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Gültig, aber nicht wirksam?

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Die Antwort des Heiligen Stuhles auf die Note der österreichischen Bundesregierung ist rascher erfolgt, als man eigentlich annehmen konnte. Die österreichische Bundesregierung hat bekanntlich in einer Note, die Anfang dieses Jahres in Rom überreicht wurde und die selbst wieder eine Antwort darstellt auf Anfragen des Vatikans aus dem Jahre 1956 (eine Antwort, zu der sich die österreichische Bundesregierung mehr als eineinhalb Jahre Zeit gelassen hat), erklärt, daß sie die Gültigkeit des Konkordates anerkenne. Gleichzeitig hat die österreichische Bundesregierung jedoch den Heiligen Stuhl um Einleitung von Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines neuen Konkordates gebeten unter Hinweis darauf, daß einzelne Bestimmungen des Konkordates“ 1934 Bestimmungen der derzeit geltenden österreichischen Rechtsordnung entgegenstehen.

Wir wissen wohl über den Inhalt, nicht aber über den Wortlaut der österreichischen Note Bescheid, ebensowenig wie über den Wortlaut der Antwortnote des Heiligen Stuhles, da beide

Noten nicht veröffentlicht sind und auch kaum in absehbarer Zeit veröffentlicht werden dürften. Was nun den Inhalt der vatikanischen Antwortnote betrifft, so hat die „Furche“ bereits in ihrer letzten Nummer in einer kurzen Notiz darauf hingewiesen, daß der Vatikan, so weit bisher bekannt wurde, in seiner Antwortnote wohl das Bekenntnis der österreichischen Bundesregierung zur Gültigkeit des Konkordates anerkennt, jedoch erklärt, keine zufriedenstellende Antwort auf seine seinerzeitige Anfrage nach der vollen innerstaatlichen Anwendung dieses Konkordates erhalten zu haben. Der Vatikan erwarte von der österreichischen Bundesregierung, daß sie von sich aus alle Hindernisse beseitige, die einer vollen Wirksamkeit des Konkordates entgegenstehen. Abschließend soll jedoch in der Note des Vatikans die Bereitschaft angedeutet sein, über die Aenderung einzelner Punkte des Konkordates zu verhandeln. Soweit der Inhalt der beiden Noten, über deren genauen Wortlaut wir, wie gesagt, nicht unterrichtet sind.

Die Note des Heiligen Stuhles hat in Oesterreich — es hat keinen Sinn, dies abschwächen oder ableugnen zu wollen — zunächst einen gewissen Schock ausgelöst. Einen Schock sowohl bei der Regierung als auch beim katholischen Volk, weil man im ersten Augenblick darin die Gefahr eines Scheiterns aller Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung der Konkordatsfrage sah.

Diese Schockwirkung ist heute, eine Woche später, einer sachlicheren Beurteilung gewichen. Die juristische Position des Vatikans ist unangreifbar. Rechtlich ist es ja gewiß nicht zu verstehen, daß ein Vertrag wohl anerkannt, aber nicht in all seinen Punkten durchgeführt wird. Auf der anderen Seite glaubt man jedoch in Oesterreich auch überzeugt sein zu können, daß der Vatikan gewiß nicht eine verheißungsvoll begonnene Entwicklung von sich aus unterbinden will. Man hat Vertrauen in jene realistische Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten, die die vatikanische Politik und die vatikanische Diplomatie in ihrer jahrhundertelangen Geschichte immer auszeichneten. Bei allen Ueber-legungen wird daher immer mehr auf jenen Passus der vatikanischen Antwortnote Gewicht gelegt, der von der Möglichkeit von Verhandlungen über die Abänderung gewisser einzelner

Punkte des Konkordates spricht. Ohne einer kommenden Entwicklung vorgreifen zu wollen und ohne sich in müßige Spekulationen über die verschiedenen Möglichkeiten dieser Entwicklung einzulassen, kann doch gesagt werden, daß diese Entwicklung nicht unwesentlich dadurch beeinflußt wird, wie weit durch ein vorsichtiges diplomatisches Abtasten Art und Umfang dieser Verhandlungen, von denen der Heilige Stuhl spricht, sowie Umfang und Bedeutung jener Punkte, über die verhandelt werden soll, bestimmt wird.

Sieht man heute die vatikanische Antwortnote und die in ihr liegenden Möglichkeiten ruhiger und sachlicher, so kann man auch den Wert der ihr vorangegangenen österreichischen Note heute sachlicher beurteilen. Ob diese Note gut oder weniger gut stilisiert war, können wir schon deswegen nicht entscheiden, weil wir ihren Wortlaut nicht kennen. Daß sie aber im Ganzen einen — längst fälligen — positiven Schritt darstellt, wie immer auch die Verhandlungen ausgehen, kann heute wohl nicht bestritten werden. Es kann wohl auch keinen Zweifel mehr darüber geben, daß diese Note mehr bedeutet als eine bloß platonische völkerrechtliche Anerkennung des Konkordates, ohne Folgerung Und ohne Auswirkung auf ihre innerstaatliche. Anwendung. ••- •• ' ~'r*Ainl 1

In dieser Note hat Oesterreich die Gültigkeit des Konkordates anerkannt. Dadurch hat Oesterreich jenen Artikeln des Konkordates, die bisher mindestens de facto beobachtet wurden, wenn überhaupt nötig, nunmehr auch den Charakter der formellen Beobachtung verliehen. Waren sie bisher de facto Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung, so sind sie nunmehr

auf Grund desBekenntnisses der österreichischen Regierung zur Gültigkeit des Konkordates auch de jure Bestandteil dieser Rechtsordnung.

