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Okkupation anno 1955

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verlassen hatten. Eden meinte Ende März 1955: „Ich würde es bei weitem vorziehen, wenn Herr Raab gerade jetzt nicht nach Moskau ginge.“

Auch Eden war sich über den innenpolitischen Druck im klaren, hoffte allerdings, daß sich die Österreicher Zeit ließen: „JZs tut mir leid, daß die Österreicher nicht sofort vor den Verführungskünsten Moskaus gewarnt worden sind. Ich hoffe, wir werden nicht schon bald mal morgens erwachen und Raab in Moskau antreffen.“

Geoffrey Harrison, der für Österreich zuständige Unterstaatssekretär im britischen Außenamt, zweifelte überhaupt, ob die Österreicher diesem sowjetischen Kaninchen nachjagen sollten. Er war besorgt darüber, daß sich Raab vor der Abreise zur militärischen Neutralisierung öffentlich bekannt hatte. Uberhaupt brachte Harrison den diplomatischen Fähigkeiten Raabs für den Umgang mit den Sowjets

wenig Vertrauen entgegen. Er war da nicht der einzige.

In einem Telegramm aus Wien hielt auch der britische Hochkommissar Wallinger seine Meinung über die Zusammensetzung der österreichischen Delegation nach Moskau nicht hinterm Berg zurück: „Jchdenke,fürdie Anwesenheit von Schärf und Figl spricht doch einiges, könnten sie doch zusammen die internationale Uner-fahrenheit von Raab und den intellektuellen Enthusiasmus von Kreisky ausgleichen“ („combine to effect“). Außenminister Eden notierte am Rande: „Yes“.

Das einzige, das die Westmächte in dieser Situation tun konnten, war, die Österreicher in einer öffentlichen Erklärung davor zu warnen, eigenmächtig vorzugehen. Man solle in Moskau klären, nicht aber beschließen.

Die Österreicher hielten sich nicht strikt daran. Das „Moskauer Memorandum“ vom 15. April 1955 stellt weit mehr dar als nur eine Klärung der offenen Fragen.

Die österreichische Delegation verhandelte in Moskau vom 11. bis 15. April 1955. Mit der Zauberformel „Neutralität nach dem Muster der Schweiz“ erzielte man den entscheidenden und für die Westmächte total überraschenden Durchbruch.

Nach den bedeutenden Zugeständnissen im lange umstrittenen Artikel 35 (das „Deutsche Eigentum“ betreffend) - in einer Frage, in der die Westmächte immer hinter den Österreichern gestanden waren - und dem sowjeti-

sehen Drängen nach einem raschen Vertragsabschluß, mußte der Westen wohl oder übel die Grundvoraussetzung dafür, die Neutralität, akzeptieren.

Warum? Wiederum verschafft Unterstaatssekretär Harrison Klarheit über die Hauptlinien der britischen Politik: „J2s würde äußerst schwierig sein für uns — im Angesicht des Druckes der öffentlichen Meinung in Österreich und in der Tat der gesamten öffentlichen Meinung der westlichen Welt —, dem gemeinsamen österreichischen und sowjetischen Druck für einen Vertrag unter den neuen Bedingungen zu widerstehen“ (20. April 1955).

Ab Mitte April richtete sich die Aufmerksamkeit des Westens darauf, den genauen Inhalt des „Moskauer Memorandums“ und damit die präzise Definition der zu wählenden österreichischen Neutralität und der Garantien für österreichische Unabhängigkeit zu erfahren, aber auch die Botschafterkonferenz in Wien (2. bis

13. Mai 1955) und den endgültigen Abschluß des Vertrages vorzubereiten.

Was vorher Jahre gedauert hatte, sollte nun — für Diplomaten ungewohnt und nervenaufreibend - blitzartig über die Bühne gehen.

Man fragt sich dabei, ob der österreichische Staatsvertrag 1955 so rasch zustande gekommen wäre, hätten die österreichischen Politiker nicht ihren diplomatischen Hochseilakt bilateraler Verhandlungen mit den Sowjets gewagt. Ganz so unerfahren waren also die Nachfolger Metternichs auch wieder nicht...

Nicht ohne Ironie soll zum Abschluß jener Geoffrey Harrison, der 1943 zum Zustandekommen der „Moskauer Erklärung“ und damit zum Wiederentstehen Österreichs einen entscheidenden Beitrag geleistet hatte, stellvertretend dafür zitiert werden, daß man im britischen Foreign Office in diesen für Österreich so aufregenden Monaten die Lage nicht immer richtig eingeschätzt hat: „Die Österreicher, den gadareni-schen Schweinen gleich, sind ganz versessen darauf, sich über den A bgrund in ihr eigenes Verderben zu stürzen“ (22. März 1955).

Ganz im Gegenteil: Gleich der Tochter des Jairus wurden die Österreicher geheilt — um beim Bild des Markus-Evangeliums zu bleiben.

Der Autor studiert amerikanische Geschichte und Internationale Beziehungen an der Harvard-Universität und forscht derzeit im Rahmen eines Stipendiums in den historischen Archiven in London und Paris.

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