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RANDBEMERKUNGEN

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HAUS-, HOF- UND STAATSKAPLANI Am Montag ist die österreichische Regierungsdelegation nach Rom zur Papslkrönung geflogen. Am Montag ist Erzbischof König zu seinem Ad-Iimina-Besuch nach Rom abgereist. Der Erzbischof sowie die Regierungsdelegation mit der österreichischen Fluglinie AUA mit demselben Flugzeug. Wie üblich, wurde die Regierungsdelegation vor dem Abflug geknipst und, weil der Erzbischof im selben Flugzeug reiste, kam auch er ins Bild. Und dieses Bild erschien am nächsten Tag in einer Wiener Zeitung mit folgendem Text: „Die österreichische Regierungsdelegation, die an der Papstkrönung teilnimmt, ist Montag in Rom eingetroffen. Unser Bild zeigt (von links nach rechts) Minister Drimmel, Erzbischof Dr. König, Bundeskanzler Raab, Minister Tsehadek beim Abtlug“. Uebergetitelt: Regierungsdelegation zur Papstkrönung. Jeder, der das Bild sieht und den Text liest, muß annehmen, daß Erzbischof König zur Regierungsdelegation gehört, natürlich bescheiden hinter Kanzler und Ministern zurücktretend. Als was gehört der Erzbischof der Regierungsdelegation an? Als Bundesbischof, Staatsbischof, Regierungsbischof, Parteibischof, als Hauskaplan des Kanzlers? Gerade, weil Titel und Text sicher vollkommen unbeabsichtigt sind, sind sie mehr als das Ergebnis journalistischer Flüchtigkeit. Sie sind der Ausdruck der Vorstellungen nicht Weniger über den Platz der Kirche in Oesterreich. Ha) sich wirklich nichts geändert, seit den Tagen des früheren Mitteltalters nichts geändert seit Jahrhunderten, ja, fast einem Jahrtausend? Wenn damals ein König oder ein Herzog nach Rom zog, so führte er in seinem Gefolge seinen Hausbischof mit. Anscheinend ist es für viele Leute heute nicht anders, und wenn eine Regierungsdelegation nach Rom fährt, so gehört eben der Erzbischof von Wien als Haus-, Hof- und Staatskaplan dazu, und so kommt er ins Bild und so kommt er in den Text. Und anscheinend findet man das vollkommen in Ordnung, von rechts und auch von links. Denn schließlich rechnet man auch dort, einmal an der Spitze zu stehen, auch einer österreichischen Regierungsdelegation. Ein Bild und ein Bildertext, eine Lappalie meinen Sie? Die ganze Problematik der Kirche in Oesterreich ist darin enthalten.

MERKWORTE AUS DER BUDGETDEBATTE. Die

Parlamentsberichferstatter, die gewohnt sind, bei den grofjen Budgeterklärungen der Parteien mit Ziffern, Statistiken und Kalkulationen überschüttet zu werden, bestenfalls noch den einen oder anderen parteipolitischen Seitenhieb aus diesem Anlafj zu hören zu bekommen, horchten während der Rede des Klubobmannes der Volkspartei zum Haushaltvorschlag mehrmals auf. Er fand nicht nur zur Frage des Kulturbudgets Formulierungen, die man in den letzten Jahren selten vernommen hafte, so etwa bei der offen gestellten Frage, „ob sich ein zu geringes Kulturbudgef nicht nachteilig gerade für die Wirtschaft auswirken müsse.“ Er hob auch die vor einiger Zeit in nicht immer sehr vornehmer Weise in den tagespolitischen Parteienstreit gezerrte Konkordatstrage auf eine Ebene, die uns die eigentlich adaequate zu sein scheint: Er sprach von der „echten Bewegung, die die freie Welt anläß-lich des Todes Pius' XII. erfafjt hatte“ und sah sie als einen sichtbaren Beweis dafür an, wie sehr auch in einer immer mehr materialisierten Welt die Menschheit sich die Befreiung von ihrer Existenzangst, von den sie fast tödlich umstrickenden Gegenwartsbedrohungen nicht von der materiellen Seite, sondern von einer höchsten moralischen Autorität erwarte und erhoffe. Die Zeit sei gekommen, von dieser gemeinsamen Erkenntnis her die kirchlichen Anliegen in einer Weise zu regeln, die der Würde und Bedeutung beider Vertragspartner gerecht wird. Es scheint, dafj hier eine Basis angestrebt wird, die für alle Beteiligten dauerhafter sein kann als ein rein presfigemäßiger Vorrangstreit, der der Würde des Gegenstandes kaum gerecht wird.

