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Vom NS-Saulus zum Parlaments-Paulus

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Die FURCHE hat Friedrich Peter hinsichtlich seiner ungeklärten SS-Vergangenheit immer scharf kritisiert. Dem Parlamentarier Peter gebührt jedoch Respekt.

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Die FURCHE hat Friedrich Peter hinsichtlich seiner ungeklärten SS-Vergangenheit immer scharf kritisiert. Dem Parlamentarier Peter gebührt jedoch Respekt.

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Am 4. April hat Abgeordneter Friedrich Peter mit einer letzten kurzen Rede in öffentlicher Sitzung als Klubobmann der Freiheitlichen Partei Österreichs vom Hohen Haus Abschied genommen, dem er seit März 1966 angehört; am 17. April vollzog er diesen Schritt in der vielzitierten „Präsidialkonferenz“, jenem parlamentarischen Leitungsgremium, dessen rangältestes Mitglied — nämlich seit 1970 — er gewesen ist.

So bedeutend dieses Ende einer politischen Karriere nicht nur für den Akteur selbst, sondern auch für die österreichische Volksvertretung, für die Freiheitliche Partei Österreichs und letztlich für die gesamte politische Szenerie unseres Landes zweifellos ist, erfolgte der Abschied doch eher in unangemessener Unauffälligkeit, nämlich im Lärm des Bundespräsidenten-Wahlkampfes und dessen alles andere verdrängenden Begleiterscheinungen.

Und doch, welch symbolträchtiges Zusammentreffen: Die Schatten der Vergangenheit, die nun unsere Gegenwart — von der Weltöffentlichkeit argwöhnisch beobachtet — bedrohlich einholen, haben Peters politisches Wirken nie ganz verlassen.

Peter war zwar kein Parlamentarier der ersten Stunde—der letzte 1945er schied ja bereits 1978 mit dem damaligen Dritten Präsidenten des Nationalrates Otto Probst aus dem Parlament aus —, dennoch zählt er zu den maßgeblichen Persönlichkeiten des politischen Wiederaufbaues unserer Republik.

Von der Nationalratswahl 1953, die im Zeichen des Niederganges des Verbandes der Unabhängigen (VdU) stand, der von 16 auf 14 Mandate zurückfiel, scheint der

Anstoß für den am 13. Juli 1921 geborenen Friedrich Peter zu politischer Aktivität ausgegangen zu sein. Er kam damals aus dem Kreis jener, die zwar nicht dem VdU angehört, aber mit diesem Lager sympathisiert hatten.

Was ihn dorthin führte, hat Peter, der zum Unterschied von vielen anderen nicht an Gedächtnislücken hinsichtlich der Zeit zwischen 1938 und 1945 litt, selbst des öfteren erklärt: Er war zu Beginn des Jahres 1938 der Hitler-Jugend und im November 1938 der SS beigetreten - nicht weil ihn irgend jemand dazu gepreßt hätte, sondern aus jugendlichem, irregeleitetem Idealismus.

Nach der Nationalratswahl 1953 geriet der Verband der Unabhängigen in jenen krisenhaften Zustand, der am 7. April 1956 zur vorerst wenig beachteten Gründung der Freiheitlichen Partei Österreich in der Wiener Josefstadt führte. Schon 1955 hatten sich an der oberösterreichischen Landtags wähl der VdU, eine „Fr eiheits-partei“ und Parteilose als „Freiheitliche Wahlgemeinschaft“ beteiligt, die Peter auf eines der vier Mandate dieses Lagers brachte.

Von da an begann Peters steiler politischer Aufstieg: 1955 Landes-parteiobmann und 1958 Bundes-parteiobmann der FPÖ, ein Amt, das er durch 20 Jahre bekleidete; 1966 Abgeordneter zum Nationalrat und 1970 Obmann des Klubs der Freiheitlichen Partei Österreichs.

In diese letzte Periode fällt Peters für die gesamte politische Struktur unseres Landes entscheidendes Wirken: Zunächst ermöglichte er als Gegenleistung für ein neues, Kleinparteien (zu denen die FPÖ inzwischen herabgekommen war) nicht mehr benachteiligendes Wahlrecht der Minderheitsregierung Bruno Kreisky das Uberleben der Budgetdebatte Ende 1970.

