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Neue Kardinalsränge?

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Die vielen Veränderungen, die so manche Institution der katholischen Kirche innerhalb der letzten Jahre erfaßte, ergriff auch — von der Öffentlichkeit fast unbemerkt — das Kardinal at.

Die Umwandlung dieses Senats der Kirche begann schon mit dem neuen Codex von 1917, der als verpflichtend verschrieb, daß die Priesterweihe unerläßliche Voraussetzung für die Verleihung der Kardinalswürde sei. Bis dahin war dies keineswegs selbstverständlich, und noch die zwei bedeutendsten Staatssekretäre des 19. Jahrhunderts, Kardinal Consalvi, Staatssekretär von Pius VII., und ebenso Kardinal Antonelli, Staatssekretär Pius IX., besaßen nicht die Priester-, sondern nur die Diakonatsweihe. Papst Benedikt XV., der 1917 den neuen Codex promulgierte, erließ auch die Weisung, daß Kardinale keinen Fürstentitel mehr führen dürften, eine Anordnung, die nach dem zweiten Weltkrieg für alle Bischöfe und für alle Adelstitel, mögen sie erbliche oder mit dem Sitz des Bischofs verbundene sein, ausgedehnt wurde. Papst Johannes XXIII. überschritt zum erstenmal die seit Papst Sixtus V. festgesetzte Zahl von 70 Mitgliedern des Kardinalkollegs, ohne eine neuerliche Begrenzung zu dekretieren.

Das Zweite Vatikanische Konzil brachte neue Änderungen. Bis zum Zweiten Vatikanum war nur festgelegt, daß alle Kardinale die Priesterweihe besitzen mußten, doch war in keiner Weise vorgeschrieben, daß sie mit Ausnahme der Klasse der Kardinalbischöfe auch die Bischofsweihe erhalten müßten. Knapp vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils aber weihte Papst Johannes XXIII. alle Kardinale, die nicht die Bischofsweihe besaßen, zu Bischöfen, um allen Rangstreitigkeiten zwischen Bischöfen und jenen Kardinalen, die nicht Beschöfe waren, ifllrlfti.. - iWeS zu gehen. Dadurch verlor die vorkonziliare Anekdote: JfelislW als iVertreter des niederen Klerus mit Stimmrecht am Konzil teilnehmen?” — Antwort: „Kardinal Bea” seinen Inhalt. War durch diese Maßnahme Johannes’ XXIII. jede protokollarische Zwistigkeit zwischen Bischöfen und Kardinalen aus dem Weg geräumt worden, so ergab sich nun plötzlich eine neue, an die zunächst niemand gedacht hatte: Die orientalischen Patriarchen, die mit der römischen Kirche vereinigt waren, verlangten — mit Hinweis auf ihre Stellung —, am Konzil den Vorrang vor den Kardinalen, Sie konnten hiebei auf das Unionskonzil von Florenz verweisen, an dem dei regierende Patriarch von Konstantinopel, Josef 11., teilnahm.

Der Patriarch erhielt damals die Präzedenz vor den Kardinalen und in der Konzilsaula der Arno-Stadt einen Thron gegenüber dem Papstthron. Mit dem Ende der Union von Florenz trat allerdings das Präze- denzrecht der Kardinale vor den Patriarchen, das Eugen IV. 1439 festgesetzt hatte, wieder in Kraft und die Patriarchien der östlichen Riten, die mit Rom uniert waren, konnten ihre alte Stellung nicht mehr erlangen. Erst am Zweiten Vatikanum gelang es ihnen, diese Regelung wieder zu durchbrechen. Wie Johannes XXIII. alle Kardinäle zu Bischöfen weihte, um allen Rangstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, so bestimmte nun Papst Paul VI., daß die Patriarchen der orientalischen, mit Rom unierten Kirchen, die bisher üblicherweise den Rang von Kardi- nalpriestem hatten — wenn sie Kardinäle waren —, nunmehr eine eigene Gruppe innerhalb des ordo der Kardinalbischöfe bilden sollten und auf ihr Bistum und nicht auf eines der sieben sububrika- rischen Bistümer geweiht sein sollen.

