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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE KONKORDATSNOTEN. Seit Jahren überschauet das ungelöste Problem des Konkordates die österreichische Politik. Der Vatikan hat durch Jahre hindurch in einer Reihe von Noten die österreichische Regierung an die Verpachtungen des Konkordates von 1934 erinnert, aber keine befriedigende Antwort erhalfen, da die österreichischen Sozialisten als zweite Regierungspartei das Konkordat als nicht existent betrachteten. Erst im Zuge einer neuen Politik der Sozialisten gelang es, diese zu einer Anerkennung des Konkordates zu bewegen. Diese Anerkennung kam in einer Note der österreichischen Bundesregierung vom 20. Dezember vergangenen Jahres zum Ausdruck, auf die der Vatikan in einer Note vom 30. Jänner antwortete. Die österreichische Bundesregierung hat nunmehr beide Noten veröffentlicht, gewiß, wie dies den internationalen Gepflogenheiten entspricht, im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl. Beide Noten waren bisher ihrem Inhalt nach annähernd bekannt, aber nach Kenntnis ihres genauen Worflautes ist es jetzt möglich, den tatsächlichen augenblicklichen Stand der Beziehungen zwischen Oesterreich und dem Heiligen Stuhl genau zu fixieren. In der österreichischen Nofe wird von dem einstimmigen Beschluß der Bundesregierung Mitteilung gemacht, die Gültigkeit des Konkordates anzuerkennen, gleichzeitig jedoch unter Hinweis auf die seit Abschluß des Konkordates eingetretenen politischen und rechtlichen Veränderungen, die manchen Bestimmungen des Konkordates widersprechen, um die Einleitung von Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Konkordates gebeten. Die Antwortnote des Heiligen Stuhles geht auf dos Ersuchen nach Verhandlungen über ein neues Konkordat nicht ein und besteht nach wie vor auf der Erfüllung der seinerzeit von Oesterreich im Konkordat übernommenen Verpflichtungen. In der Note wird die Anerkennung der Gültigkeit des Konkordates begrüßt, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, daß Anerkennen auch ein Anerkennen der Pflichten und deren Einhaltung bedeute. In 'er Nofe wird nochmals festgestellt, daß der Heilige Stuhl nach wie vor das Konkordat als in voller Kraft stehend ansehe, sich seinerseits jedoch von der Erfüllung der Verpflichtungen befreit betrachte, solange die österreichische Regierung ihrerseits nicht geneigt sei, die Kon-kordalsverpflichtungen, deren Gültigkeit sie anerkenne, zu erfüllen. Abschließend heißt es allerdings, daß das Staatssekretariat des Heiligen Stuhles bereit sei, mit der österreichischen Regierung über kleine Aenderungen (Retou-chen) zu verhandeln, unter der Voraussetzung, daß von der österreichischen Regierung volle Vertragstreue gegenüber den übernommenen Verpflichtungen an den Tag gelegt werde. — Zu solchen Verhandlungen ist es bis jetzt noch nicht gekommen. Vielleicht wird Bundeskanzler Raab bei seinem bevorstehenden Besuch in Rom sie in persönlicher Aussprache mit dem Heiligen Vater eröffnen. Von den Bestimmungen des Konkordates werden praktisch alle bis auf drei in Oesterreich beachtet. Schwierigkeiten ergeben sich nur in Teilfragen der Schule, bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten, denen das Kirchenbeitragsgesetz entgegensteht, und in den Ehebestimmungen des Konkordates, die durch die Bestimmungen des Deutschen Ehegesetzes verdrängt wurden. Gerade in der Ehefrage dürften die Verhandlungen schwierig sein, da. hier die Konkordatsbestimmungen die Zuständigkeif des kanonischen Eherechtes und der geistlichen Gerichte für alle katholisch geschlossenen Ehen vorsehen.

ANGRIFFE AUF HIRTENBRIEFE sind ungewöhnlich. Sie machen ja nur, wohlüberlegt und maßvoll, von dem in Oesterreich und anderen Kulturstaaten verbrieften und verbürgten Recht der Religionsausübung Gebrauch. Auch der jüngst veröffentlichte Fastenhirtenbrief der St.-Pöltner Bischöfe macht darin keine Ausnahme. Er fordert in diesen Wochen der Besinnung u. a. auch zu einem teilweisen Verzicht auf Süßigkeiten, Zigaretten und Kinobesuch sowie zur Mäßigkeit im Trinken auf, „zu dem Zweck, das Ersparte einem Bedürftigen zu geben“; eine Aeußerung selbstverständlicher christlicher Lebensauffassung also und ein lobenswerter Zweck, an denen, sollte man meinen, kaum jemand etwas zu mäkeln haben kann. Es haben denn auch weder die Schokoladefabriken oder Brauereien noch die Tabakregie oder die Lichtspieltheater gegen „Geschäftsschädigung“ Einspruch erhoben. Von durchaus unzuständiger Seite aber, dem Wiener Redakteur der deutschen Zeitschrift „Film-Echo“, wurde dieser Tage die Katholische Filmkommission in einem frivolen Brief gefragt, welche Maßnahmen sie gegen den Hirtenbrief, gegen diese „ungerechtfertigte Diffamierung der österreichischen Filmtheater-Wirtschaft“, inzuleiten gedenket Man muß wissen, daß die Katholische Filmkommission von den österreichischen Bischöfen selbst autorisiert ist, man muß wissen, daß der Briefverfasser immerhin die Presseagenden von vier Wiener Verleihfirmen und die Wiener Korrespondenz für das deutsche Fachorgan der Filmtheaterbesitzer betreut (die er schon mehrmals zu ähnlichen Angriffen mißbraucht hat) und daß schließlich das Verhältnis zwischen kirchlichen und filmwirtschaftlichen Kreisen trotz des verhältnismäßig guten Einvernehmens in Oesterreich doch immer wieder einer natürlichen Belastung ausgesetzt ist, um das Gefährliche eines solchen Spieles zu erkennen. Es ist nur zu hoffen, daß der zynische Angriff bleibt, was er im Grunde ist: ein zwar bösartiges, aber wirkungsloses Störfeuer.

