6616775-1955_36_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Ressentiments des zweiten Konsuls

Werbung
Werbung
Werbung

Nur wenige hundert Schritte sind es von dem Hauptquartier der Sozialistischen Partei Oesterreichs in der Löwelstraße hinüber zum Kanzleramt am Ballhausplatz. Dr. Adolf Schärf mag diesen Weg bereits ungezählte Male gegangen sein. Hinüber und herüber. Zugegeben: es ist nicht leicht in diesen wenigen Minuten aus der Rolle des Parteichefs in die des Vizekanzlers hinüberzuwechseln. Es wäre auch bestimmt nicht realistisch, eine solche reine „Scheidung der Geister“ im politischen Alltag überhaupt für restlos durchführbar zü halten. Dennoch schiene es uns ein Gebot politischer Fairneß, daß ein Mann, der seit über zehn Jahren den zweiten Platz auf der Regierungsbank einnimmt, sich bei der Niederschrift seiner politischen Erinnerungen und Eindrücke eines anderen Tones bedient und höhere Intentionen hat als irgendein händelsüchtiger Parteiapologet. Doktor Adolf Schärf hat diese unsichtbare Grenze ignoriert. Das Ergebnis ist das vorliegende, wenig noble Buch.

Dabei ist das Beginnen durchaus lobenswert. Wir haben schon vor Jahren — beim Erscheinen von Schärfs beiden kleinen Bändchen „Wien, April 1945“ und „Zwischen Demokratie und Volksdemokratie“, in denen nicht uninteressante Details aus den ersten Wochen und Monaten der zweiten österreichischen Republik enthalten sind, begrüßt, daß ein Regierungsmitglied zur Feder greift. Nun, die Schreibweise des Autors hat sich seither merklich verändert. Sie ist rechthaberischer und quenglerischer geworden; keine Gelegenheit wird versäumt, um Männer, mit denen man jahrelang nicht nur politisch zusammenarbeitet, sondern auch gesellschaftlich verkehrt, in der Oeffentlichkeit entweder als unsichere Kantonisten oder politische Schwachmatiker darzustellen. (Eine besondere Pikanterie bedeutet es ohne Zweifel, daß Dr. Schärf einigen dieser solcherart „demaskierten“ Politikern aus dem anderen Lager das vorliegende Buch mit einer herzlichen Widmung versehen zum Präsent gemacht hat.) Das Lob der Sozialistischen Partei als einzigen verläßlichen Garanten der österreichischen Demokratie wird — natürlich — aus vollem Halse gesungen, das Licht der eigenen Person nicht gerade unter den Scheffel gestellt. (Das bekommt posthum selbst Dr. Renner zu hören, wenn der Autor für sich allein den Ruhm begehrt, den mit schwerwiegenden Konsequenzen verbundenen Erdölvorschlag der Russen anno 1945 durch seine Bedenken verhindert zu haben.)

Einer der originellsten Gedanken des vorliegenden Buches ist zweifellos die gleich im Vorwort gezogene historische Parallele zwischen der Regierungskoalition in Oesterreich und dem altrömischen Konsulat. Aehnlich, wie dort zwei Konsuln nicht nur auf das Wohl des Staates bedacht waren, sondern sich auch gegenseitig auf die Finger blickten, so schalten und walten in Oesterreich eben Volkspartei und Sozialisten. Gerade in diesem Blatt wurde und wird der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien mehr als einmal das Wort geredet, dennoch scheint es uns nicht anzugehen, „die Koalition“ sozusagen „staatstheoretisch“ zu untermauern und jedes Abgehen von ihr — auch in fernerer Zukunft — als einen Verrat an der Demokratie darzustellen. Zur Demokratie gehört nun einmal das Wechselspiel von Regierung und Opposition. Die „große Koalition“ war und ist ein Gebot staatspolitischer Vernunft, es ist aber gefährlich, sie mit der österreichischen Demokratie chlechthin gleichzusetzen.