Paul VI. bestimmte auch, daß diese Patriarchen im Rang vofl Kardinalbischöfen dem Papst nicht „subiec- tionem” (Unterwerfung) wie bisher alle Kardinäle, sondern „fraternita- tem” (Brüderlichkeit) zu schwören hätten. Mit dieser Einreihung der östlichen Patriarchen, die Kardinäle sind, in eine eigene Gruppe der Kardinalbischöfe ist ein bedeutender Schritt in der Entwicklung des Kar- dinalats begonnen worden.

Die Entstehung des Kardinalkollegs

Das bisherige Kollegium der Kardinale, das um 1000 zum erstenmal eine große Bedeutung für die Kirche gewann, ist teils aus dem Bischofsklerus des römischen Bischofs herausgewachsen. Ursprünglich gehörten zu ihm wohl alle stadtrömischen Priester, aber etwa seit dem 6. Jahrhundert nur noch die Presbyter der römischen Titelkirchen. Der Name Kardinal, der für diese Priester schon bald verwendet wurde, deutet auf das Wort „cairdo” hin, das soviel wie Türangel oder Drehpunkt bedeutet und auf die hervorragende Bedeutung der Bischofskirche als Mittelpunkt der Diözese hinweist. Außer den Presbytern der römischen Titelkirchen wurden als Gehilfen des Papstes bei der Feier des Gottesdienstes, ferner zur Vermögensverwaltung und zur Kirchenleitung die sogenannten diaconi Cardinales, das sind die sieben mit der Armenpflege betrauten römischen diaconi regio- narii, und die an der Palastkirche des Papstes dienenden diaconi palatini herangezogen.

Die drei Ordines

Seit dem 8. Jahrhundert wurde der Gottesdienst in der Lateranbasilika, der Bischofskirche von Rom, vielfach an die sieben Nachbarbischöfe übertragen, die dadurch gewissermaßen in den stadtrömischen Bischofsklerus einbezogen wurden und so einen neuen ordo innerhalb des Kardinalskollegiums bildeten, das nun aus Kardinalbischöfen, Kardinalpriestern und Kardinaldiakonen bestand.

Neben diesen römischen Kardinalen führten in Europa aber noch andere Bischofskleriker den Titel Kardinäle. Sie verschwanden aber bald, und nur die Kleriker der Bischofskirche von Santiago de Compostela führten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch den Titel Kardinal.

Die Stellung der Kardinäle wuchs an Bedeutung durch die Übertragung des ausschließlichen Rechtes der Papstwahl an das Kardinalskollegium durch Nikolaus II. im Jahre 1059. Innozenz III. schrieb im Jahre 1179 für die Papstwahl die Zweidrittelmehrheit vor, welche Vorschrift Pius XII. insofern ergänzte, indem er dekretierte, daß für die Wahl zum Papst über die Zweidrittelmehrheit hinaus noch eine Stimme notwendig sei. Innozenz IV. verlieh den Kardinälen 1245 den berühmten roten Hut und Bonifaz VIII, den Purpurmantel. Seit dem 13. Jahrhundert ist der Kardinalbischof von Ostia jeweils der Vor-stand (Dekan) des Kardinalskolle- giums.

Senat der römischen Kirche ..

Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Kardinäle immer mehr zu Gehilfen des Papstes, sie wuchsen in die Rolle eines Senates der römischen Kirche hinein. In der Hand des Kardinalskollegiums lag und liegt ein beträchtlicher Anteil de® Kirchenregierung, manche Ämter der römischen Kurie wurden zu sogenannten kardinälizischen, wie zum Beispiel das Airit des Kardinals — Großpönitentiars, das heißt, die Inhaber solcher Ämter müssen Kardinale sein. In der Hand des Kardinalskollegiums lag und liegt aber nicht nur die Verwaltung der Kirche bei Erledigung des päpstlichen Stuhles, ihre wichtigstes Recht ist, wie schon erwähnt, die Wahl eines Papstes bei Erledigung des römischen Stuhles, wobei seit Bonifaz VIII, mit Ausnahme Urbans VIII, im Jahre 1373 bis heute nur Kardinäle zu Päpsten gewählt wurden. Diesbezüglich bestehen zwar keinerlei Vorschriften und theoretisch ist es möglich, daß ein erwachsener, vernunftbegabter katholischer, männlicher Christ, der nicht verheiratet ist und nicht einmal Priester sein muß, zum Papst gewählt wird (worauf ihm der Kardinaldekan die Priester- und Bischofsweihe zu erteilen hat). Aber dies ist niemals eingetreten und wird auch wohl nie eintreten, faktisch wird seit sechs Jahrhunderten ein Kardinal zum Papst geweiht, wodurch jedes Mitglied dieses Kollegiums praktisch den Rang eines Kronprinzen in der Kirche besitzt.