ÖFFENTLICHE DIPLOMATIE! In einem Vorfrag über außenpolitische Probleme erklärte dieser Tage Staatssekretär Dr. Kreisky, im demokratischen Zeitalfer sei Außenpolitik nicht mehr wie früher Sache der Könige, ihrer Minister, und, wenn diese scheiterten, ihrer Generäle, sie sei vielmehr Sache des ganzen Volkes geworden. Leider hat er darauf verzichtet, in einem Rückblick etwa auf die Geschichte der letzten vierzig Jahre den Nachweis zu versuchen, daß die Demokratien ihre Außenpolitik um so viel besser als Könige und königliche Minister zu betreiben verstehen, daß ein Appell an die Kunst ihrer Generäle überflüssig geworden ist. Das hätte zu interessanten, wenn auch nicht gerade sehr ermutigenden Erwägungen führen können. Dafür hat sich der Vortragende veranlaßt gesehen, die sogenannte Geheimdiplomatie zu verurteilen und für die volle Oeffentlichkeit aller außenpolitischen Vorgänge zu plädieren; mit der Begründung, daß Geheimhaltung die notwendige Kontrolle durch das Volk, das heißt, durch dessen demokratisch gewählte Abgeordnete verhindere. Hier scheint eine bedauerliche Verkennung des Wesens der Diplomatie, aber auch des demokratischen Grundprinzips vorzuliegen. Eine demokratische Regierung ist natürlich auch für ihren außenpolitischen Kurs der Volksvertretung gegenüber verantwortlich. Das bedeutet aber keineswegs, daß diese befugt ist, jeden einzelnen außenpolitischen Schritt der Regierung zu kontrollieren und öffentlich zu diskutieren, besonders Schritte, deren Publizierung den Erfolg von vornherein ausschließt. Schließlich müßte Dr. Kreisky aus eigener Erfahrung als Parteimann sehr gut wissen, daß auch in der Innenpolitik, im inner- und zwischenparteilichen Getriebe, manche Versuche einer befriedigenden Lösung scheitern müßten, wollte man an Stelle vertraulicher. Besprechungen, und das eben ist unter „Geheimdiplomatie“ zu verstehen, jeden Meinungsaustausch an die große Glocke hängen. Noch mehr trifft dies im außenpolitischen Bereiche zu, wo die Ueberbrückung mancher zwischenstaatlicher Gegensätze nur erreicht werden kann, wenn Verhandlungen, solange kein greifbarer Erfolg erzielt ist, dem Licht der Oeffentlichkeit entzogen bleiben und somit keine Gefährdung des von jedem Staat sorgsam gehüteten Prestiges befürchten lassen.

INDES SICH DIE HERREN IM KREML DAMIT AMÜSIEREN, die westlichen Staatsmänner mit immer neuen Kapriolen um eine Konferenz „auf höchster Ebene“ in Atem zu halten, bahnt sich in der inneren Struktur der UdSSR ein Wandel an, dessen Bedeutung für die weltpolitische Situation bisher im Westen eine erstaunlich geringe Beachtung gefunden hat. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, die die Basis des sowjetischen Regimes sowohl im wirtschaftlichen als im ideologisch-politischen Sinn beträchtlich verstärken kann,. Mit der von Chruschtschow in seiner Minsker Rede vom 22. Jänner d. J. angekündigten Uebertragung des Inventars der staatlichen Maschinen-Traktoren-Stationen an die genossenschaftlich organisierten Kolchosen, ein Schritt, der das seit dreißig Jahren gültige Dogma von der politischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Führungsrolle der MTS auf dem Lande außer Kraft setzt, beugt sich das Regime der Erfahrung, daß das Staatsgut, die Sowchose, geringeren Ertrag abwirft als die Kolchose und daß auch diese genossenschaftlichen Großgüter-betriebe um so bessere Ergebnisse aufweisen, je unabhängiger sie sich von den „Hilfeleisfungen“ der MTS und der staatlichen Kontrolle machen konnten. Sollten nun alle Kolchosen durch bessere Ausrüstung und größere Unabhängigkeit die Möglichkeit bekommen, ihren Hektarertrag zu erhöhen, so müßte in Anbetracht der immensen Ausdehnung der hier in Frage stehenden Nutzfläche — insgesamt rund 200 Millionen Hektar — die Produktion der sowjetischen Landwirtschaft eine gewaltige Steigerung erfahren. Aber diese Maßnahme verfolgt sicherlich auch noch einen anderen Zweck. Als Mitglied einer Kolchose fühlt sich der russische Bauer noch immer als Mitbesitzer von Grund und Boden und „seinem“ Gut ganz anders verbunden als der aufs Land kommandierte „Arbeitsbrigadier“. Die Förderung der Kolchose soll daher nicht zuletzt dazu dienen, dem Regime ein größeres Maß von Sympathie eines Standes zu gewinnen, dessen Haltung auch' im Zeitalter der Industrialisierung und Mechanisierung noch immer von vitaler Bedeutung ist.

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