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Wie Renner und Körner?

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Der dritte Präsident der zweiten österreichischen Republik heißt Dr. Adolf Schärf. In einem spannenden Wettlauf Kopf an Kopf, zu dem sich bald die Auszählung der Stimmzettel verwandelte, rückte der von der Sozialistischen Partei vorgeschlagene Kandidat für das höchste Amt im Staate sehr bald seinem Gegner, Universitätsprofessor Denk, nahe. Schließlich gab es keinen Zweifel m6hr darüber, wer als Nachfolger von Dr. Renner und General Körner in die Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg einziehen wird. Kurz vor 22 Uhr war alles entschieden: 2,259.975 (51,1 Prozent) aller Oesterreicher hatten sich für Dr. Schärf als neuen Bundespräsidenten entschieden, 2,160.551 (48,9 Prozent) verschafften seinem Gegenkandidaten einen höchst ehrenvollen Abgang von der politischen Bühne.

Einen Bundespräsidenten „wie Renner und Körner” zu wählen, empfahlen die Propagandisten Dr. Schärfs. Es war ihr bester Satz. Die Mehrheit des österreichischen Volkes hat ihm Rechnung getragen. Wie Renner und Körner … Mit diesen beiden Namen verbindet sich viel: die beiden große alte Männer de österreichischen Sozialismus… der harte Weg eines kleinen Volkes von der Befreiung zur Freiheit. .. das innenpolitische Gleichgewicht. Ja, dieses nicht zuletzt. Er korrigierte schließlich alle politischen Additionen, die einen anderen Wahlausgang verheißen hatten. Im Schatten von Renner und Körner wird also Dr. Schärf demnächst sein hohes Amt als Bundespräsident aufnehmen. Als sein Vorgänger dasselbe nach einem weit heftigeren Wahlkampf antrat, stand ihm ein nicht unbeträchtlicher Teil des österreichischen Volkes höflich, aber abwartend gegenüber. Der Bundespräsident Körner ist über den Politiker Körner weit hinausgewachsen. Das haben wir alle erlebt. Die abwartende Haltung verwandelte sich in ehrlichen Respekt. Wie Renner und Körner . . Hält sich Dr. Adolf Schärf getreulich an das Vorbild seiner beiden Vorgänger, dann ist er, und unter ihm Oesterreich, auf einem guten Weg. Mit diesen Erwartungen stehen wir nicht an, dem neuen Staatsoberhaupt unsere Reverenz zu erweisen.

Das nächste Wort gelte seinem im Wahlkampf unterlegenen Gegner. Das erscheint uns eine selbstverständliche Dankesschuld gegenüber dem hochgeachteten Gelehrten und Arzt, der seine Forschungen unterbrach, als die ho e Politik an die Tür seines Instituts pochte. Es liegt nahe, daß einer solchen Persönlichkeit eine Niederlage weit mehr zu schaffen macht als einem in vielen Gefechten und Scharmützein groß gewordenen Politiker, der nur zu gut weiß, wie nahe „oben” und „unten” beieinanderwohnen. Professor Denk kann ohne Beachtung gewisser, nicht gerade nobler Abschiedsworte zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten zurückkehren mit dem Bewußtsein des guten Arztes: bereit gewesen zu sein.

