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Die Chance der Demokratie

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Am 23. Juni wird Österlich sich wieder ein Staatsoberhaupt wählen. ' Es ist der fünfte Präsident der zweiten Republik. Die ersten vier Präsidenten kamen sämtlich aus der linken Reichshälfte. Die beiden Kandidaten, die diesmal zur Wahl stehen, kommen beide nicht aus der linken Reichshälfte. Allerdings - einer von beiden wurde von der SPÖ nominiert, ist also zweifellos als ihr Kandidat anzusehen. Warum griff die SPÖ denn gerade diesmal auf einen Mann zurück, der nicht eindeutig aus ihren Reihen kam? Die Überlegungen waren eine gute Generalstabsarbeit. Die Mehrheit, mit der bei der letzten Wahl Bundespräsident Jonas gewann, war hauchdünn, obwohl zweifellos die Kommunisten gemäß dem Grundsatz „auf jeden Fall ein Roter“ und ein Großteil der FPÖ-Anhänger getreu der Überzeugung „lieber rot als schwarz“ für den sozialistischen Kandidaten gestimmt hatten, der außerdem noch den Vorteil, ein regierender Präsident zu sein, für sich hatte. Die dennoch geringe Mehrheit mag die sozialistische Parteileitung zu dem Entschluß gebracht haben, einen Mann aufzustellen, der über diese Kreise hinaus noch bei weiteren Bevölkerungsschichten Anklang finden würde, um so die hauchdünne Mehrheit in eine starke zu verwandeln. Die sozialistische Parteileitung war hiebei von der sicheren Überzeugung geleitet, daß die ÖVP einen ganz bestimmten Kandidaten aufstellen werde, einen ihrer besten Spitzenpolitiker. Und hier passierte der linken Reichshälfte jenes Geschick, das jarler noch so präzisen Generalstabsarbeit widerfahren kann: sie weiß letztlich nicht, auch bei einem noch so guten Spionagedienst, was der Gegner im entscheidenden Augenblick tun wird.

Zu aller Überraschung stellte die andere Reichshälfte tatsächlich einen anderen Kandidaten auf. Und aus der Nervosität, die seither die sozialistischen Parteistellen befallen hat, ist zu ersehen, daß die linke Reichshälfte nicht mehr eindeutig den Sieg ihres Kandidaten kommen sieht. Ein so eingeschworener Gegner der Kommunisten wie Dr. Kreisky soll sogar versucht haben in diesem Falle alle Feindschaft begraben sein zu lassen, nur um diese Stimmen ebenfalls für seinen .Kandidaten zu gewinnen. '

Bei dieser Wahl geht es tatsächlich um sehr viel. Bei dieser Wahl geht es tatsächlich darum, ob endlich in Österreich die Demokratie in echtem Sinn zu funktionieren beginnt und es auch endlich zu einer echten Balance der Macht kommen wird. Wer die Geschichte Österreichs und seiner parlamentarischen Einrichtungen kennt, weiß, daß das Parlament in Österreich zum Unterschied von England oder der Schweiz nicht die Rolle spielt, die ihm eigentlich gemäß wäre. Es ist nur zu oft ein „Rat“ und kein „Tag“. Die echte Macht in Österreich haben vielfach andere „Räte“, die Geheimräte, Hofräte, Komimerzialräte, Ministerialräte usw. Österreich wird immer wieder sich der Versuchung gegen-übersehen, ein geheimer Obrigkeitsstaat zu sein. Eine Versuchung, der zweifellos Österreich leichter erliegen wird, wenn alle wichtigen Institutionen in der Hand einer Partei sind. Und dazu vielleicht auch noch im Parlament eine Partei die absolute Mehrheit besitzt.

Eine Persönlichkeit, sie mag so integer sein wie es nur möglich ist, die nicht aus der sozialistischen Partei kommt, aber ihr Kandidat bei der

Wahl ist, kann als Bundespräsident — da ohne Hausmacht in der eigenen Partei — nur mehr die Rolle einer reinen Repräsentantenfigur spielen. Und diese Rolle gerade will die österreichische Verfassung nicht vom Bundespräsidenten und auch das österreichische Volk hat in seinem gesunden politischen Instinkt nicht nur einmal eine Versuchung beiseitegeschoben. Das war, als die ÖVP den weltberühmten Gelehrten Professor Denk als Bundespräsidentschaftskandidaten aufstellte. Das Volk lehnte ihn ab, weil es eben nicht ein Staatsoberhaupt wollte, das eine reine Repräsentationsfigur gewesen wäre.

Die SPÖ hat derzeit die absolute Mehrheit. Sie wird sie kaum nach der nächsten Nationalratswahl besitzen. Sie wird dann versuchen, mit-hilfe einer kleinen Koalition weiter-zuregieren oder wird versuchen müssen, sich mit der zweiten großen Partei in irgend einer Form zu einer Koalition zu einigen.

Die große Koalition ist, auch wenn es offiziell abgestritten wird, tatsächlich das Wunschziel der meisten Österreicher. Sie ist wahrscheinlich auch die einzige Form, in der die wirklich großen Probleme der Politik bewältigt werden können. Eine große Koalition regiert in allen Bundesländern Österreichs mit Ausnahme Vorarlbergs. Eine große Koalition wurde auch durch Dr. Kreisky trotz monokolorer Regierung nicht ganz verschmäht, als er auf viele wichtige Posten nicht eindeutige Anhänger seiner Partei berief. Im Grunde genommen war die Zeit der monokoloren Regierung Klaus ebenfalls eine Form der großen Koalition, denn der Bundespräsident kam aus der anderen Reichshälfte und die vielen Sozialisten Österreichs waren sicherlich glücklich, daß damals Bundeskanzler und Bundespräsident nicht aus dem gleichen Lager kamen. Denn biedurch war eine Kontrolle der Macht gewährleistet, die in dieser Art gar nicht durch das Parlament ausgeübt werden konnte.

Der Slogan der SPÖ, daß, wer den Kandidaten der ÖVP wähle, nicht für die Demokratie sei, ist deshalb grundsätzlich falsch. Im Gegenteil, wer immer für die Demokratie ist, auch Sozialisten, auch Nationale und nicht nur Anhänger der ÖVP, müßte in diesem Wahlkampf im Interesse der Demokratie, im Interesse der Balance der Macht, im Interesse der Kontrolle der Macht eindeutig seine Stimme dem Kandidaten, den die linke Reichshälfte aufgestellt hat, verweigern. „Demokratie ist Diskussion“ hat der eindeutige Demokrat Thomas Garrigue Masaryk gesagt. Natürlich ist die Diskussion nicht immer angenehm und nicht immer leicht. Leichter ist es, zu regieren oder zu herrschen, ohne mit einem Partner diskutieren zu müssen. Aber gerade hier liegt die Gefahr für jedwede Demokratie: wenn eines Tages nicht mehr diskutiert wird, dann haben die „Marschierer“ wieder die Macht in der Hand und das bedeutete noch immer das Ende der Demokratie. Jener Demokratie, von der Churchill behauptete, sie sei zwar die schlechteste aller Regierungsformen, aber er wisse keine bessere. Denn sie ist immer noch die menschlichste aller Regierungsformen. Wer deshalb für die Beschränkung der M3cht ist, für die Balance der Macht und für die Demokratie, der müßte eigentlich wissen, wem er am 23. Juni ohne Rücksicht auf die persönliche Parteizugehörigkeit seine Stimme zu geben hat.

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