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Das Moskauer Memorandum

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Schon von dieser allgemeinen Voraussetzung der verkannten und daher vertanen praktischen Schlußfolgerungen her ergab sich die politische Unvermeidlichkeit der Neutralität bereits einige Jahre vor ihrer juristischen Festlegung. Wenn es daher in einem Beitrag zu dem kürzlich vom Bundesministerium für Unterricht herausgegebenen Handbuch für geistige Landesverteidigung (Seite 86) heißt, „unser Status (nämlich der der Neutralität) ist eine Funktion unserer geographischen Lage und ergibt sich folgerichtig aus ihr. Er ist uns nicht aufoktroyiert, sondern ist uns adäquat...“, dann ist dies eben nur Rebus sie stantibus oder, deutlicher gesagt. Rebus male gestis richtig, das heißt, die Neutralität war die schließlich unerbittlich gewordene Konsequenz, nicht der geographischen, sondern der politischen Lage Österreichs, in die es schließlich geschlittert war, und diesem Land also am 15. April 1955 ebenso adäquat wie der Konkurs dem Bankrotteur nach verfehlter Geschäftsgebarung. An diesem Tag wurde sie im Moskauer Memorandum gewissermaßen nur noch in verpflichtender Form zu Protokoll genommen. Dieses Ist dann bezeichnenderweise nicht mit dem gleichzeitigen Kommunique, sondern erst am 15. Mai 1955 nach Unterzeichnung des Staatsvertrages veröffentlicht worden. Dieses Zögern mußte schon damals jeden sachlichen Beobachter der Dinge stutzig machen. Das Forschen nach seinem Motiv ist seither durch die in offiziellen Ansprachen und Darlegungen wie der eben zitierten und sogar in wissenschaftlichen Arbeiten immer wieder hervorgehobene Freiwilligkeit besagter Neutralität sehr erleichtert worden. Daß diese Betonung zudem mit einer in wesentlichen Punkten konsequent unrichtigen Auslegung beziehungsweise Wiedergabe des Moskauer Memorandums einhergeht, macht sie schon von vornherein fragwürdig.

Um mit einem Beispiel wissenschaftlicher Darstellung zu beginnen: Der bekannte Professor für Völkerrecht, Dr. Alfred Verdross, verfocht in der „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ (Verlag W. Kohlhammer, Band 19, Nummer 1—3, August 1958) die These, das Moskauer Memorandum sei nur eine politische Abmachung zwischen der Sowjetregierung und der österreichischen Regierungsdelegation; ein Vertrag läge nur vor, wenn er seinem Inhalt nach zwischenstaatliche Rechte und Pflichten begründen wolle. Dies sei aber beim Moskauer Memorandum nicht der Fall, denn die österreichische Regierungsdelegation habe keine Verpflichtung über die österreichische Neutralität eingehen können, wozu auf Grund des Artikels 58 der Bundesverfassung nur der Bundespräsident mit Zustimmung des Nationalrates befugt sei. „Dazu kommt“, schreibt Verdross wörtlich, „daß der Wortlaut des Moskauer Memorandums nicht der Republik Österreich Pflichten auferlegt, sondern nur die Mitglieder der österreichischen Regierungsdelegation verpflichtet, für die Herbeiführung bestimmter Maßnahmen Sorge zu tragen“ usw. (vergl. Christian Morgenstern: „Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf“). Bundeskanzler Dr. Klaus hat das Problem in seinem Vortrag vor der

Akademie der Wissenschaften in Moskau am 16. März 1967 so formuliert: „Im Moskauer Memorandum verpflichteten sich, noch nicht die Republik Österreich, aber die vier der österreichischen Regierung angehörenden Herren..., nach ihrer Rückkehr nach Österreich dafür einzutreten, daß Regierung und Parlament im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeiten eine Erklärung in einer Form abgeben werden, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.“ Er sprach dann des weiteren über den „freien Willensentscheid des österreichischen Parlaments“ sowie davon, daß „heute niemand behaupten kann, die österreichische Neutralität sei dem österreichischen Volk aufgezwungen worden, der Parlamentsbeschluß sei vielmehr (wie im Art. I [1] des Gesetzes allerdings steht) „aus freien Stücken“ erfolgt. Hier werden zusätzlich zu den weiter unten vorzubringenden Einwänden gegen solche wissenschaftlichen und politischen Auffassungen und Wiedergaben fatale Analogien und Reminiszenzen aus der Zeit von 1938 bis 1945 wach: Was war da nicht alles, vom Anschluß angefangen, „freiwillig“?

Die Tatsachen sind vielleicht unbequem, aber einfacher. So wird im Moskauer Memorandum schlicht gesagt: „... wurde ein Übereinkommen darüber erzielt, daß der österreichische Bundeskanzler, Herr Ingenieur Julius Raab, Vizekanzler Herr Dr. Adolf Schärf, Außenminister Herr Dr. Ing. Leopold Figl und Staatssekretär Herr Dr. Bruno Kreisky — unter Berücksichtigung der von den Mitgliedern der Sowjetregierung, dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR und Minister für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, W. M. Molotow, und dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR, A. I. Mikojan, abgegebenen Erklärungen — im Zusammenhang mit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages für die Annahme folgender Beschlüsse und Maßnahmen durch die österreichische Bundesregierung Sorge tragen werden:

1. Im Geiste der von Österreich bereits auf der Konferenz in Berlin im Jahre 1954 abgegebenen Erklärung ... wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich die internationale Verpflichtung auferlegt, sich ständig an eine solche Neutralität zu halten, wie sie die Schweiz wahrt.“

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