6999288-1987_19_19.jpg
Digital In Arbeit

500 Sitzungen fur den Staatsvertrag

19451960198020002020

Ein knapp SOjähriger Au-ßenamtsbeamter in London hat mehr für die Freiheit Österreichs getan als so mancher, der in den Geschichtsbüchern steht. Aus Liebe zum Land.

19451960198020002020

Ein knapp SOjähriger Au-ßenamtsbeamter in London hat mehr für die Freiheit Österreichs getan als so mancher, der in den Geschichtsbüchern steht. Aus Liebe zum Land.

Werbung
Werbung
Werbung

Michael F. CulUs lernte Österreich in den dreißiger Jahren kennen. Als junger Oxford-Student

Silgerte er im Sommer nach Salz-urg zu den Mozart-Opern. Der positive Eindruck, den er damals mit nach Hause genommen hatte, kam dem Land zehn Jahre später zugute.

Zu Jahresbeginn 1945 wurde CuUis, kaum 30 Jahre alt, zum Verantwortlichen für alle österreichischen Fragen in der Deutschland-Abteüimg des britischen Außenministeriums bestellt. Der damalige Außenminister, der Gewerkschafter Ernest

Bevin, der in der Labour-Regierung Clement Attlees 1945 das Foreign Office übernahm, mußte sich anfänglich ganz auf die Expertisen seiner Beamten verlassen.

So wurde Cullis zur Drehscheibe für österreichische Angelegenhelten und es kam ihm mehr Entscheidungsfreiheit zu, als ihm anfangs lieb war. Er wuchs jedoch rs3^ in seine zentrale Rolle »m „Austrian desk“ hinein. Und er wurde für alle Beteiligten zwi’ gehen 1945 und 1950 ju einem Kontinuitätsfaktor.

Den wichtigsten Beitrag zur Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreich leistete Cullis durch seine Mitarbeit an der langwierigen Ausformulierung des österreichischen Staatsvertrages. Heute schätzt Cullis, daß er insgesamt bei weit mehr als 500 Sitzungen mitwirkte.

Die Briten trugen auf diplomatischer Ebene wahrscheinlich mehr zum Zustandekommen dei St»»tsvertrages bei als die Amerikaner. Ein Großteil der über 270 Sifcpmgen der Stellvertreter der vier Außenminister der Besat-zungsmächte fand im Londoner Lancaster House statt. Hier wurde die Kleinarbeit für die Artikel und Paragraphen des Vertrag!« Werkes geleistet. So konnten die britischen Außenamtsbeamten Vii den täglichen Ablauf der Ver handlungen unmittelbaren Druck ausüben, die Gespräche, die immer wieder durch den Kalten Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurden, antreiben, ihren Abbruch verhindern oder nach einer Verhandlungspause wieder in Gang setzen.

Cullis war nicht selten derjenige, der sich bei seinen Vorgesetzten und bei seinem Außenminister Bevin für Österreich stark machte. Er lieferte den britischen Verhandlungsführern, die mehrmals wechselten, die Details. Er hielt auch die österreichischen Diplomaten in London über die jeweilige Stimmung im Foreign Office auf dem laufenden.

Ausschnitte aus dem Tagebuch von Michael Cullis aus dem Jahre 1948 (siehe Kasten) zeigen, wie sehr er zu einem der wichtigsten Verhandlungsstrategen im Hintergrund wurde. Er saß selten vorne am Verhandlungstisch. Dafür hatte Bevin längergediente Diplomaten wie Lord Hood (1947), James Marjoribanks (1948/49) und Ivo MaUet (1949/50) ausgewählt. Aber Cullis war zimieist derjenige, der die wichtigsten Memoranden verfertigte. Oft verfaßte er auch konkrete Formulie-rungsvQrschläge für die einzelnen Vertragsartikel.

CuUis läutete die Alarmglocke, wenn die Verhandlungen wieder einmal zusammenzubrechen drohten, so etwa nach dem Febru-

ar-Putsch in Prag 1948. Danach machten die Verhandlungen der Stellvertreter der vier Außenminister keine Fortschritte mehr. Die Verhandlungen wurden schließlich im Mai 1948 abgebrochen und wegen der sowjetischen Berlin-Blockade bis Anfang 1949 auch nicht wiederaufgenommen. Es war Cullis, der im Herbst 1948 innerhalb der britischen Deutschland-Abteilung Druck ausübte, die Österreich-Frage endlich vom Deutschlandproblem abzukoppeln.

Cullis lernte wie kein anderer die sowjetische Verhandlungstaktik und -Psychologie kennen.-Und genauso wie die Österreicher war er Ende 1949 zutiefst enttäuscht, als die Verhandlungen, die man kurz vor dem Abschluß glaubte, wieder einmal zusammenbrachen.

Während des ganzen Herbstes 1949 hatten die Briten unter der inspirierenden Führung Bevins auf einen schnellen Vertragsabschluß gedrängt. Dabei galt es, nicht nur die wirtschaftUchen EntschSdigungsforderungen der Sowjet» Vi schlucken, sondern auch die strategischen Bedenken der westlichen Partner zu zerstreuen. In erster Linie lehnten damals die Militärs einen Truppenabzug aus Westösterreich ab.

CuUis und sein Chef Mallet ließen bei den New Yorker Verhand“

lungen im Herbst 1949 keine Gelegenheit ungenützt, einen Vertragsabschluß zu erzwingen. Sogar ein Pressekommunique war in Vorbereitung, so nahe glaubte man sich am Ziel. Vergeblich.

Nach mehr als drei Monaten am Verhandlungstisch ließen die Sowjets die Konferenz wegen der „Erbsenschuld“ Österreichs platzen. Dabei ging es um die sowjetische Lebensmittelhilfe im Mai 1945, die jetzt von Österreich eingefordert wurde. Auch im Westen bestanden schwere Bedenken, ob Österreich allein überhaupt imstande war, die Ablöse von 150 Millionen Dollar an die Sowjets zu bezahlen. Und die Amerikaner wollten dafür nicht geradestehen.

Später Lohn

Nachdem der Kalte Krieg in Korea heiß geworden war imd die Wiederbewaffnung Deutschlands ins Gespräch kam, verhandelte man ab 1950 nicht mehr ernsthaft über Österreich. Die Sowjetunion machte einen österreichischen Vertragsabschluß von einer Regelung der Deutschlandfrage abhängig. Die diplomatische Bühne verkam zum propagandistischen Schlachtfeld.

Damit wurden auch die Bemü-- hungen des-britischen Österreich-Experten Michael Cullis vorerst zunichte gemacht. Anfang 1951 trat er seinen neuen Posten in Skandinavien an.

Der Vertragstext, der schließlich am 15. Mai 1955 im Wiener Belvedere unterzeichnet wurde, beinhaltet aber im wesentlichen jene Formulierungen, die in mühsamer Kleinarbeit von 1947 bis 1949 ausgehandelt worden waren.

Auf seinem neuen Posten in Skandinavien freute sich Michael Cullis schließlich mit berechtigtem Stolz über den späten Erfolg seiner Bemühungen zum Zustandekommen eines der umstrittensten Vertragswerke der neueren Geschichte - des österreichischen Staatsvertrages.

Der Autor studiert »merikanjsch« Ge-jchichte und IntematiemąJe Politik »;i der Harvard-Universität

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung