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Wahrheit ohne alle Schminke

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„Für den Erzbischof von Wien zählt zu den denkwürdigsten Ereignissen des vergangenen Jahres (I960) dte Tatsache, daß zum erstenmal in der Geschichte Österreichs ein fteigewähltes, demokratisches Parlament einen Vertrag zwischen Kirche und Staat, einen Konkordatsvertrag, gebilligt und ratifiziert hat.“

Diese Worte des Wiener Kardinals aus seiner Botschaft zum Jahresbeginn 1961 enthüllen gleichzeitig versteckt die Tragödie der beiden Konkordat« von 1855 und 1933: daß sie von Regierungen abgeschlossen wurden, die keinen Rückhalt in freigewählten Parlamenten hatten, wodurch beide Konkordate in einer schlechten historischen Stunde das Licht der Welt erblickten nnd unter diesem Geburtsmangel cchwer zu leiden hatten. Dieser Geburtsmangel bewirkte es aber auch, daß beide Konkordate immer wieder mit von Leidenschaften getrübten Blicken beurteilt wurden. Erika Weinzierl, Angehörige des Österreichischen Staatsarchive, Absolventin des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung, unternimmt es, diese schwere Materie endlich sine ira et studio zn betrachten, einzig von dem Wunsch beseelt, den jede echte Geschichtsforschung beseelen muß: die Wahrheit ohne alle Schminke festzustellen.

Diese Betrachtung, richtiger gesagt, diese kritische Untersuchung, eröffnet nun völlig neue Aspekte über beide Konkordate. Vor allem die Erkenntnis, daß beide Verträge ganz andere Väter haben als jene, die gemeiniglich als ihre legitimen gelten. Da ist zunächst das Konkordat von 1 55: es gilt weithin als ein „Produkt“ der absolutistischen Ära, die von 1850 an Österreich „niederdrückte". Die Väter dieses Konkordats waren ganz andere: da ist zunächst die Kurie, die seit 1816 einen zähen Kampf für die Befreiung des österreichischen Katholizismus aus den Fesseln des Josefinismus kämpfte; da ist die katholische Emeuerungsbewegung in Österreich, die mit Clemens Maria Hofbauer begann; und da ist schließlich die Revolution von 1148, die das Prinzip der Freiheit forderte nnd dieses Prinzip der Kirche nicht vorenthalten konnte. Diese drei Mächte sind die eigentlichen Väter des Konkordats von 1855, und nicht der josefinische Staat Nummer zwei, der 1 50 ins Leben trat. Der Josefinische Staat Num

mer eins hatte die Kirche in Österreich unterjocht, um sich ihre Hilfe zu sichern. Der josefinische Staat Nummer zwei konnte sich die Kirche nicht mehr unterjochen, denn sie forderte mit vollem Recht ihr« Freiheit.

Um sich aber doch ihre Hilfe zu sichern, gab er ihr die Freiheit unter der Bedingung, daß sie mit ihm ein Bündnis schloß. Die Kirche ging auf diese Bedingung ein — und erbte allen Haß, der diesem josefinischen Staat Nummer zwei von allen Seiten entgegengebracht wurde. Sein Fall riß auch das Konkordat mit sich. Allerdings nicht ganz. Denn wieder bewährte sich die Treue des Hauses Habsburg zur Kirche, und wenn Franz Joseph auch nicht viel Positives für die Kirche tun konnte, so hat er doch viel Böses verhindert, Wenn das Konkordat auch fiel, so blieb doch ein wesentlicher Erfolg für die Kirche, der ihr nicht mehr genommen werden konnte: die endgültige Befreiung aus den Fesseln des losefntismus, der die katholische Kirche in Österreich zu einem (sehr gut funktionierenden) Ministerium herabgedrückt hatte.

Neben dem Konkordat von 1855 hat aber auch daa Konkordat von 1934 ganz andere Väter als den autoritären Staat von 1933. Dieses Konkordat hat eigentlich nur einen legitimen Vater: es ist die Sozialdemokratische Partei, richtiger gesagt, deren Mitglied, Nationalrat Sever, der durch seine Dispensehen, die „Sever“-Ehen, ein unvorstellbares Chaos auf dem Gebiet der Ehe anrichtete, das nicht einmal die gewiegtesten Juristen zu entwirren vermochten. Dieser Ehewirrwarr bewog die österreichischen Regierungen, lange vor Dollfuß, mit dem Apostolischen Stnhl in Verhandlungen zu treten, um auf dem Umweg über ein Konkordat Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen. Der Kernpunkt dieses neuen Konkordats sagte schließlich: katholische Ehen, die in der Kirche geschlossen werden, unterliegen dem katholischen Eherecht. Das Konkordat sagte nicht ausdrücklich, schloß aber den folgenden Standpunkt nicht aus: Ehen, die nicht in der Kirche, sondern nach staatlichem Recht geschlossen werden, unterliegen nur diesem. Voraussetzung ist, daß der Staat ein neues Eherecht schafft. Als Dollfuß zur Herrschaft kam.

war das Konkordat längst fertig, Dollfuß mußte es nur noch unterzeichnen. Was er auch tat. Was er aber nicht tat, war die Erlassung eines Gesetzes über die Einführung der fakultativen Zivilehe. Und das neue Konkordat kam somit in den Geruch, ein Instrument zugunsten der autoritären Regierung zu sein. Die schlechte historische Stunde, die das Konkordat von 1 55 hatte, erbte auch das Konkordat von 1934.

Wie das Konkordat von 1 55 zu Fall gebracht wurde, aber seine wesentliche Leistung die Befreiung von josefinischer Knechtschaft blieb, so konnte auch das Konkordat von 1934 im wesentlichen ge rettet werden. Denn die Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat im Jahre 1960 sind ja nichts anderes, als sehr späte Legalisierungen dieses Konkordats durch ein fteigewähltes Parlament. Zu bedauern ist nur, daß das Werk von Frau Dr. Weinzierl nicht schon früher erschienen war, es hätte vieles zur Klärung in den Beziehungen zwischen beiden Gewalten beitragen können; nicht nur zur Klärung, sondern auch zur Beruhigung der sozialistischen Seite, die endlich das Konkordat von 1934 ohne Affekt hätte betrachten können. Aber vielleicht ist dies für das Gebiet der Ehefragen nun doch möglich…

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