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ADOLF SCHÄRF / SOZIALIST, HOFRAT, BUNDESPRÄSIDENT

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In eben diesen Tagen, eine Woche vor seinem siebzigsten Geburtstag, ist Dr. Adolf Schärf reich geehrt von seinem Staatsbesuch in Schweden und Finnland nach Wien zurückgekehrt. Dieser Mann, geboren genau ein Jahr nach dem schrecklichen Vereinfacher, am 20. April 1890, hat es zeitlebens sich, seinen Freunden und Gegnern nicht leicht gemacht. Die aufrichtige Achtung, die ihm heute auch von politischen Gegnern gezollt wird, mit denen er Jahrzehnte im Gefecht stand, ist nicht zuletzt das Resultat eines zähen, schweren Ringens im Prozeß der Selbsterziehung und Selbstüberwindung mit einer schwierigen Gemütsart, die ihn, den „roten Hofrat“, mit so manchen k. u. k. Hofräten und anderen Staatsdienern des alten Österreichs verband. Tüchtig, strebsam, ehrgeizig und begabt wie so manche junge Menschen, die aus Mähren und Böhmen nach Wien kamen und hier ansehnliche Stellungen und bedeutende Namen erwarben, kam also auch der junge Schärf nach Wien, an das Gymnasium in Hernais. Der Junge lernt, um -seinen Lebensunterhalt zu verdienen — Hebräisch, da zahlreiche Mitschüler mosaischen Bekenntnisses Nachhilfeunterricht in Hebräisch, für den Religionsunterricht, brauchen. Diese Hebräisch-Kenntnisse haben später das Staunen israelischer Delegierter und die Phantasie politischer Gegner erregt: letzteres zu Unrecht, denn Adolf Schärf stand lange Jahre, wie viele ältere Sozialisten im Banne deutsch-nationaler Tradition, löst sich von ihr erst im zweiten Weltkrieg. — Adolf Schärf studiert die Rechte an der Universität Wien, betätigt sich früh in einer sozialistischen Jugendorganisation, promoviert kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, steht drei Jahre an der Front. Der abgerüstete Oberleutnant wird im Herbst 1918 Sekretär des sozialistischen Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses, Seitz, und zugleich der Parlamentsfraktion der Sozialisten.

In dieser politischen Schlüsselposition wird er 1930 Hofrat, 1933 Bundesrat. Der blvMge Februar 1934 führt ihn zum erstenmal in die Haft. Der März 1938 bringt die zweite, nach dem 20. Juli 1944 folgt die dritte Verhaftung. Nach der Zerschlagung der Sozialdemokratischen Partei stellenlös, wird Dr. Adolf Schärl Rechtsanwalt und sammelt nun, nicht zuletz als Rechtsvertreter von Parteifreunden in det

Jahren ab 1934, Erfahrungen, die ein hohes Maß von Bitterkeit in ihm ansammeln. Die schwierige Zusammenarbeit als „zweiter Mann“ im Staat, nach 1945, mit den führenden Männern der Volkspartei, vor allem mit Julius Raab, zeigt, wie sehr die tiefen, dunklen Schatten dieser Vorkriegsjahre auf dem Gemüt dieses Mannes lagen, der ebenso korrekt wie einsam, zumindest kontaktschwierig auch in Kreisen der eigenen Partei stand.

Da beginnt mit der Wahlschlacht des Jahres 1957, aus der Dr. Adolf Schärf am 5. Mai als, dritter Präsident der Zweiten Republik hervorgeht, ein bedeutungsvoller Wandel, der nah und fern Erstaunen, dann aufrichtige Anerkennung erweckt. Im Wahlkamp; hatte Dr. Schärf bereits Töne gefunden, die den Weg zum Volk suchten und fanden. Ah Bundespräsident wuchs er nach anfänglichen kleinen Schwierigkeiten immer mehr in die Rolle eines Landesvaters hinein. Bei den schwierigen Verhandlungen um die Neubildung der Regierung nach den Wahlen vom 10. Mai 1959 war es sein Verdienst, eine neue Regierung Raab zu ermöglichen. Das ganze österreichische Volk blickt seither mit Vertrauen auf den Mann, dem vielleicht noch schwere Aufgaben bivorstehen.

Im wohlverstandenen eigenen Interesse gedenken an diesem 20. April 1960 alle Österreicher, die es mit ihrem Lande und mit sich selbst wohl meinen, dieses Mannes, dessen Lebensweg Österreichs Schwierigkeiten in mehr als einem halben Jahrhundert spiegelt und der heute als ein Mann des Maßes und der Mitte, als ein Mittler und Versöhner seines hohen Am*es waltet; mit dem Ethos eines Staatsdienertums, das in Jahrhunderten gewachsen ist.

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