Die Zahl der Kardinäle betrug im

11. Jahrhundert etwas über 50, später sank sie auf 20 bis 30 herunter. Sixtus V. bestimmte, wie schon erwähnt, daß ihre Anzahl 70 (6 Kardinalbischöfe, 50 Kardinalpriester, 14 Kardinaldiakone) betragen solle, welche Vorschrift Johannes XXIII. faktisch außer Kraft setzte, indem er diese Zahl überschritt. Ursprünglich waren nur Italiener bzw. Römer Mitglieder des Kardinalkollegs, bald aber wurden auch auswärtige Bischöfe und Priester in dieses Kollegium berufen. Konrad III., der im Jahrhundert Erzbischof von Salzburg war, wurde zum Beispiel zum Kardinalbischof von Santa Sabina kreiert. Aber noch im 19. Jahrhundert bestand das Kardinalskolleg zur überwiegenden Mehrheit aus Italienern und erst im 20. Jahrhundert setzte die sogenannte Internationalisierung des Kollegiums ein, wodurch manchmal die Italiener in die Minderheit gedrängt wurden. Im Konklave von 1958, aus dem Johannes XXIII. als Papst bervorging, stand bereits einer Minderheit von Italienern eine Mehrheit von Nicht-Italienern gegenüber.

Neue Kardinalsämter?

Das Christentum, die Kirche, durchleben heute mehr denn je schwere und schwierige Zeiten. In vielen Ländern herrschen chaotische Zustände, sowohl politischer wie geistiger Art. In vielen Ländern wird das Christentum verfolgt und genießt die Kirche keineswegs die Freiheit, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt Die Last, die die heutige Zeit dem Heiligen Vater und den Bischöfen auferlegt, ist drückender denn je. Die Schlüssel des heiligen Petrus, sagte einmal Papst Paul VI., sind allzu schwer und können von ihm allein nicht getragen werden.

In aller Ehrfurcht soll deshalb hier die Frage aufgeworfen werden, ob nicht durch Reaktivierung alter kirchlicher Ämter, die vielfach heute nur noch Ehrenämter sind, dem Heiligen Vater aber auch den Bischöfen Gehilfen beigegeben werden können, die das Tragen der Lasten erleichtern. Die Ämter, auf die hier angespielt wird, sind die Ämter der Primaten und Patriarchen. Innerhalb der lateinischen Kirche sind diese Ämter heute wohl noch vorhanden, aber fast durchweg reine Ehrenämter. Ihrem früheren Sinn nach waren diese Ämter Zwischenglieder zwischen dem Primat und Episkopat, ihre Träger Oberbischöfe eines bestimmten Gebietes, ausgestattet mit einer gewissen Jurisdiktion auch über die Bischöfe dieses betreffenden Gebietes.

Viele Länder besitzen heute noch einen Primas. Meist ist dieser Titel mit einem besonders alten und ehrwürdigen Bistum verbunden. So ist der Erzbischof von Toledo Primas von Spanien, der Erzbischof von Gnesen Primas von Polen, der Erzbischof von Gran Primus von Ungarn, der Erzbischof von Salzburg Primas von Deutschland. Nur noch der Primas von Ungarn besitzt heute noch besondere Rechte, denn er kann ein Nationalkonzil einberufen und Appelationen gegen die Urteile der Metropoliten entgegennehmen. Politisch besaß er, so lange Ungarn Königreich war, sehr viele Rechte, denn er war der erste Bannerherr des Königreiches, konnte den König krönen und war automatisch Mitglied des Magnatenhauses. Sehr oft erhalten die Inhaber solcher Bischofssitze die Würde eines Kardinals, was die Polen zum Beispiel dazu verleitete — nicht ganz richtig — von ihrem „Kardinal-Primas” zu sprechen.