Bundespräsident ist Dr. Adolf Schärf, Bundeskanzler Ing. Julius Raab. In der Präsidentschaftskanzlei sitzt wieder ein Sozialist, auf dem Ballhausplatz amtiert weiter der von der Volkspartei gestellte und von ihrer parlamentarischen Mehrheit garantierte Regierungschef. Hiermit wäre alles beim alten, und der politische Alltag könnte in Oesterreich nach dem Wahlgewitter im Mai seinen Fortgang nehmen. Dennoch ziemt es sich, aus dem Urnengang des vergangenen Sonntags gewisse Schlüsse zu ziehen und bestimmte Wahrheiten, die in diesem Blatt nicht erst heute ausgesprochen werden, für jetzt vielleicht geneigtere Ohren zu wiederholen. Um alle Unklarheiten zu vermeiden: Wir haben nicht die Absicht, uns an dem beliebten politischen Gesellschaftsspiel nach verlorenen Wahlschlachten „Wer ist der Schuldige im Lande?” mit hektischem Eifer oder mit der Miene des professionellen Besserwissers zu beteiligen. Auch ist es noch für eine präzise Analyse der Stimmen zu früh; ganz zu schweigen davon, daß es unmöglich ist, die einzelnen Schärf- beziehungsweise Denk- Stimmzettel auf die parteipolitische Herkunft ihrer Wähler zu röntgenisieren. Einige Grundtendenzen treten jedoch schon jetzt zu Tage. Weit davon entfernt, die „Freiheitlichen” mit der Rolle des Sündenbockes zu versehen, darf doch festgehalten werden, daß unsere mehr als einmal ausgesprochene Skepsis gegenüber dem erwarteten geschlossenen Einschwenken dieses Lagers für die Wahl Denks berechtigt war. Ohne Zweifel: die Führung der FPOe hielt zur Stange. Allein die Truppe? „Sah man zur Rechten und zur Linken je einen halben Türken heruntersinken.” Uhlands „Schwäbische Kunde” vertrüge hier eine zeitgemäße österreichische Variation. Wenn man aus dem 5. Mai im Lager der Volkspartei bereit 1st, Schlüsse zu ziehen, dann zunächst den einen: politische Geschäfte mit dem bewußten Lager sind stets Verlustgeschäfte. Mehr noch: bei ihnen läuft man Gefahr, den eigenen guten Namen aufs Spiel zu setzen und die klaren Grundzüge, ohne die auch heute eine Politik nicht auskommen kann, zu trüben. Von dem Unbehagen in den eigenen Reihen zu schweigen. Das Intermezzo ist vorüber. Und das ist gut so.

Ueberhaupt: der „Bürgerblock”/ Von diesem wurde in den vergangenen Wochen viel gesprochen und geschrieben. Den einen ein Schreckgespenst, den anderen eine politische Hilfskonstruktion, den dritten — vielleicht — wirklich eine Möglichkeit. In der Wirklichkeit des 5. Mai aber eine Chimäre. Ein Gedankengpbäude aus vergangenen Jahrzehnten, in dem geistig Wohnung zu nehmen heute in Oesterreich nicht mehr verlockend ist. In der Wirklichkeit des 5. Mai zeigt sich ferner, daß jede „bürgerlich” etikettierte und von bestimmten Arbeitsgemeinschaften auch publizistisch geförderte Politik ihre Grenzen erreicht hat. Hier geht es nicht weiter. Aber anderes wurde deutlich: Wer die Wahlzahlen des vergangenen Sonntags aufmerksam las, dem konnte die weiterhin anhaltende Labilität, ia rückläufige Tendenz der für den sozialistischen Kandidaten abgegebenen Stimmen in W i e n nicht verborgen bleiben. Hier müßte eine neue Welle unverbrauchter Kräfte ihre Aufgabe finden, die nur unter einem starken sozialen Akzent stehen könnte.

Aber auch in den Reihen der Sozialistischen Partei wird man unter neuer Führung die Weichen der Zukunft stellen. Zunächst allerdings wird man gut daran tun, die Türen nach ganz links wieder dichtzumachen. Wir möchten erwarten, daß man an der Spitze der Partei die richtigen Worte finden wird, um den „Königsmachern”, als die sich die Kommunisten heute vorstellen, die gebührende Antwort zu geben. Auch ist zu hoffen, daß jene Elemente wieder kürzer gehalten werden, die ihre Sporen in einer anderen „Arbeiterpartei” verdient haben, in den letzten Wochen aber die sozialistische Propaganda mitunter fatal zu beeinflussen begannen.

Wie Renner und Körner wurde Dr. Schärf zum Bundespräsidenten gewählt. Aus dieser Wahl erwächst nicht zuletzt der Sozialistischen Partei die Verpflichtung, das staatspolitische Konzept Dr. Renners und Körners nicht durch Zweideutigkeiten zu trüben.

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