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Der Bundespräsident erzählt
ERINNERUNGEN AUS MEINEM LEBEN. Von Adolf Schärf. Verlag der Wiener Volks-buchhandlung. 177 Selten. Preis 85 S
ERINNERUNGEN AUS MEINEM LEBEN. Von Adolf Schärf. Verlag der Wiener Volks-buchhandlung. 177 Selten. Preis 85 S
Bundespräsident Dr. Schärf hat wieder zur Feder gegriffen und seinen bisherigen Publikationen eine neue angereiht. Es ist aber nicht der Bundespräsident, der hier spricht, auch nicht einmal so sehr der Politiker, es ist vielmehr der Privatmann, der aufmerksame Gatte und besorgte Familienvater, der hier zu Wort kommt. Der Verfasser erzählt in schlichten Worten sein Leben, angefangen von jenem 20. April 1890, an dem er als Sohn eines Glasperlenerzeugers im südmährischen Nikolsburg geboren wurde, bis zu der entscheidenden Wendung, welches dasselbe nahm, als der Rechtsanwalt Dr. Schärf an seinem 55. Geburtstag aus der Illegalität heraus in verantwortliche Positionen des eben wiedererstandenen Österreichs einrückte.
Wer eine Bereicherung der Zeitgeschichte erwartet, überfordert das vorliegende kleine Buch. Dr. Schärf gefiel es vielmehr, von seiner Familie, von ihren Freuden und Nöten in bewegter Zeit zu erzählen. Genau geführte und wohlerhaltene Notizbücher ermöglichen es Dr. Schärf noch heute, das exakte Datum eines Heimaturlaubes aus dem ersten Weltkrieg oder den Namen eines Berges, welcher während eines Urlaubes von der Familie Schärf im Jahre 1937 erstiegen. wurde, anzugeben.
Ganz ist die Politik freilich nicht zu verdrängen. Das wäre bei einem Mann, der sein ganzes Leben ihr geweiht hat, auch ungewöhnlich. So finden wir in dem vorliegenden Text auch einige Bemerkungen, die der politisch interessierte Leser nicht überschlagen wird. Wir lesen zum Beispiel, daß Dr. Schärf mit seiner Halbkompanie 1916 durch sieben Tage zur Bewachung des Eisenbähn-zuges von Thronfolger Erzherzog Karl kommandiert war, was der Verfasser mit Recht und nicht ganz ohne Stolz auch heute noch als „einen Beweis besonderen Vertrauens“ (S. 38) empfindet. Als das junge Ehepaar bis 1930 als Wochenendvergnügen einen Tanzkurs in Hernais besucht, schwingt unter anderem auch der spätere Bürgermeister von Wien in der nationalsozialistischen Zeit, Ing. Neubacher, dort das Tanzbein ... Von noch stärkerem politischen Interesse ist die deutlich zur Schau getragene Zurückhaltung gegen Otto Bauers „negative Politik“ (S. 120). Und das offene Bekenntnis des Verfassers, er habe an der Formierung einer Art Widerstandsgruppe gegen diese Politik des Parteivorstandes mitgewirkt, die sich im Cafe Herrenhof ein Stelldichein gab, und bei der Renner, Körner und Helmer vertreten waren (S. 120). Daß Dr. Schärf den politischen Gegnern aus der Ersten Republik nach wie vor mit großer Reserve gegenübersteht und wenig geneigt ist, auch die Motive ihres Handelns objektiv zu prüfen, ist an sich bedauerlich. Trotzdem dürfte es vor der Geschichte, die den Begriff „Konzentrationslager“ mit harter Fron und ständiger Lebensbedrohung identifiziert, nicht angehen, über die Haft im Lager Wollersdorf zu schreiben: „Im wesentlichen war es dasselbe, was man in Deutschland als Konzentrationslager bezeichnete.“ (Seite 137.) Dieser Gleichung müssen wohl vor allem auch jene Sozialisten widersprechen, die beides erlebt und letzteres oft nur mit knapper Not überlebt haben. '
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