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Keine Aufmarschpläne für Umwege

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Denn selbst im Hinblick auf die nicht ohne eine geschichtlich tief verwurzelte Schuld gegenwärtig bestehende Unmöglichkeit, den Donauraum gemeinsam mit den anderen, ebenfalls nicht freiwilligen Opfern des dialektischen Imperialismus nach dem allseitigen Bedürfnis aller Anrainer zu organisieren, bleibt immer noch das moralische Gebot der unbedingten Ehrlichkeit, die nicht von einer aufgezwungenen Perversität als „Grundpfeiler der österreichischen Außenpolitik“ spricht und so die Erkenntnisfähigkeit für die objektiv vitalen Voraussetzungen des Glückes und Wohlstandes der Menschheit des Doroauraumes abstumpft und lähmt. Hier sollte auch nachdenklich stimmen, daß der ungarische Ministerpräsident Imre Nagy. nachdem er sich am 31. Oktober 1956 an die Vereinten Nationen und die Großmächte mit der Bitte gewandt hatte. ..die immerwährende Neutralität Ungarns zu garantieren“, Anfang 1958 hingerichtet wurde. Was dem einen sein Grundpfeiler, ist dem anderen also leicht sein Strick. „Macht und Gelegenheit spielen eine entscheidende Rolle dabei, welchen Respekt Neutralität faktisch genießt“ (Schulmeister, Die Zukunft Österreichs, Seite 343). Was da aus umstandsbe-dingten, beileibe nicht naturgemäß-geographischen Gründen vorläufig unvermeidlich geworden und Österreich alles eher als auf den Rücken geschrieben ist, trägt denn auch für alle Beteiligten Merkmale eines hemmenden Bleigewichts. Dies haben jene, die sich von vornherein nicht bemüßigt sahen, das Kind beim rechten Namen zu nennen, nämlich die westlichen Alliierten, schon deutlich dadurch gezeigt, daß sie dem im Moskauer Memorandum enthaltenen Wink („Die österreichische Bundesregierung wird die Gewährung von Garantien für die Integrität und Unantastbarkeit des österreichischen Staatsterritoriums durch die vier Großmächte begrüßen“) nicht gefolgt sind, da sie offenbar der im Jahre 1861 vom österreichischen Außenminister Graf Rechberg geäußerten Ansicht waren, daß solche Garantien das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Man darf nach einiger Überlegung auch sicher sein, daß weder die westlichen noch die östlichen Partner des Staatsvertrages Österreich nunmehr aus ihren strategischen Plänen einfach ausgeklammert haben. Das könnten sie selbst dann nicht, wenn sie es wollten; denn in keinem entsprechenden taktischen Entwurf, der immer einer militärischen Auseinandersetzung zugrunde liegen kann, ist es möglieh. Österreich wie die Schweiz in zwei großen Kriegen zu umgehen. Der kürzeste Weg von München, Paris und London nach Budapest, Belgrad und Bukarest und umgekehrt führt noch immer über Wien, Aufmarsehnläne für Umwege gibt es nicht. Wohl nicht ganz unrichtig hat man in Pressekommentaren als einen der Gründe sowjetischen Interesses an der Neutralität Österreichs jenen genannt, die zentrale AWnkette von der Schweiz bis zu ihren Ausläufern in Ostösterreich dem strategischen Konzept der NATO zu entziehen und die direkte Verbindung zwischen den beiden NATO-Staaten Westdeutschland und Italien zu unterbrechen. Unabhängig davon, was an solchen Konjekturen Wahres ist, sollte man aber nicht dem künftigen Historiker und Forscher die Suche nach den eigentlichen Zusammenhängen blindlings erschweren. Bleibt nach alledem die skeptische Frage, welches zunächst der moralische, dann aber sogleich auch der praktische Wert einer Sache — hier der Neutralität und ihrer Freiwilligkeit — sei, deren normalerweise selbstverständliche Bedeutung eines so spitzfindigen wissenschaftlich-rhetorischen Aufwandes bedarf. Und warum eigentlich dieses förmlich irrationale Bemühen, das Gegenteil von Tatsachen zu beweisen? Was soll da aufgewertet werden und zu wessen Nutzen? Will man wirklich nur „die Blöße der eigenen Bequemlichkeit bedecken“? (Schulmeister a. a. O., Seite 243.)

Denn der Beeinträchtigung durch den ursprünglich nicht von Österreich gewollten Status der Neutralität im Frieden entspricht seine aus den eben angedeuteten Gründen erschließbare Nutzlosigkeit im Kriegsfall. Nicht zuletzt diese Erkenntnis gilt es vor der Neigung des Österreichers, fünf gerade sein zu lassen und der Konfrontation mit der Wahrheit über sich selbst auszuweichen, die Schulmeister in seiner brillanten „kritischen Bestandsaufnahme“ (Seite 233) feststellt, zu bewahren.

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