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Voraussetzung: Gewaltverzicht

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Es sollte nun bis zum Februar 1968 dauern, ehe dieses Pendant zur EKD-Denkschrift veröffentlicht wurde. Es nennt sich „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen“, greift aber über diese Fragen weit hinaus und gipfelt in einer Empfehlung an die deutsche Bundesregierung, alle Akte der Vertreibung Deutscher beziehungsweise Volksdeutscher vom Jahre 1945 und später zu legalisieren, die Oder-Neiße-Grenze schon jetzt endgültig anzuerkennen und das Vertriebenenministerium aufzuheben (also wohl auch die Ver- triebenenverbände aufzulösen), wie auch verlangt wird, daß die Vertrie- benenseelsorge durch die Bischöfe aufgelassen werden möge. Besonders nachhaltig wendet sich das Bensberger Memorandum gegen das „Heimatrecht“.

Offenbar waren keine Völkerrechtler am Werk, sonst hätte man gewußt, daß man unter „Heimatrecht“ das Indigenat im alten österreichischen Sinne (ital. pertinenza) ver steht. Gemeint ist vielmehr der Begriff des „Rechtes auf die Heimat“, ein völkerrechtlicher Begriff, der erst in den letzten zehn Jahren klare Formen angenommen hat. Soweit das Bensberger Memorandum ein Recht auf die Heimat bejaht, wird es als ein solches der polnischen Neusiedler in Ostdeutschland — übrigens durchaus zu Recht — herausgestellt, hingegen als ein Recht der Vertriebenen auf Rückkehr in die alte Heimat verneint. Die Heimatvertriebenen sollten aus dem Geist dier Versöhnung heraus und um den Polen das Gefühl der Sicherheit vor neuerlichen Gebietsveränderungen zu geben, auf die alte Heimat und das dort konfiszierte Vermögen verzichten und damit „einen Beitrag zu einer übernationalen Friedensordnung“ leisten. Dasselbe habe für die Sudetendeutschen und anderen Volksdeutschen zu gelten.

Das Bensberger Memorandum hat im wesentlichen drei Verfasser:

1. Dr. Eugen Kogon, Professor für Politologie in Frankfurt, 2. Walter

Dierks („Frankfurter Hefte“), ein namhafter Publizist, und 3. E.-W. Böckenförde, Politologe und Jurist, Professor in Heidelberg.

Das Memorandum geht von dem Grundgedanken der Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk aus, die einen deutschen Gewaltverzicht voraussetze. Kaum irgendwer, dem es um den Frieden in Zwischeneuropa geht, wird hier widersprechen. Was das Memorandum aber als Gewaltverzicht impliziert, ist völkerrechtlich bedenklich. Die Forderung, die BRD solle jetzt endgültig auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße verzichten, also diese gemäß dem Potsdamer Memorandum vom 2. August 1945 erst später zu treffende Grenzentscheidung schon jetzt fällen, und zwar durch völkerrechtliche Anerkennung einer faktischen Demarkationslinie, und die weitere Forderung, die BRD solle die Vertreibung aus diesen Gebieten sowie jene der Sudetendeutschen, Danziger usw.

ein für allemal anerkennen, ziielit auf den sogenannten Vorverzicht ab. Dieser erst mache die Bundesrepublik Deutschland ihren östlichen Nachbarn gegenüber glaubwürdig und zum Partner einer Versöhnung.

Und um noch glaubwürdiger zu werden, solle das Bundesministerium für Kriegsgeschädigte, Vertriebene und Flüchtlinge aufgelöst werden, sollten sich die Vertriebenen wohl nicht mehr vereinsmäßig zusammenschließen dürfen, solle es keine eigene Seelsorgie für siie mehr geben, da sie ja schon ganz integriert seien. Diese These ist an sich nicht neu. Sie geht aber an einer wichtigen Tatsache vorbei, nämlich, daß es auch eine DDR gibt, die ungleich nationalistischer ist als die BRD. Falls es eine deutsche Nation im ethnopolitischen Sinn gibt — was wir im Gegensatz zum Bensberger Kreis entschieden bestreiten möchten, wollen wir nicht einen deutschen Nationalismus erneut aufsteigen sehen —, wird kein bundesdeutscher Vorverzicht die DDR davon abhalten, zu gegebenem Zeitpunkt von solchen Vorverzichten abzurücken, trotz derzeitiger dortiger Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der Vertreibung.

Der Friede in Ostmitteleuropa ist nur dann auf Dauer zu sichern, wenn er von den völkerrechtlichen Gegebenheiten ausgeht. Für Österreich war das die Tatsache der Hit- lerschen Okkupation und damit die Integrität der österreichischen Grenzen vom 31. Dezember 1937, ein Faktum, um das es bei den jugoslawischen Gebietsansprüchen gegen Österreich von 1945 bis 1948, ja noch bis fast 1955, ging. Und dazu gehört auch das völkerrechtliche Verbot des Genocid und der Vertreibung aus der Heimat, die Österreich (drastisch dargetan am Fall der Slowenenaussiedlung von 1941 42) in seinem Kriegsverbrechergesetz in § 5a unter Todesstrafe stellte. Obwohl die Slowenenverfolgung nach dem sogenannten Anschluß im wesentlichen von deutschnationalen Österreichern praktiziert worden ist, wäre jede „Sühne“ durch Gebietsabtretung Utopie und letztlich Hoch- verirait gewesen.

Das Bensberger Memorandum bezeichnet das Völkerrecht als politisch nicht existent. Das mag rechte- positivistisch zutreffen. Vom katholischen Naturrecht her kommt es aber weder auf Affektivität noch Utilitarismus an.

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