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Die Zweistaatentheorie

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Seit langem schon steht die sowjetische (marxistisch-leninistische) und damit auch die Staatsund Völkerrechtslehre der DDR, repräsentiert durch maßgebende Autoren wie Poeggel und Arzinger-’ auf dem Standpunkt, daß es zwei deutsche Staaten gebe, nämlich die BRD und die DDR, allenfalls auch noch einen dritten, nämlich das Land Berlin (alle Sektoren zusammengenommen). Bisher stand dem die DDR-Verfassung von 1949 entgegen, deren Artikel 1 lautete „Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf… Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit“. Mit „Deutschland“ waren das Gebiet der BRD (in dem jeweiligen Umfang, also später auch einschließlich des Saarlandes), Berlins und der DDR gemeint, also nicht das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 (mit Ostdeutschland, aber ohne Danzig), wie dies bis zu einem künftigen Friedensvertrag mit und über Deutschland die Auffassung der Bonner Regierung und letztlich auch die theoretische Grundlage des Bonner Grundgesetzes ist. Mit der Beseitigung der einen und einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit durch das neue DDR-Staatsbürgerschaftsgesetz vom 20. Februar 1967’ war die Fiktion von dem einen deutschen Staat, die in der DDR auch sonst noch da und dort aus Nützlichkeitsgründen aufrechtgeblieben war, beseitigt worden, so daß heute nur noch in der westlichen, insbesondere in der bundesdeutschen Staats- und Völkerrechtslehre diese Einheitlichkeit (mit dem Alleinvertretungsanspruch der BRD für ganz „Deutschland“, sogenannte Hallstein- Doktrin) aufrechterhalten ist, eine These, in welche von bundesdeutschen Linkskreisen aber auch schon deutliche Breschen geschlagen werden.

Obwohl die neue Verfassung der DDR, die nur eine logische Weiterentwicklung der Grundsätze des neuen DDR-Staatsbürgerrechts ist, von der DDR als einem sozialistischen Staat „deutscher Nation“ spricht (Art. 1) und die phrasenhafte Präambel sich auf eine „Verantwortung, der ganzen deutschen

Nation den Weg in eine Zukunft des Friedens und des Sozialismus zu weisen“ bezieht, stellt die neue Verfassung im wesentlichen doch eine Absage an den Begriff einer deutschen Nation dar, wobei auch nicht etwa das Staatsvolk der DDR als

„Nation“ angesprochen ist. Wo , vom Staatsvolk der DDR die Rede ist, gebraucht die Verfassung das Wort „Volk“ („das werktätige Volk“, „Volkskammer“, Souveränität des „Volkes“, Wohl des „Volkes“ usw.). Das Wort „Volk“ gewinnt damit einen zum Bonner Grundgesetz genau entgegengesetzten Begriffsinhalt. Im Bonner Grundgesetz wird von „Nation“ überhaupt nicht gesprochen, wohl aber an vielen Stellen vom „Deutschen Volk“, unter welchem das deutsche Volk im Sinne der Staatsangehörigkeit nach der Rechtslage und Gebietshoheit vom 31. Dezember 1937 zu verstehen ist (ausgenommen Art. 116 GG, welcher auf den ethnischen Volksbegriff abstellt und auch die volksdeutschen Heimatvertriebenen mit Wohnsitz im Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande von 1937 mit unter den Begriff „Deutscher“ rechnet). Die DDR-Verfassung hält offenbar nur aus propagandistischen Gründen daran fest, daß es eine über ihre Grenzen «-hinausjįeichende deutsche Nation im ethnisch-politischen Sinne gibt, ’hat aber im übrigen sich auf einen Staatsvolk-Begriff zurückgezogen. Innerhalb dieser Schranken freilich ist die neue Verfassung extrem nationalistisch ausgebildet, wobei sonst in der Welt überholte Souveränitätsauffassungen überborden.

Dies kommt nicht zuletzt in der endgültigen Beseitigung der historischen Länder oder sonstiger Selbstverwaltungsgebiete zum Ausdruck und in dem auf die Leitsätze des VII. Parteitages der SED zurückgehenden Artikel 47 der Verfassung, wonach der demokratische Zentralismus die Grundlage des Staatsaufbaues und der Souveränität des werktätigen Volkes ist7. Auch die horizontale, ja selbst die vertikale Gewaltentrennung wird endgültig aufgegeben. Darüber kann auch die Einrichtung örtlicher Volksvertretungen nicht hinwegtäuschen.

Gesicherte Menschenrechte und Grundfreiheiten?

Die SED-Lehre unterstreicht, daß im Weltjahr der Menschenrechte 1968 durch die neue Verfassung endlich all das verwirklicht werde, was die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von 1948 bezweckte, wobei Grundrechte und Grundpflichten einander korrespondieren8. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. So gab es bisher theoretisch ein Auswanderungsrecht, wie es auch in Art. 13 (2) der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte enthalten und späterhin in UNO-Resolutionen noch ausgebaut worden ist. Die DDR-Verfassung kennt nur noch das Recht der Freizügigkeit innerhalb der DDR (Art. 11 des Bonner GG sagt dasselbe), die bisher in der alten DDR-Verfassung in Art. 10 (3) festgelegte Auswanderungsfreiheit ist gefallen. Auf einem FD J-Forum in Berlin (Ost) wurde dazu erklärt, es sei jeder Grund für die Gestattung der Auswanderung weggefallen, da das Ziel des Auswanderungsrechtes, nämlich die Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung, in der DDR selbst gesichert sei.

Ähnlich steht es mit dem Asylrecht. Mit Ausnahme Jugoslawiens ist bisher kein einziger kommunistischer Staat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 beigetreten, die einen Anspruch politischer Flüchtlinge auf Asylgewährung in gewissen Fällen gibt. Die Staaten freiheitlicher Demokratie kennen im übrigen das Asylrecht freilich nur als Recht eines Staates, politischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren, nicht auch ein Recht des Flüchtlings selbst, Asyl zu erlangen. Österreich hat seit kurzem durch ein Durchführungsge setz zur Genfer Konvention Ansätze zu einem subjektiven Asylrecht geschaffen und damit selbst die Schweiz überflügelt. Die neue DDR-Verfassung macht hingegen das Asylrecht zur Farce. In Art. 23 (3) heißt es nämlich: „Die Deutsche Demokratische Republik kann Bürgern anderer Staaten oder Staatenlosen Asyl gewähren, wenn sie wegen politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Tätigkeit zur Verteidigung des Friedens, der Demokratie, der Interessen des werktätigen Volkes oder wegen ihrer Teilnahme am sozialen und nationalen Befreiungskampf verfolgt werden.“ Das ist wörtlich dieselbe Formulierung wie jene des Asylrechtes in den anderen kommunistischen Staaten, Jugoslawien nicht ausgenommen, jedoch durch das Wort „kann“ weiter abgeschwächt.

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