Ein ganz anderes Kapitel, aber durchaus kein erfreuliches, sind die Ausfälle gegen den Katholizismus, mit denen in dem Buch nicht gegeizt wird. Gleich daneben ist als ebenfalls bemerkenswert eine Animosität gegenüber dem gegenwärtigen Regierungschef und seinem außenpolitischen Kurs unverkennbar. Nicht ohne Schadenfreude stellt Dr. Schärf — nachdem er schon die Konferenz Gruber-Menon als „Neutralitätsepisode“ gebrandmarkt hat — zu dem Scheitern der Berliner Konferenz 1954 fest: „Der Ausgang der Verhandlungen war für die Volkspartei undftjr Ing. Raab persönlich eine schwere Enttäuschung. War r doch jener Politiker, der seit 1945 in gewissen Zeitabständen immer wieder glaubte, daß er besonderes Entgegenkommen bei den Russen erzielen k ö n n t e...“ (S. 349). Hier ist die Feder aber gründlich ausgerutscht. Das Buch war noch kaum ausgeliefert, da bestieg der Autor gemeinsam mit „jenem Politiker, der seit 1945 immer wieder glaubte...“ eine russische Sondermaschine, die sie beide nach Moskau flog. Wenige Wochen später war der Staatsvertrag eine Tatsache. Und demnächst wird die so geringschätzig abgetane „Neutralität“ auch mit der Stimme Dr. Schärfs in die österreichische Verfassung Eingang finden.

Nun, die Zukunft, auch die nahe Zukunft ist selbst für einen Historie schreibenden Politiker in Dunkel gehüllt. Nicht aber die Vergangenheit. So bedarf jene Stelle, an der Schärf schreibt, „am 12. März 1938, am Abend vor dem Einmarsch der deutschen Armee in Oesterreich“ (S. 18), einer Korrektur. Der Autor begeht hier einen gerne gemachten landläufigen Fehler. Der 13. März 1938, der Tag der Anschlußproklamation Hitlers in Wien, wird mitunter mit dem Tag der nationalsozialistischen Machtergreifung verwechselt. Die Demission des Kabinetts Schuschnigg erfolgte bekanntlich Freitag, den 11. März 1938, abends. In der Nacht vom Freitag zum Samstag rückte die deutsche Wehrmacht in Oesterreich ein.

Nach diesem großen politischen und kleinen historischen Lapsus noch ein Fingerzeig auf eine positive Seite des vorliegenden Buches, das, wäre es nicht in einer politischen Saison erschienen, in der weit größeres zur Debatte stand, nicht ohne politische Reaktion geblieben wäre: es ist dies eine Veröffentlichung von bisher unbekannten politischen Dokumenten, Schriftsätzen und Entwürfen der provisorischen Regierung Renner. An ihnen wird der Historiker nicht vorübergehen. Der Redakteur der „Furche“ notiert ferner gerne, daß Dr. Schärf die entscheidende Stellungnahme der „Furche“ in der Frage der Volkswahl des Bundespräsidenten gegenüber der zunächst ablehnenden Stellungnahme der SPOe und opportunistischen Strömungen innerhalb der Volkspartei anerkennt.

Adam Wandruszka hat in seiner Kritik in „Wort und Wahrheit“ das vorliegende Buch als typisches Produkt jener Mentalität, die sich „Klassenkampf auf der Regierungsbank“ nennt, bezeichnet. Wir möchten dieses Urteil etwas modifizieren. „Klassenkampf“: ein großes Wort, von den Sozialisten unserer Tage gelassen ausgesprochen. Käme es nieht wirklich der Wahrheit näher, heute oft von einem „Klassenzank“ zu sprechen? Und dafür ist dieses Buch tatsächlich typisch: zänkisch, affektgeladen, voll von schlecht unterdrückten Ressentiments.

Dr. Schärf erinnert, wie gesagt, eingangs an altrömische Vorbilder. Wir glauben nicht, daß dieser „Verkehrston“ im Zwiegespräch der römischen Konsuln üblich war.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung