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Bonn und der Sperrvertrag

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Der Atomsperrvertrag wird in der Bundesrepublik noch zu lebhaften Auseinandersetzungen führen. Die Große Koalition ist sich in dieser Frage noch nicht einig. Bei der SPD ist man seit langem dafür, zu unter schreiben. Hier herrscht der Gedanke vor, wenn dies nicht geschähe, geriete die Bundesrepublik in eine weltpolitische Isolierung, die nicht tragbar sei. Anderseits verspricht man sich bei der SPD durch baldige Unterzeichnung eine Verbesserung der Atmosphäre zugunsten der Bundesrepublik, wie sie u. a. auch die Bonner Ostpolitik anstrebt. Aus diesem Grunde möchte man bei der SPD, daß lieber heute als morgen unterschrieben wird.

Zwei Klassen

Anders das Bild bei der Union. Die CSU lehnt den Vertrag in Bausch und Bogen ab. Gewöhnlich gut unterrichtete Kreise wollen wissen, daß sogar mit dem Rücktritt von Kabinettsmitgliedern zu rechnen wäre, wenn es zur Unterschrift kommen sollte. Aber auch bei der CDU gibt es Gruppen, die noch entschiedenen Widerstand leisten. Wie stark sie am Ende sein werden, ist allerdings nicht vorherzusehen. Ihre Einwände beziehen sich vor allem darauf, daß der Vertrag zwei Klassen, „Besitzende“ und „Habenichtse“, schafft, daß die „Habenichtse“ der politischen Erpressung durch Nuklearmächte ausgesetzt sein können, und daß die Nuklearmächte ebenfalls der Kontrolle unterworfen werden müßten. Audi die Möglichkeit, daß einer eventuellen kollektiven europäischen Verteidigung mit Einschluß der Bundesrepublik der Zugang zu Atomwaffen offengehalten werden sollte, wirkt mit

Bundeskanzler Kiesinger hat seinen Standpunkt öffentlich noch nicht bekanntgegeben. Auch er kann nicht ohne weiteres an dem Argument vorbei, daß sich die Bundesrepublik nicht in die Isolierung begeben dürfe. Aber es fragt sich, ob die Gefahr schon nahe und groß ist. Wahrscheinlich wird diese Frage von Kiesinger verneint. Ohne daß sich die Bundesregierung zu bemühen braucht, melden sich in Genf zahlreiche Länder zu Wort, die gegen die bisherigen Entwürfe erhebliche Bedenken anmelden. Sie sind die Nächsten dazu, die durch Washington und Moskau zur Beteiligung an dem Vertrag bewogen werden müßten. Bis sie soweit sind, könnte sich die Bundesrepublik getrost in Stillschweigen hüllen, sich auf den Balkon setzen, um abzuwarten, wieviele Kastanien die anderen noch aus dem Feuer holen, und könnte sich dann, je nach Lage, entscheiden, ob sie dem Vertrag beitritt oder nicht.

Solches Verhalten wird der Bundesregierung von mehreren Stellen angeraten, namentlich von denen, die den Beitritt zu dem Vertrag überhaupt ablehnen. Sie erklären das Ganze rundweg für eine Farce, weil Frankreich und Rotchina ohnehin draußen bleiben, und wehren sich gegen den Gedanken, die Bundes republik für 25 Jahre festzulegen. Auf der anderen Seite ist die Bundesrepublik ständigem und erheblichem Druck ausgesetzt, dem sie, zumindest vorderhand, glaubt entsprechen zu müssen, wenn auch so zaghaft und vorsichtig, wie dies möglich ist.

Dieser Druck kommt von zwei Seiten: aus Moskau und Washington. Die Sowjets beschimpfen die Bundesregierung nach allen Regeln ihrer rauhen Kunst, sie giere nach dem Besitz von Atomwaffen, um ihren „Revanchismus“ eines Tages grausige

Wirklichkeit werden zu lassen. Außerdem hat der Kreml den Amerikanern erklärt, die wichtigste Unterschrift unter den Vertrag sei für ihn die der Bundesrepublik, ohne sie sei der Vertrag nicht viel, wenn über haupt etwas wert. Niemand glaubt das, schon gar nicht in dieser zugespitzten Form. Aber die Öffnung nach Osten, die von der Großen Koalition betrieben wird, erlitte objektiv einen Rückschlag, wenn Bonn dem Sperrvertrag fembliebe. Moskau hätte dann einen guten Vorwand, bei allen Fühlungnahmen mit der Bundes regierung ein frostiges Gesicht zu zeigen, wenn nicht sich ganz abweisend zu verhalten. Deshalb tut der sowjetische Druck in Bonn, so gern die Bundesregierung über ihn hinwegsehen würde, seine Wirkung.

Der Druck aus den USA ist direkter und effektiver. Die Amerikaner stellen der Bundesregierung vor, daß deren Nein zum Sperrvertrag nicht nur die Stellung Bonns schwer belasten, sondern auch der amerikanischen Politik in unzumutbarer Weise in die Quere kommen würde. Das aber, so betonen sie mit ernsten Gebärden, könne nicht die Absicht der verbündeten Bundesrepublik sein, das könne sie sich auch nicht leisten. Hart, wie sie sein könnten, haben die Amerikaner darüber hinaus bei der EWG in Brüssel mit der Einstellung der Lieferung von Kernbrennstoff an diejenigen Staaten gedroht, die sich dem Vertrag nicht anschließen. Sie haben Veröffentlichungen über ihre Intervention zwar dementiert, aber richtig bleibt: Sie haben auf zupak- kende, genaue Fragen nicht geantwortet, sie würden dann nicht mehr liefern, aber sie haben auch nicht gesagt, daß sie trotzdem liefern würden. Diese Zusage war von ihnen nicht zu erreichen. Wer Diplomatensprache versteht, weiß, was dies bedeutet, und deshalb ist Bonn alarmiert.

Durch ihre soeben in Genf übergebene Note hat sich die Bundesregierung erst einmal Luft verschafft. Die Note erklärt die grundsätzliche Bereitschaft, meldet aber Vorbehalte an. Mit diesem Papier in der Hand kann Willy Brandt vor den SPD-Parteitag treten und das Drängen seiner Partei auf Unterschrift beschwichtigen. Der Bundesregierung aber kann weder von Washington noch von Moskau schlechter Wille nachgesagt werden. Sie könnte immer für sich beanspruchen, daß der Vertrag nicht an ihr gescheitert sei. Wenn andere Länder ihn zu Fall bringen, wird dann mancher in Bonn erleichtert aufatmen.

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