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Der österreichische Staat und die Kirche

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Oesterreichisches Staatskirchenrecht. Von Dr. Hans Klecatsky und Dr. Hans Weiler. Verlag der Oesterreichischen Staatsdruckerei, Wien. Preis 240 S

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Oesterreichisches Staatskirchenrecht. Von Dr. Hans Klecatsky und Dr. Hans Weiler. Verlag der Oesterreichischen Staatsdruckerei, Wien. Preis 240 S

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Die katholische Kirche nimmt für sich in Anspruch, eine göttliche Stiftung zu sein und den Auftrag zu haben, die Wahrheiten der göttlichen Offenbarung sowie die Sittengebote allen Menschen zu verkünden. Nur ein Staat, dessen sämtliche Staatsangehörige überzeugte Katholiken sind, wäre in der Lage, die katholische Kirche als das anzuerkennen und zu behandeln, als was sie sich selbst bezeichnet. Ein Staat dagegen, dessen Bürger nur zum Teil noch gläubige Katholiken sind, kann dies nicht: er muß vielmehr versuchen, die Erscheinungsform der katholischen Kirche innerhalb seines Staatsgebietes in die ihm gemäßen Begriffe einzuordnen; sie unter die ihm .' allein möglich und... tragbar scheinenden Rechtsnormen zu bringen. Der moderne Staat, der die katholische Kirche nicht mehr als das anerkennen kann, was sie ihrer eigenen Lehre nach ist, befindet sich in der Zwangslage, sie als etwas nehmen zu müssen, was sie wiederum nach ihrem eigenen „Ver-standenseinwollen“ n i c h t“*!st.

Umgekehrt fällt es aber auch der katholischen Kirche schwer, alle Ansprüche des souveränen Staates anzuerkennen. Nach einem häufig vertretenen, sogenannten neuzeitlichen Souveränität s-be griff hinge es zum Beispiel nur vom politischen Denken ab, welche Aufgaben sich der Staat durch seine Verfassung setzt; ob er etwa überhaupt verzichtet, auf einem Gebiet eine Regelung zu treffen bzw. sich selbst bindende Beschränkungen aufzuerlegen oder, nicht. . , nsfnciifosKi .:-„ :uw nnEb .rjUßansdBTic; ainiriui

öPjWtfeMfjÄäfenis 'Vönsmoderiv?mr Staat: und.,katholischer Kirche ist demnach ffi serfern es in friedlicher Weise geregelt werden soll — stets charakterisiert durch Kompromißlösungen, die den Ansprüchen beider Seiten niemals ganz gerecht werden können. Bei der Gesamtkirche geht das in formaler Hinsicht noch am einfachsten, da der Heilige Stuhl sich selbst, wenn auch nicht in erster Linie, als Völkerrechtssubjekt betrachtet: Das Verhältnis von Staat und Heiligem Stuhl läßt sich im Sinne eines Nebenein-anders ordnen; nicht aber das Verhältnis von einem sich allein souverän dünkenden Staat und der Kirche innerhalb eines solchen Staatsgebietes.

Die Schwierigkeiten sind auch je nach dem Staatsdenken der verschiedenen Zeitalter unterschiedlich. Zwar hat der Staat der Neuzeit fast immer die Kompetenz beansprucht, im Wege des „Staatskirchenrechtes“ die Einordnung von Religionsgenossenschaften in seine Rechtsordnung zu vollziehen, aber politische und rechtliche Umwälzungen haben ihre Unterscheidungsmerkmale gerade auf diesem heiklen Rechtsgebiet am nachdrücklichsten dokumentiert. Denken wir etwa an die Verhältnisse in Oesterreich: die Aufeinanderfolge von Josephinismus und der kurzen Epoche des engen Zusammenwirkens und gleichberechtigten Nebeneinanders der beiden souveränen Gebilde „Kirche und Staat“ während der Gültigkeit des Konkordats von 1855 ; an den Kampf des Liberalismus gegen dieses Zusammenwirken mit dem Ergebnis der „Dezemberverfassung 1867“, die das so wichtige und auch heute noch grundlegende Gesetz vom 21. Dezember, 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger brachte. Später haben die demokratische Republik, der Ständestaat und weitergeltende Gesetze aus der Zeit der Besetzung Oesterreichs durch das Deutsche Reich fühlbare Spuren hinterlassen. Jede einzelne dieser Normierungen gibt Zeugnis von ganz bestimmten Vorstellungen und Bestrebungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche gestalten wollten. „Unorganisch und flickwerkartig, meist unter Mißachtung aller legistischen Regeln, entstand so das österreichische Kultusrecht von heute: ein unübersichtlicher und trügerischer Dschungel.“

Seit dem Jahre 1895 ist in Oesterreich keine Sammlung des geltenden Staatskirchenrechtes in Form einer kommentierten Textausgabe, systematisch geordnet, mit dem Anspruch möglichster Vollständigkeit erschienen. Erst jetzt haben die Ministerial-sekretäre im Bundeskanzleramt — Verfassungsdienst, Dr. Hans Klecatsky und Dr. Hans Weiler, das „Oesterreichische Staatskirchenrecht“ nach dem Stand vom 1. August 1957 neu herausgegeben. Man glaubt gerne die im Vorwort gebrachte Bemerkung, daß diesem Werk eine jahrelange intensive Beschäftigung mit dem Gegenstand zugrunde liegt. Die Systematik des Werkes läßt das derzeit geltende Oesterreichische Staatskirchenrecht anschaulich werden und ist eine unentbehrliche Voraussetzung für eine organische Neugestaltung dieses schwierigen Rechtsstoffes — wenn es je zu einer solchen Neugestaltung kommen sollte! Durch die Arbeit der beiden Herausgeber erscheint eines der kompliziertesten Rechtsgebiete wesentlich übersichtlicher, als dies in Wirklichkeit der Fall ist, und wird auch dem Nichtfach-mann zugänglich gemacht.

Die beiden Herausgeber haben sich nicht gescheut, sogenannte „heiße Eisen“ anzufassen. Auf ihre Darlegungen zur Frage der Gültigkeit des Konkordates wurde hier bereits einmal Bezug genommen. (Siehe „Die Furche“, Nr. 7, vom 15. Februar 1958, Seite 4 f.) Vielleicht noch entscheidender ist ihr Kommentar zu Artikel 15 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. Das Wesen dieser Grund- und Freiheitsrechte wird von den beiden Herausgebern darin gesehen, daß sie die Schranken bezeichnen, die staatliche Organe bei Ausübung der staatlichen Funktionen, einschließlich der Funktion der einfachen Gesetzgebung, dem einzelnen Staatsbürger gegenüber zu wahren haben! Es können daher weder die Organe der Religionsgenossenschaften, wenn sie auf dem Gebiete der „inneren Angelegenheiten“ tätig sind, als Staatsorgane tätig sein, noch kann das von ihnen in dieser. Funktion geschaffene Recht staatliches Recht sein, noch können überhaupt die „inneren Angelegenheiten“ zum Aufgabenbereich des Staates gehören! Die beiden Herausgeber wenden sich damit entschieden gegen rechtliche Konstruktionen, die in letzter Konsequenz immer wieder zum Staatsabsolutismus tendieren und die mit dein Anspruch auf staatliche Aufsichtsrechte für alle kirchlichen Angelegenheiten auch in unseren Tagen spürbar werden.

Das vorliegende Werk ist somit nicht nur wegen des hervorragenden Gegenstandes und der Fülle des verarbeiteten Materials, sondern insbesondere auch wegen der in den zahlreichen Anmerkungen enthaltenen grundlegenden Rechtsansichten von fundamentaler Bedeutung. Es verdient um so mehr einen Ehrenplatz in der wissenschaftlichen Literatur unseres Landes, als darin bewiesen erscheint, wie wichtig es ist, selbst in einem der Praxis dienenden juristischen Sammelwerk das weltanschauliche Fundament nicht zu verlieren, durch welches der Mensch als Bürger zweier Welten charakterisiert erscheint, und zwar als Bürger der diesseitigen Ordmingsmacht des Staates ebenso wie der Welt der überirdischen Bestimmung jedes einzelnen. „Die Regelung des Verhältnisses des Staates zu den Kirchen und Religionsgesellschaffen gehört zu den fundamentalen Ord-nungsaufgaben, die dem Abendlande gestellt sind.“ Hier mit den Mitteln des Rechts und der Rechtswissenschaft beizutragen, war die Absicht, von der die Herausgeber bei der Abfassung des Werkes geleitet wurden. Wer immer der Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Oesterreich Interesse entgegenbringt und daher dieses Buch zur Hand nimmt, wird — auch als Nichtfachmann im engeren Sinne — ergriffen sein von der ungeheuren geistigen Aufgabe, die dem Menschen des Abendlandes bei der Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat gestellt ist. Daß dieses Grundanliegen auf fast jeder Seite des besprochenen Werkes zum Ausdruck kommt, dürfte das höchste Lob sein, das man den beiden Herausgebern für ihre Leistung zollen kann.

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