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Ein Wort in ernster Stunde

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Am vergangenen Dienstag, dem 6. November, wurde im Ministerrat das österreichische Konkordat behandelt. Anlaß hierzu war eine Verbalnote des Apostolischen Stuhls vom 22. September, in der die Bundesregierung neuerlich gebeten wurde, sich zu äußern, ob sie die Gültigkeit des Konkordats vom Jahre 193 3 anerkenne und beabsichtige, die Bestimmungen des Konkordats einzuhalten. Dieser Schritt des Apostolischen Stuhls ist lediglich einer unter anderen, dem in den letzten Jahren viele vorausgegangen sind. Sie haben bisher zu keinem Ziel geführt. Im Laufe der Auseinandersetzungen im Schöße der Bundesregierung wurde vom Sprecher der Sozialistischen Partei. Bundesminister Helmer, die Erklärung abgegeben, daß die Voraussetzung jeder Regelung in der Konkordatsfrage eine Einigung der beiden Koalitionsparteien auf dem Schulgebiet sei. Er schlug auch vor, in der Antwort an den Apostolischen Stuhl festzuhalten, daß die beiden Koalitionsparteien in der Frage der Gültigkeit des Konkordats verschiedener Meinung seien.

Nach der Verfassung müssen Beschlüsse der Bundesregierung einstimmig erfolgen. Die amtliehe Aussendung gibt hierzu bekannt: „Da keine übereinstimmende Auffassung erzielt werden konnte, wurde der Antrag des Bundesministers für die Auswärtigen Angelegenheiten nicht angenommen.“

Was hatte Bundesminister Figl beantragt? Auch darüber gibt die amtliche Aussendung Auskunft: „Die Bundesregierung möge“ dem Apostolischen Stuhl bekanntgeben, daß sie zur Bereinigung der schwebenden Streitfrage bereit sei,

a) in Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Konkordats zwischen Oesterreich und dem Heiligen Stuhl einzutreten, und

b) in ein neues Konkordat eine Formulierung aufzunehmen, daß durch dieses Konkordat das Konkordat vom 5. Juni 1933 aufgehoben erscheint.

Wer, ohne die Hintergründe zu kennen, den Antrag des Außenministers und die Erklärung Helmers im Namen der sozialistischen Regierungsmitglieder liest, mag der Meinung sein, daß es sich hier anscheinend nur um eine geringfügige Streitfrage handelt. Dem ist aber keineswegs so. Der Apostolische Stuhl hätte sich wahrscheinlich nie veranlaßt gesehen, die Bundesregierung zu fragen, ob sie die Gültigkeit des Konkordats-anerkenne, wenn nicht von sozialistischer Seite seit Jahr und Tag m i t ständig wechselnden Argumente n die Gültigkeit bestritten und der Abschluß eines neuen Konkordats verhindert worden wäre.

Angesichts der Tatsache, daß Oesterreich als Rechtssubjekt nie untergegangen ist, gelten nach Völkerrecht internationale Verträge, die vor dem März 1938 abgeschlossen wurden, auch weiterhin als zu Recht bestehend. Während dieser Grundsatz österreichischerseits im allgemeinen angewendet wird, sträubten sich die Sozialisten, ihn auch auf das Konkordat anzuwenden. Das letzte Argument, das sie hierbei bei der Debatte über die Regierungserklärung im Juli 1956 vorbrachten, ging dahin, daß sie als politische Partei bei der Beschlußfassung über das Konkordat im Jahre 1934 ausgeschlossen waren und daher das Konkordat niemals anerkennen würden. Bei dieser Debatte erklärten sie zum erstenmal anderseits ihre Bereitschaft, Verhandlungen über ein neues Konkordat nicht grundsätzlich abgeneigt zu sein. Als jedoch im Ministerrat der Außenminister einen akzeptablen Kompromißvorschlag einbrachte, fand er nicht die Zustimmung der Sozialisten. Damit haben sie neuerlich bewiesen, daß sie gegen eine Neuregelung der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem österreichischen Bundesstaat seien. Das Junktim in der Schulfrage erweist die Sozialisten als sehr gelehrige, Schüler sowjetischer Verhandlungs-'lethoden, denn auch Moskau hat, so lange es den Abschluß des Staatsvertrages nicht wünschte, immer neue Vorfragen aufgeworfen, auf deren Regelung man bestand, bevor an einen Abschluß des Staatsvertrages gedacht werden konnte.

Alle Argumente, die die Sozialisten bisher vorgebracht haben, hatten ein und dieselbe Grundlage: das Verhältnis von Staat und Kirche ungeregelt zu belassen. Vielleicht wäre dieser Zustand nie eingetreten, wenn bei den Koalitionsverhandlungen von beiden Parteien über diese Frage, die eine der Grundfragen der österreichischen Demokratie ist, klare Vereinbarungen herbeigeführt worden wären. Gerade für den, der an den Grund- und Freiheitsrechten Oesterreichs interessiert ist, war es immer wieder enttäuschend, zu sehen, daß der sozialistische Standpunkt, einer Regelung aus dem Weg zu gehen, die Oberhand gewonnen hat. So wurde die Bundesregierung nach und nach in eine politische Sackgasse gedrängt, aus der herauszukommen, wie wir hoffen, die führenden Männer beider Parteien die notwendige staatsmännische Kunst besitzen werden.

Der gegenwärtige Zustand ist wirklich unerträglich. Es darf nicht vergessen werden, daß das Konkordat auch ei in österreichisches Bundesgesetz ist und die Bundesregierung wie alle Organe der Vollziehung verpflichtet ist, österreichisches Recht anzuwenden. Wo würde das System des Rechtsstaates hinführen, wenn ein Koalitionspartner durch seine Ablehnung die Anwendung österreichischer Gesetze verhindern könnte? Das Argument, daß die Sozialisten beim Abschluß des Konkordats nicht mitstimmen konnten, wirkt sehr einseitig angesichts der Tatsache, daß die gleichen Sozialisten eine Reihe von Einrichtungen aus der Dollfuß-Sehuschnigg-Zeit gerne übernommen haben. Es sei hier nur erwähnt, daß sie auch bei der Einrichtung der Sicherheitsdirektoren nicht mitgewirkt haben und sich heute sehr energisch dagegen sträuben, dieses Amt wieder aufzuheben, weil es ihnen politische Vorteile bringt. Auch die allgemeine Wehrpflicht wurde erst 1936 durch die Regierung Schuschnigg eingeführt. Es ist uns nicht bekannt, daß von sozialistischer Seite mit dem Argument, sie hätten damals nicht mitgewirkt, die Wiedereinrichtung in der Zweiten Republik abgelehnt wurde. Was aber würde geschehen, wenn morgen ein Koalitionspartner in der Bundesregierung die Anwendung eines anderen Staatsvertrages ablehnen würde, bloß weil man durch ein Junktim mit änderen politischen Forderungen aus einer solchen Lage politisches Kapital schlagen wollte? Wie aber kann die Bundesregierung auf der Einhaltung des Gruber-Degasperi-Abkom-mens über Südtirol bestehen, wenn sie auf der anderen Seite einem anderen Staatsvertrag die Rechtmäßigkeit absprechen will?

Nochmals sei umerstrichen, daß das Konkordat nicht nur ein internationaler Vertrag, sondern auch österreichisches Gesetz ist. Es ist richtig, daß dieses Gesetz in verschiedenen Punkten in seiner Anwendung eingeschränkt wurde, vor allem dadurch, daß durch die nationalsozialistische Gesetzgebung, die von der Zweiten Republik übernommen wurde, mehrfach eine andere Rechtslage geschaffen wurde. Das allein wäre Anlaß genug, .neue Verhandlungen mit dem Apostolischen Stuhl zu rechtfertigen. Die Situation wird aber noch dadurch erschwert, daß auch bei der Anwendung der geltenden Bestimmungen des Konkordats keine Einheitlichkeit herrscht. Was soll man etwa dazu sagen, wenn der Verwaltungsgerichtshof in allen einschlägigen Erkenntnissen die Gültigkeit des Konkordats bestätigt und das Gesetz anwindet, wenn anderseits trotz gegenteiliger Meinung des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes neuestfns Behörden den Standpunkt vertreten, daß durch das Verfassungs- und Ueberleitungsgesetz von 1945 noch weitere Bestimmungen des Konkordats außer Kraft getreten seien? Es ist - nicht abzusehen, welche Rechtsunsicherheit hieraus entsteht.

Vergessen wir doch nicht, daß die Frage des Rechtsverhältnisses von Staat und Kirche mit zu den Grund- und Freiheitsrechten jedes einzelnen Staatsbürgers gehört. Das Konkordat ist in diesem Zusammenhang nur eine Teilfrage, denn auch für die evangelische Kirche liegen die Probleme ganz ähnlich, weil auch hier größte Rechtsunsicherheit herrscht.

Staatssekretär Gschnitzer hat jüngst in einem Vortrag gesagt: „Jede Verletzung an Freiheit und Recht rächt sich. Wir müssen beides verteidigen und vertreten, im großen wie im kleinen!..“ Ein Zustand, daß ein internationaler Vertrag von einer Regierungspartei nicht anerkannt wird, die Anwendung des darauf beruhenden Rechtes der Unsicherheit und Willkür ausgeliefert ist und die Klärung dieser Frage seit Jahren verhindert wird, ist eines der ernstesten Mahnzeichen im rechtssta.a fliehen System unserer österreichischen Demokratie. * , *

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