DIE KORPORATIONEN IN DER BUNDESREPUBLIK. Mit dem Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes im „Coleurstreit“, demzufolge das Farbentragen an den deutschen Hochschulen nicht mehr unter Strafe gestellt werden darf, scheint eine Renaissance des Korporationswesens auch gesetzlich gesichert zu sein. Im Sommersemesfer 1956 gab es an den 65 Hochschulen im Gebiet der Bundesrepublik efwa 134.000 Studierende (davon 26000 Studentinnen). Von den männlichen Studierenden sind ungefähr 55 Prozent Mitglieder studentischer Organisafionen gewesen. Von diesen 55 Prozent gehörten an: dem CDK (Convent Deutscher Korporationsverbände) 20.000 (36 %), katholischen Korporationsverbänden 14.500 (27 %), katholischen Studentengemeinden 4400 (8 %), evangelischen Studentengemeinden 8000 (15 %), „Ring christlich-demokratischer Studenten“ (CDU, vergleichbar der FOeST in Oesterreich), 2700 (5%), „Liberaler Studentenbund Deutschlands“ 2200 (4 %), „Sozialistischer deutscher Studentenbund“ 2200 (4 %), sonstige kleinere Gruppen 1100 (2%). (Lauf „Burschenschaftliche Blätter“.) Das Ansteigen der Zahl der korporierfen Studenten ist beachtlich, ebenso, dafj die katholischen Verbände anfeümäfjig fast so viele Organisierte unfer den in Gemeinschaften erfafjten Studierenden aufzuweisen haben, wie es Katholiken in der Bundesrepublik gibt. Die Voraussetzungen für das Entstehen rechtsradikaler Strömungen (Wirtschaffsnof, Chauvinismus, fehlende Wehrhoheit) sind erheblich geringer als ehedem. Trotzdem gibt es nationalsozialistische Gruppen unter den Studenten, wie den „Bund Nationaler Studenten“ (BNS), bei dem ein Herr Hefj (Neffe des noch im Gefängnis befindlichen Stellvertreters Hitlers) führend tätig ist. Auch dafj die Studentenschaft am Todestag der Geschwister Scholl durch den Hausbesorger (!) der Universität einen Kranz hat niederlegen lassen, kann man nicht gerade als Bekenntnis zur Demokratie ansehen. Trotzdem ist das Deutschland von heute durchaus ein anderes als jenes, das Hitler vorfand und zum Aktionsfeld seiner phantastischen Pläne machen konnte.

WIE LANGE NOCH) „Der allgemeine Radio-akfivitätsspiegel steigt seit einigen Jahren auf der ganzen Erde und somit auch in der Bundesrepublik langsam an“, erklärte Atomminister Balke in einer Fragesfunde des Bonner Bundesrates. In Süddeutschland ist die Radioaktivität gegenwärtig höher als in Norddeutschland. Balke betont selbst: „Die Konzentration der einzelnen radioaktiven Stoffe liegt in den Niederschlägen noch etwa ein Hundertstel unter der zulässigen Menge“! Ein Hundertstel unter der zulässigen Menge! Wie lange noch! Es ist wirklich hohe Zeit, dafj umfassende globale Absprachen die Atomwirtschaft regeln: die Völker taumeln sonst, verwirrt und übertäubt vom Lärm drittrangiger Spektakel, in Gefahren für Generationen, weil die Staatsmänner im Wirbel der Tagespolitik diese Gefahr zu gering schätzen und jene Forscher, die diese Gefahren sehen und beim Namen nennen, allzuoft als unbequem beiseite geschoben werden und leider auch in der Presse und öffentlichen Meinungsbildung der freien Welt nicht die Unterstützung finden, die das wohlverstandene eigene Inieresse an der Erhaltung des Lebens ihnen zukommen lassen müßte. Während es um die „Atominfellektuellen“ still geworden ist, steigt, auf der ganzen Welt, und so auch bei uns in Mitteleuropa, die Radioaktivität: „in Luff, Wasser, Boden und Lebensmitteln“, wie Herr Minister Balke in Bonn kürzlich wieder feststellt...

