrieg eingeebneten Boden offenbaren die „Übergangs- und Schlußbestimmungen" (Art. 116—146) — so etwa besonders Artikel 116, der als „Deutsche im Sinne dieses Grundgesetzes" sowohl die bisherigen deutschen Staatsbürger, wie die „Flüchtlinge und Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit", zugleich aber auch die ihre Wiedereinbürgerung beantragenden Emigranten anerkennt.

Die größte Schwierigkeit verursachte naturgemäß die Abgrenzung der Kompe tenzen zwischen Bund und Ländern, die Frage, ob das neue Staatswesen nach zentralistischen oder federalist i- sehen Prinzipien aufgebaut werden sollte. Das Ergebnis war ein Kompromiß in einer vielfach an die österreichische Verfassung erinnernden Weise. Auf der einen Seite ist der B u n des c h a r a k t er stark betont, die Mitwirkung der Länder auch an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes selbst durch einen Bundesrat gewährleistet und auch das Recht der Gemeinde auf Selbstverwaltung festgelegt (Art. 28). Auf allen Gebieten der umfassenden „konkurrierenden", das heißt sowohl vom Bund wie von den Ländern beanspruchten Gesetzgebung haben die Länder weitgehende Gesetzgebungsbefugnisse, doch nur „solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht“ (Art. 72). Das starke, durch die Abtrennungen in Ost und West noch verstärkte Einheitsverlangen findet seinen Ausdruck in allen diesen Bestimmungen, über denen der Grundsatz des kürzesten Artikels dieses VerfassungsWerkes steht — des Artikels 31, der, in Anlehnung an einen Satz in Artikel 13 der Weimarer Verfassung, lakonisch lautet: „Bundesrecht bricht Lande s r e c h t.“ Auf der anderen Seite aber ist auch die Übertragung von Hoheitsrechten des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen zur Herbeiführung einer „fried- • liehen und dauerhaften Ordnung in Europa"(Art. 24) vorgesehen. Bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang Art. 25: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Es sind dies Bestimmungen, die dem Bonner Verfassungswerk nicht nur in der deutschen, sondern auch in der ausländischen Presse bereits den Ehrennamen der „modernsten Verfassung“ eingetragen haben.

Der Geburtsfehler der Weimarer Verfassung als Kind der Niederlage von 1918 haftet wohl auch diesem im Gefolge des totalen Zusammenbruchs von 1945 erstandenen Grundgesetz von Haus aus an und die Schwierigkeiten bei seiner Entstehung, die sich vor allem in dem wiederholten Eingreifen der drei westlichen Militärgouverneure zeigten, haben diesen Schönheitsfehler noch besonders hervortreten lassen. Schon ertönen daher auch kritische Stimmen und — nicht nur von kommunistischer Seite — manches entschiedene „Nein zu Bonn“, vor allem aus den Reihen der jüngeren Generation. Eine deutsche Wochenschrift spricht von einem „Gesetz für souveräne Geister“ im Hinblick auf die SchwierigkeiteB, den Bestimmungen des Grundgesetzes sowohl gegenüber den doch noch immer übergeordneten alliierten Stellen wie gegenüber den föderalistischen Strömungen, vor allem in Bayern, zu wirklichem staatlichem Leben zu verhelfen. Auf der anderen Seite aber haben wohl die vierjährigen trüben Erfahrungen des eben überwundenen verfassungslosen Zustandes dazu beigetragen, den neuen Versuch im Bewußtsein des deutschen Volkes als das erscheinen zu lassen, was er wirklich ist: als eine, wenn auch zunächst noch schmale Grundlage für den Bau einer besseren Zukunft.

Von der Präambel bis zum letzten Artikel („Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist“) waren die Schöpfer des Grundgesetzes bemüht, den Charakter des Provisorischen zu unterstreichen. Der Gedanke drängt sich auf, ob nicht gerade wegen dieser Selbstbeschränkung den Bestimmungen des Bonner Grundgesetzes eine längere Dauer und Wirksamkeit be- schieden sein mag als mancher einst stolz für die Ewigkeit beschlossenen Verfassung.

Dr. A. Wandruszka

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung