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Konkordatsvision in Rom

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Getreu der Maxime, daß im irdischen Bereich die Kirche nicht nach unverrückbaren Prinzipien verfahren, sondern zur Verfolgung der ewigen Ziele eine bewegliche Taktik der Anpassung und steten Verjüngung verfolgen sollte, hat auch der Heilige Stuhl gegenüber dem italienischen Staat seit hundert Jahren drei verschiedene Positionen bezogen.

Im Verhältnis zum vorwiegend liberalen Italien, das dem Papsttum mit Cavours Worten „eine freie Kirche in einem freien Staat“ anbot, und einem Königshaus, das auf dem

Rücken einer von der kapitalistischen Wirtschaft gestützten Elitebewegung im Zeichen des Nationalstaates an die Macht gelangt ist, verfolgte der Heilige Stuhl eine Politik des Disengagement. Sie ist im päpstlichen Rundschreiben „non expedit“ zum Ausdruck gekommen: Pius IX. untersagte den Katholiken die Beteiligung an einem Staate, der ihre fundamentalen Glaubenssätze als vergängliche Zeugen einer vergangenen Epoche betrachtete und der Religion im Schatten wissenschaftlicher Erkenntnisse nur noch ein kurzes Leben prophezeite.

Nicht mehr Tabu

Der Gefangene des Staates, von Vittorio Emanuele I. aus der alten Papstresidenz des Quirinais vertrieben und in die vier Wände des apostolischen Palastes verbannt, wartete seinerseits das Absterben des Liberalismus als eine dem ausgehenden 19. Jahrhundert, nur ihm den Stempel aufdrückende geistige und politische Bewegung ab. So manchen ,,-ismus“ hatte das Papsttum kommen und gehen gesehen. Es bestand gute Aussicht, daß da, wo es selbst auf eine bald zweitausendjährige Existenz zurückblickte und bei der Gestaltung der europäischen Geschichte stets ein Wörtchen mitzureden hatte, der sich in jenen Tagen sehr stolz gebärdende Liberalismus als richtungsgebende Kraft über kurz oder lang von der Weltbühne abtreten werde. Zuerst im sozialen Bereich, vor allem durch Leos XIII. Enzyklika Rerum Novarum, dann in einigen politischen Empfehlungen vertrat der Vatikan gegenüber dem liberalen und kapitalistischen Elitenstaat immer eindringlicher und überzeugender die Interessen der breiten Massen und ihrer erwachenden Führungsschicht.

Nach dem ersten Weltkrieg forderten die veränderten Verhältnisse ein neues kirchliches Einvernehmen mit dem italienischen Staat. Ein erstmals weltweites Völkerringen hatte das Kräfteverhältnis in Europa verschoben. An die Stelle großer katholischer Nationen und rom treuer Monarchen traten revolutionäre Volksbewegungen mit einem unabdingbaren Weltherrschaftsanspruch. Überall, auch in Italien, vor allem in den großen norditalienischen Städten, legten Arbeiterstreiks und Fabrikbesetzungen die Wirtschaft lahm. Das Schreckgespenst einer linksgerichteten, kommunistischen Machtübernahme ging dm Land um. Als Reaktion kamen Faschismus und Nationalsozialismus — und ihr Sturz. Die Sowjetunion ist gestärkt aus einem Weltkrieg her- vorgegängen, den nur noch zwei Großmächte mit einem riesigen Hinterland und einem schier unerschöpflichen Potential an Menschen und Rohstoffen zu ihren Gunsten auswerten konnten. Was die angestammt katholischen Länder noch ihr eigen nennen konnten, fiel in der Auseinandersetzung mit den beiden Supermächten von nun an nicht mehr entscheidend ins Gewicht.

Westanschluß auf Zeit

Angesichts dieses veränderten Kräfteverhältnisses bezog der Vatikan eine neue Haltung. Daß der Heilige Stuhl sich vorerst nach Amerika ausrichtete, war angesichts des offenen Weltherrschaftsanspruches des Kommunismus (äußeres Anzeichen: die Neuauflage der kommunistischen Internationale) nur selbstverständlich. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß Pius XII. 1949 erst nach längeren Unterredung mit Alcide De Gasperi und seinem Außenminister Graf Sforza und erheblichem Zögern für Italiens Beitritt zur NATO gewonnen werden konnte. Nicht einmal der vorletzte Papst übersah die beträchtlichen Differenzen, die den römischen Katholizismus vom amerikanischen Neokapitalismus (und vom amerikanischen Katholizismus!) trennten.

Mit der Überwindung des kalten Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und der Thronbesteigung des Volkspapstes Johannes XXIII. erhielten wieder neue Kräfte im italienischen Katholizismus Oberwasser. Der Katholizismus besann sich auch wieder der großen Affinität, die ihn mit gewissen Zügen des Sozialismus verbindet. In der leider viel zuwenig beachteten ersten römischen Diöze- sansynode legte Papst Johannes für den Klerus seines engsten und eigensten Jurisdiktionskreises fest, daß sich angesichts des Hungers zweier Drittel der Erdbevölkerung kein Priester ohne zwingenden Grund ein Auto leisten sollte. Mochten durch diese Empfehlungen lediglich die Priester in der Urbs, der Ewigen Stadt, angesprochen sein, so waren im Grund genommen doch alle Priester, ja alle Menschen des Weltkreises, des Orbis gemeint: das Elend auf der Welt versagt jedem das Recht auf Luxus und Wohlstand.

Unter solchen Voraussetzungen waren die Friedensschlüsse zwischen dem Papsttum und dem italienischen Sozialismus, nach außen hin die Begegnungen Pietro Nennis mit Johannes XXIII. und Paul VI., nur noch eine Frage der Zeit. Die Aper- tura a sinistra (Linksöffnung) der Democrazia Cristiana hatte dieser Neuorientierung des Heiligen Stuhles den politisch festgefügten Rahmen verliehen.

Arbeitsteilung...

Freilich hätten es die italienischen Kommunisten gerne gesehen, wenn sich die Linksöffnung der Democrazia Cristiana nicht vor ihren Toren verschlossen hätte. Doch was nicht ist, konnte noch werden. In Erwartung des für sie zu guter Letzt Unvermeidlichen machten sich die Jünger Togliattis und Longos seit zwei Jahrzehnten für eine Zusammenarbeit auf nationaler Ebene mit allerlei Zugeständnissen anheischig. Bereits im Jahre 1947 liehen sie den Christlichdemokraten ihre Stimmen,

um gegen die sozialistische und liberale Opposition die Aufnahme der Lateranverträge in die italienische Verfassung zu erwirken. In vielen anderen Belangen (Ablehnung der Ehescheidung, Beibehaltung des obligatorischen katholischen Religionsunterrichtes in den Schulen) haben die Kommunisten der Democrazia Cristiana immer wieder eine Rückendeckung gegen die laizistischen Vorstöße der liberalen, republikanischen und sozialistischen Partei verschafft.

Im letzten von Togliatti geleiteten Parteikongreß wurde in Anwesenheit Suslows schließlich eine Art Arbeitsteilung zwischen Kirche und Staat, Religion und Partei, ausgehandelt. Der Kirche wurde das Recht der Regelung überirdischer Belange eingeräumt, während sich die kommunistische Partei lediglich die Ordnung der weltlichen Dinge vorbehielt.

Freilich hütet sich der Vatikan, wenigstens so lange wie möglich, davor, in Italien die Errichtung einer Volksfront zuzulassen oder gar zu begünstigen. Mag der Heilige Stuhl mit dem Blick auf die hinter dem Eisernen Vorhang lebenden Gläubigen den kommunistischen Machthabern gewisse Sympathien entgegenbringen und es durch die Bestellung von Nuntiaturen auch äußerlich zum Ausdruck bringen, so übersieht er doch keineswegs, daß in einem kommunistischen Italien der Oberhirte der Kirche, wie vor 96 Jahren, erneut ein Gefangener des Staates wäre.

Als die Bombe platzte ...

Die am 1. Februar 1929 verbreitete Nachricht, daß die Vertreter der katholischen Kirche und des italienischen Staates ein Konkordat abgeschlossen hätten, hatte in Rom wie eine Bombe eingeschlagen. Nicht minder überrascht zeigte sich die öffentliche Meinung, als im Oktober 1967 Ministerpräsident Moro vor dem Parlament die Bereitschaft der Regierung zur Abänderung der Laiteranverträge bekanntgab. Sprach der Regierungschef letztlich im Namen des italienischen Staates?

Niemand konnte beweisen, daß Aldo Moro die Zustimmung des Heiligen Stuhles für seine Erklärung im Abgeordnetenhaus erhalten hatte. Doch alle waren überzeugt, daß es der Ministerpräsident unter keinen Umständen gewagt hätte,

ohne das erforderliche „Placet“ der römischen Kurie ein derart heißes Eisen anzufassen.

Seit ihrer Gründung im Jahre 1943 ließ die Democrazia Cristiana über diese Angelegenheit nie mit sich reden. Vier Jahre später, als dem vom Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Lande nach dem Sturze des Faschismus und der Monarchie ein neues Grundgesetz gegeben werden mußte, sorgten die Christlichdemokraten sogar dafür, daß das 1929 zwischen Mussolini und Pius XII. abgeschlossene Konkordat in die Verfassung aufgenommen wurde. Damit war freilich eine Anomalie aus der Taufe gehoben, die in der Jahrhunderte alten Geschichte der Staaten und der Kirche, sowie des Staats- und Kirchenrechts, ihresgleichen sucht.

Was hat Aldo Moro, ausgerechnet diesen vorsichtigen, bedächtigen Mann, dazu gebracht, die Konkordatsrevision in Aussicht zu stellen? Welche Gründe veranlassen die Kirche, sich nach einer harten Politik der Tabuisierung und Kanonisie- rung der Lateranverträge plötzlich aüf ein Gespräch darüber mit den Vertretern des Staates einzulassen? Mit welchen Abänderungen kann aller menschlicher Voraussicht nach gerechnet werden? Wann werden sie Bestandteile einer neuen Kompetenzabgrenzung zwischen den beiden Machtzentren hüben und drüben des Tibers sein?

Es ist opinio communis, daß in der Bereitschaft der römischen Kurie, das 38jährige Konkordat einer Revision zu unterziehen, der Geist des ökumenischen Konzils zum Ausdruck kommt. Ohne die offenen Debatten im Vatikanum II, aber auch in der kürzlich abgehaltenen Bischofssynode wäre ein solcher Schritt undenkbar gewesen. Papst Paul VI., der wenigstens zu Anfang seines Pontifikats und als Mailänder

Erzbischof und Kardinal auf seiten der progressiven Konzilsväter stand, war sich der Unzulänglichkeit des Abkommens von 1929 durchaus bewußt. Schon damals im Vatikan tätig, konnte er ermessen, unter welchen Voraussetzungen das Konkordat zustande kam.

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