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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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GESPRÄCHE ÜBER DIE KOALITION finden statt. Mit Vollmachten versehene Vertreter beider Regierungsparteien sind zusammengetreten, um, wie es unverbindlich hieß, in der letzten Zeit aufgetauchte Unstimmigkeiten zu beseitigen und „Mißverständnisse“ zu klären. Zur Stunde ist noch nicht abzusehen, ob allein die üblichen Themen, wie verstaatlichte Betriebe, Fragen der Wirtschaft, etwas Kulturpolitik und das so oft kritisierte Vorpreschen der zweiten Regierungspartei, auf der Tagesordnung stehen oder ob auch größere Entscheidungen gefällt werden. Die seit Monaten immer wieder kursierenden Gerüchte über eine Kabinettsumbildung haben jedenfalls in der letzten Woche neue Nahrung bekommen. Was immer Gegenstand dieser Aussprachen ist, auf eines darf nicht vergessen werden: gegenseitiges Mißtrauen und kleinlicher Parteiegoismus bleiben hübsch draußen vor der Tür! Was not tut, sind offene Worte von Mann zu Mann, von Mensch zu Mensch. Die Gelegenheit ist günstig, jenen Illoyalitäten ein Ende zu bereiten, die wohl als die schwerste Hypothek der Arbeitsgemeinschaft auf der Regierungsbank gelten können. Meinungsverschiedenheiten müssen ausgetragen werden. Das ist gut und billig. Aber von diesem Streit der Geister, von dem Ringen der Weltanschauungen, von dem ernsten Abwägen von Argumenten und Gegenargumenten ist ja gar nicht die Rede. Die kleinen Nadelstiche sind es, die lärmenden Kampagnen, die oft unqualifizierten persönlichen Angriffe und. Verdächtigungen. Und wo die Gegenwart nicht ausreicht, muß die Vergangenheit her. Eine geringe Vorsicht in der Wahl der Adverbien und eine übermäßige Lautstärke tun das übrige hinzu. Aus politischen Gegnern werden „Feinde"., . Schon einmal wurde an dieser Stelle die Forderung nach einer Konvention erhoben, die zur Austragung politischer Meinungsverschiedenheiten nur das Florett als zulässige Waffe anerkennt und den Prügel ächtet. Jetzt, da die Vertreter der beiden Regierungsparteien zu einem grundsätzlichen Gespräch zusammengetreten, sind, sei sie noch einmal und mit Nachdruck wiederholt.

DIE VERWALTUNGSREFORM wurde nun durch ein Wort des Bundeskanzler s offiziell in die erste Reihe der kommenden Staatsaufgaben gestellt und hat damit im Arbeitsprogramm des heurigen Jahres den Platz erhalten, der ihr seit langem gebührt. Der Ruf nach Vereinfachung und Rationalisierung der Verwaltung des österreichischen Staates ist beinahe so alt wie dieser selbst. Auch die Staatslenker der ersten Republik haben sich schon eingehend mit diesem Problem zu befassen gehabt. Es ist mit ihr ins Grab gesunken. Das wiedererstandene Österreich ringt Jahr für Jahr um die Aufbringung der Lasten für- den hypertrophischen Apparat, den es zur Realisierung wirklicher und vermeintlicher Staatszwecke auf gebaut hat. Die Tätigkeit der Ersparungskommissäre, auf deren Schultern die Bürde zwischenweilig gewälzt wurde, ist ressortbegrenzt und kann sich auch nur im Rahmen der geltenden Organisationsformen und Gesetze entfalten. Nun gilt es, die notwendigen Staatsaufgaben von den potentiellen zu sondern, den Geschäftsgang zu vereinfachen, Kompetenzen zu lösen oder zweckmäßig zu vereinigen — kurz, ein Werk des Neuaufbaues nach rationellen und modernen Erfordernissen zu schaffen, das der bewährten altösterreichischen Verwaltungspraxis und ihrer Erkenntnisse würdig ist. Man darf hoffen, daß hier bereits stille Vorarbeit geleistet wurde, die über das Stadium des Optativen hinausgeht. Die Staatsleitung, die politischen Parteien, die Verwaltungsfachleute stehen vor einer Bewährungsprobe, von deren Ausgang das Schicksal der österreichischen Staatswirtschaft weitgehend bestimmt werden wird. Und es liegt auf der Hand, daß Staats--und Volkswirtschaft ein unteilbares Ganzes bilden. Sie können nur gemeinsam krank oder gemeinsam gesund sein.