ZWEI KONFERENZEN IN GENF. Am 31. Oktober hat in Genf die Konferenz der Vertreter Amerikas, Rußlands und Englands über eine Einstellung der Kernwaffenversuche begonnen. Am 10. November beginnt, ebenfalls in Genf, die Konferenz über die Verhinderung von Ueber-raschungsangriffen. Beide Konferenzen laufen getrennt, hängen aber thematisch enge zusammen. Jeder Erfolg oder Mißerfolg in der einen Konferenz wird die Nachbarkonferenz mitbeeinflussen. Der Hauptgegensatz zwischen Ost und West Ist bekannt: die Sowjets plädieren für eine ständige Einstellung der Afomwaffenversuche, die Westmächte sind für einen zunächst einjährigen Stop der Versuche. Drei große, schwere Fragen belasten diesmal dazu noch die Genfe' Spätherbstkonferenzen dieses Jahres 1958. Da ist es zum ersten „Die Moskauer Sphinx“: man weiß im Westen augenblicklich sehr wenig, wie es in Moskau politisch aussieht, konkret, wie die Dinge zwischen Peking und Moskau momentan wirklich stehen. Kehrt Molotow zurück, auf Drängen Pekings? Vermag sich Chruschtschow gegen die Pekinger und Moskauer Stalinisten zu behaupten? Damit stehen wir bereits im zweiten Fragenkreis: Pekings Schatten hängt riesengroß über Genf. Das heißt wieder konkret: da die Experten der Weltmächte im vergangenen Sommer sich auf 120, jetzt 170 Ueberwachungs-stationen zur Ueberwachung der Atomwaffenversuche, und wohl auch zur Verhinderung von Ueberraschungsangriffen geeinigt haben, erhebt sich für Amerika die ernste Frage: Wie kommt man da aus, ohne China, seinen riesigen Raum, einzubeziehen? Das würde eine politische Anerkennung Chinas von seifen der USA voraussetzen. Ob Eisenhower sich dies jetzt leisten kann, werden die Vorkommnisse nach den Wahlen in den USA zeigen. Dazu kommt gegenwärtig noch eine Schwierigkeit: Frankreich nimmt nicht offiziell an den Genfer Beratungen teil. De Gaulles Frankreich ist erschlossen, selbst zuerst als Atommacht aufzutreten, bevor es die Räte und Beschlüsse der anderen akzeptiert. So ergibt sich für Genf die Prognose: da sowohl hinter dem Westen wie hinter dem Osten noch je eine Macht steh), die Anspruch erhebt, als Atommachf mitzureden bei allen weltweiten Beschlüssen dieses Genres, kommt dieser Genfer Konferenz „nur“ die Bedeutung zu, Vorbesprechungen über das Thema der Zukunft zu halten: den Weltfrieden; der voraussetzt, daß sich wirklich alle Beteiligten und Betroffenen an einen Tisch setzen. Diese Tatsache hat auf seine Weise Dr. Adenauer soeben anerkannt, als er überraschend bekanntgab, daß Bonn jetzt bereit sei, sich mit Vertretern Pankows an einen Tisch, über den über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandelt wird, zu setzen. Was für das kleinere Europa gilt, gilt für die größere Welt.

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