Wie weit es nun überhaupt möglich ist, zwischen der völkerrechtlichen Anerkennung und der innerstaatlichen Gültigkeit des österreichischen Konkordates 1934 einen Unterschied oder einen Gegensatz zu machen, müßte uns ein Blick auf die juristische Seite der gesamten Konkordatsmaterie zeigen. Ein solcher Vorgang wird sich schon deshalb empfehlen, weil das Konkordat nach der übereinstimmenden Meinung aller daran interessierten Kreise, auch jener, die bisher zu ihm negativ eingestellt waren, eine Rechtsfrage darstellt, die mit juristischen Argumenten behandelt werden will.

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Der Zufall will es, daß gerade in diesen Tagen eine Publikation erschienen ist, die sich ausführlich mit der gesamten Materie befaßt. In der Sammlung „Handausgabe österreichischer Gesetze und Verordnungen“ hat der Verlag der Oesterreichischen Staatsdruckerei nunmehr als Band 15 der Gruppe I das „Oesterreichische Staatskirchenrecht“ veröffentlicht, das sehr eingehend zum Konkordat Stellung nimmt*.

In ihrem Kommentar zum Konkordat 1934 weisen die Herausgeber darauf hin, daß mit einer einzigen Ausnahrae alle Juristen auf dem Standpunkt stehen, daß OesterreicijnJht 138. pm Deutschen Reich okkupiert und nicht annelctiert worden ist. Die Identität des österreichischen Staates als Völkerrechtssubjekt sei nicht unterbrochen worden und daher auch nicht die Gültigkeit der von diesem Völkerrechtssubjekt abgeschlossenen Staatsverträge. Das Konkordat sei daher in völkerrechtlicher Hinsicht im Umfang vom 1. Mai 1934 in Geltung.

Was nun die innerstaatliche Wirksamkeit des Konkordates betrifft, so weisen die Herausgeber des Oesterreichischen Staatskirchenrechtes in ihrem Kommentar zum Konkordat auf eine Reihe von Stimmen österreichischer Juristen hin, die die innerstaatliche Wirksamkeit des Konkordates nach 1945 annehmen. Mit dem Wiedererstehen Oesterreichs im Jahr 1945 ist auch die juridische Ordnung Oesterreichs aus der Zeit vor der Besetzung wieder aufgelebt. Nun war das Konkordat ohne Zweifel ein Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung des Jahres 1938. Wohl hat der Gesetzgeber 1945 die Verfassung von 1934 annulliert und sie durch die Verfassung 1920 in der Fassung von 1929 ersetzt. Was nun jene Konkordatsbestimmungen betrifft, die nach Artikel 30 Absatz 4 der Verfassung 1934 die Kraft von Verfassungsbestimmungen erhalten haben, so bekennen sich die Herausgeber des Oesterreichischen Staatskirchenrechtes unter Zitierung zahlreicher zustimmender Meinungen zu der Auffassung, daß durch das Verfassungs-überleitungsgesetz vom 1. Mai 1945 (StGBl. 4/45) diese Artikel wohl ihres verfassungsrechtlichen Charakters entkleidet worden seien, grundsätzlich jedoch als Teile des Konkordates in Wirksamkeit stünden.

Das Verfassungsüberleitungsgesetz 1945 hat alle nach dem 5. März 193 3 erlassenen Bundesverfassungsgesetze, in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen und verfassungsrechtliche Vorschriften enthaltene Verordnungen sowie alle für den Bereich der Republik Oesterreich von der Deutschen Reichsregierung erlassene Gesetze, Verordnungen und sonstige Anordnungen verfassungsrechtlichen Inhaltes aufgehoben. Das Konkordat war jedoch weder von der Deutschen Reichsregierung erlassen worden noch war es ein Bundesverfassungsgesetz oder eine in einem einfachen Bundesgesetz enthaltene Verfassungsbestimmung noch weniger eine Verordnung. Das Konkordat war ein Staatsvertrag, auf den alle diese aufgezählten Bezeichnungen nicht zutreffen. Wenngleich mit dem Verfassungsüberleitungsgesetz gewisse Teile des Konkordates die Kraft von Verfassungsbestimmungen verloren haben, so werde die Geltung dieser Konkordatsbestimmungen, wie die Herausgeber des Staatskirchenrechtes in ihrem Kom-

*„Oesterreichisches Staatskirchenrecht.“ Vertassungsbestimmungen, Staatsverträge, Gesetze, Verordnungen und Erlässe Staatskirchen-rechtlichen Inhaltes, grundlegende Organisationsvorschriften innerkirchlicher Natur, Kirchenbeitragsordnungen und Religionsunterrichtslehrpläne. Mit Er-läutei|ingenj unser VerajbetHng der Rechtsprechung des Reichsgericntes, des Vef rassungsgerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes, des Bundesgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes sowie des einschlägigen Schrifttums. Nach dem Stand vom 1. August 1957 herausgegeben von Dr. Hans Klecatsky und Dr. Hans Weile r, Ministerial-sekretäre im Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst. Wien 1958. Druck und Verlag der Oesterreichischen Staatsdruckerei.

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