DIE RATIFIZIERUNG DES SCHUMANPLANES durch den Bonner Bundestag bringt den Gedanken der europäischen Zusammenarbeit um ein gutes Stück seiner Realisierung näher. Da auch die französische und die holländische Volksvertretung diesem Konzept ihre Zustimmung erteilt haben, sind jetzt drei wesentliche Partner der europäischen Festlandsgemeinschaft jener Organisation beigetreten, die auf dem Boden der Wirtschaft, und von da weiter ausgreifend, die Einzelinteressen den Gemeinsamkeiten erst ein-, dann unterordnen will. Der Kampf zwischen der wirtschaftsmächtigen deutschen und der französischen Schwerindustrie hat die Beziehung der beiden großen Nachbarstaaten durch Jahrzehnte beunruhigt und allzu oft getrübt. Ursprünglich lag Deutschland, auf die drei großen Positionen: Ruhrgebiet, Saarland und lothringische Erzgewinnung gestützt, eindeutig in der Führung. Der erste Weltkrieg brachte die lothringischen Minettegruben in französische Hand. Das Saarland, durch 15 Jahre französischer Verwaltung unterstellt, fiel 1935 an das Deutsche Reich zurück. Die Waage neigte sich wieder nach Osten. Nach dem zweiten Weltkrieg ging das Saargebiet wirtschaftspolitisch wieder Deutschland verloren und trat in den französischen Einflußkreis. Der Kampf drohte neuerlich aufzuflammen — einsichtige Männer auf beiden Seiten haben dies nun verhindert. Der Grundgedanke des Schuman- Planes, die wichtigsten Partner in der wirtschaftlich maßgebenden, festländischen Grundstofferzeugung'auf einer gemeinsamen, höheren Ebene zu einigen, ruinösen wechselseitigen Unterbietungen am Weltmarkt vorzubeugen, eine gesamtverbindliche Produk- tions- und Arbeitsplanung zu schaffen, hat sich nach langwierigen Auseinandersetzungen bei den Hauptteilhabern durchgesetzt. Es erweist sich, daß sich das europäische Festland selbst helfen kann, wenn es dies ernstlich will, daß seine Einigung von der gewiß sehr wünschenswerten Mitwirkung Großbritanniens nicht unbedingt abhängig ist und daß konstruktive Ergebnisse leichter auf dem Boden der Realität als im staats- und völkerrechtlichen Dschungelkrieg zu erzielen sindt

STÄRKSTES AUFSEHEN, weit über Deutschland hinaus, erregten die Ostbesuche des Altreichskanzlers Wirth in Berlin und Pastors Niemöller in Moskau. Die Presse gab von diesen Visiten folgendes Bild. Kamera, von links (ganz links): Reichskanzler a. D. Wirth entlarvt in Ostberlin das Kriegsgeschrei Adenauers und seiner Hintermänner, Kirchenpräsident Niemöller ist tief beeindruckt von der neuen Welt der UdSSR. — Kamera von links, Mitte, halbrechts, rechts: Wirth sucht auf gänzlich ungeeignete Weise sein politisches Revirement, der alte Herr läßt sich düpieren von den gerissenen Marionettenpolitikern und Regisseuren der DDR; Niemöller krönt die Extravaganzen und politischen Bodenseeritte seiner letzten Jahre mit dieser Tour de Moscou, die elnę Brüskierung der gesamten leidenden und verfolgten Christenheit, darüber hinaus der freien humanitären Welt darstellt. — Blenden wir in dieses Weißschwarzbild noch zwei Blickpunkte ein, Die konservative „Bayerische Staatszeitung“ wies kürzlich nicht ohne Nachdruck auf die Voraussicht hin, die Reichskanzler Wirth 1922 in bezug auf die innenpolitische Gefährdung Deutschlands bewies, der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dr. Dlbelius von Berlin, hat in einer öffentlichen Erklärung Niemöller verteidigt, unter dem Hinweis, daß er selbst anderer politischer Meinung sei als jener; gerade deshalb fühle er sich jetzt verpflichtet, Niemöller zu verteidigen gegen die von allen Seiten auf ihn einstürmenden Diffamierungen. Stellen wir diesen beiden Meldungen noch zwei Tatsachen an die Seite: seit Jahr und Tag gibt es wieder offene und öffentliche Gespräche zwischen Ost und West in Deutschland, wenn auch zumeist nur auf begrenztestem Raum, wie etwa die Wirtschaftsverhandlungen zwischen DDR und der Bundesrepublik; dazu kam im Vorjahr die Begegnung auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin, und vor kurzem, im Herbst, die Vorsprache der Verantwortlichen für den im kommenden August ebenfalls in Berlin stattfindenden Katholikentag bei den politischen Repräsentanten Ostdeutschlands. — Xlle diese Begebenheiten sollten zu einer behutsameren Beurteilung der Ostgespräche Wirths und Niemöllers die Möglichkeit öffnen. Mit einer vorschnellen Diffamierung ist nichts getan. Diese Erwägung mindert nicht die begreifliche Sorge uni ihre Aktion, sondern erhöht sie eher: Westdeutschland und Europa haben das Recht und die Pflicht, auf der Hut zu sein vor kommunistischen Infiltrationen, mögen sie nun auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem oder religiösem Sektor vorgetragen werden. Immer noch gibt es allzu viele, die die schwere Last der Freiheit, die verantwortet sein will in jeder Stunde, gegen das momentan süße Joch, zumindest gegen die Narkose der Totalitären einzutauschen gewillt sind. Wer aber nun wirklich sachlich gewillt ist, diese Wege nach Moskau unter die Lupe zu nehmen, der darf bei diesem ersten Schritt nicht stehenbleiben. Der muß sich die Frage stellen, ob nicht — so wir wahrhaft den Frieden lieben — der Westen auch die Pflicht besitzt, seine Vitalität und seinen Lebenswillen zu bezeugen in immer neuen, und mögen sie tausendmal scheitern, sorglichen Versuchen, der fremden, feindlichen, „anderen“ Wett des Ostens zu begegnen.

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