Erst eine spätere Geschichtsschreibung wird wohl ein ausgewogenes Urteil darüber fällen können, was es bedeutete, daß ausgerechnet das sogenannte „national-freiheitliche Lager“ Österreich erstmals zu einer sozialistisehen Alleinregierung und einem Bundeskanzler jüdischer Ab-Kunft verhalf.

Jedenfalls wurden damals zwei Integrationsprozesse vollzogen: Die Arbeiterbewegung, die seit der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes im Jahre 1907 schrittweise zu großer Bedeutung in der Parlamentsgeschichte gelangte (1931 stellte sie erstmals als größte Fraktion den Präsidenten des Nationalrates), aber sich bestenfalls in Form von Koalitionsregierungen an der eigentlichen Staatsführung beteiligen konnte, war nun auf einmal alleinige Regierungspartei; und das sogenannte „dritte Lager“, das in der Ersten Republik eine wichtige Rolle gespielt hatte, sah sich erstmals nach 1945 aus der Isolation herausgeführt und in das parlamentarische Kräftespiel einbezogen.

Die Folgen für Peter selbst waren freilich unheilvoll: Nun wurde öffentlich hervorgekehrt, daß er im Kriege jener berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade angehörte, die in der Sowjetunion weniger an der Front gekämpft als Zivilisten zu Zehntausenden hingemordet hat.

Peter freilich wies unter Berufung auf seinen Einsatz als Melder sowie Absolvierung von Offiziersschulen jede persönliche Beteiligung von sich und wurde von Bruno Kreisky so geschützt, daß seine persönliche Vergangenheit ebenso unerforscht und unbewäl-tigt blieb wie die Österreichs überhaupt. Ob er dadurch ein Opfer von Kreiskys politischen Winkelzügen wurde, oder ob die zwangsläufigen Folgen doch gut für ihn waren, kann wohl nur er selbst wissen.

Peter blieb Kreisky jedenfalls in Dankbarkeit verbunden, was ihn auch an einer distanzierten Einschätzung des „neuen Stils“ der Politik hinderte. Gleichzeitig ließen ihn die Schatten der Vergangenheit endgültig nicht mehr los, denn nachdem Kreisky bei seinem Abgang 1983 unserem Land eine SPÖ-FPÖ-Koalition vererbte, stand ein Eintritt Peters in die Regierung nicht einmal mehr zur Debatte.

Und als Peter gewissermaßen zur Krönung seiner politischen Laufbahn das Amt des Dritten Präsidenten des Nationalrates anstrebte, wurde ihm auch dies durch eine aufgebrachte beziehungsweise aufgeputschte öffentliche Meinung verwehrt.

Die Wahrheit freilich gebiete^, zum Abschied unvoreingenommen festzustellen, daß Peter ein vorbildlicher, überzeugter Parlamentarier und ein besonders wertvolles Mitglied der so wichtigen „Präsidiale“ war. Gerade in letzterer hat er oft und oft unter Hintan stellung parteipolitischer Erwägungen geradezu staatsmännisches Format bewiesen.

Nun verläßt er die politische Bühne zu einer Zeit, in der dank seines Wirkens das „dritte Lager“ in der demokratischen Republik Österreich fest verankert ist; sein anderes Ziel aber, die FPÖ - wie er einmal versicherte — auch für Juden wählbar zu machen, hat er bei weitem nicht erreicht.

Das Schicksal Peters beweist die Ohnmacht der Geschichtsschreibung: Uber das, was seine wirklich großen Leistungen vor allem als Parlamentarier für ganz Österreich ausmachte, gibt es wegen der Vertraulichkeit zu wenig öffentlich zugängliche Zeugnisse und kaum schriftliche Unterlagen für spätere Zeiten.

So ist zum Abschied von Friedrich Peter gerade in der FURCHE der Gedanke angebracht, daß auch menschliche Geschichtsschreibung nicht die letzte Instanz für ein Urteil über ihn und seine Handlungen sein wird.

Der Autor ist Parlamentsdirektor und Honorarprofessor für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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