Die Schlüssel tragen helfen

Es gibt somit innerhalb der lateinischen Kirche noch verhältnismäßig viele Primaten, dafür nur noch wenige Patriarchen. Der Papst ist bekanntlich auch Patriarch des Abendlandes, ein Titel, der von allen auch nichtunierten Kirchen anerkannt wird, daneben gibt es noch die Patriarchen von Venedig und Lissabon ‘sowie Jerusalem. Da die Patriarchen von Venedig und Lissabon fast immer die Kardinalswürde besitzen, werden sie — ebenfalls nicht ganz richtig — in der Umgangssprache als „Kardinals-Patriarchen” bezeichnet. Auch diese beiden Patriarchen besitzen keiner! ! besondere Rechte kraft dieses Titdls. Dagegen gibt es in der orientalischen, mit Rom unierten Kirche noch echte Patriarchen, die einen Jurisdiktionsvorzug besitzen.

Die Primaten ‘Sind Oberbischöfe eines bestimmten Landes, die Patriarchen Oberbischöfe über noch größere Gebiete, jeweils mit einer gewissen Jurisdiktion ausgestattet. Die Kirche umspannt heute schon die ganze Welt, in vielen Ländern gibt es Bischofskonferenzen, in manchen Kontinenten wie Südamerika und (demnächst) Europa gibt es kontinentale Bischofskonferenzen.

Angesichts der vielen Schwierigkeiten, denen sich die Kirche gegenübersieht, und angesichts der Notwendigkeit einer immer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bischöfen und den Episkopaten mehrerer Länder und ihrer noch stärkeren Verbindung mit Rom, sei in aller Ehrfurcht die Frage aufgeworfen, ob die Reaktivierung der Primate und der Patriarchate bzw. die Neuschaffung solcher nicht eine wertvolle Verstärkung der kirchlichpastoralen Verwaltung darstellen könnte. Ein Patriarch für Lateinamerika oder für Indien wäre ein wichtiges Zwischenglied zwischen Rom und dem Episkopat des betreffenden Kontinents oder Subkontinents, der berufene Sprecher des Episkopates mit Rom, gleichzeitig aber auch infolge der ihm zustehenden Jurisdiktionsrechte auch, das berufenste Zwischenglied zwischen Rom und dem betreffenden Episkopat. Und etwas Ähnliches würde für die Primaten der einzelnen Länder gelten, die teilweise nur reaktiviert, teilweise — wo sie noch nicht bestehen — neu geschaffen werden müßten.

Da es heute schon innerhalb des ordo der Kardinalbischöfe neben den sububiikarischen Kardinalbischöfen auch die mit Rom unierten Patriarchen gibt, die auf ihren Bischofssitz geweiht sind, sei wieder in aller Ehrfurcht die Frage aufgeworfen, ob dann diese neuen Patriarchien und Primaten, die natürlich Kardinäle sein müßten, um durch einen besonderen Treueid an den Papst gebunden zu sein, innerhalb des ordo der Kardinalbischöfe nicht ebenfalls auf ihr Bistum geweiht sein könnten.

Alle Verwaltungsmaßnahmen innerhalb der Kirche haben im letzten immer nur den Sinn, das Christentum zu verbreiten, zu stärken und zu verteidigen, der Kirche die Möglichkeit zu geben, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Die Rechtskirche hat keineswegs die Liebeskirche erschlagen, wie dies einst der berühmte Kanonist Sohrn aussprach, sondern alles Recht, das Päpste, Konzile und Bischöfe schufen, wurde vor allem geschaffen, um der Kirche der Liebe eine Existenzmöglichkeit zu geben. Falls es wirklich einmal Kardinal-Patriarchen und Kardinal-Primaten geben sollte, dann nicht, um den Glanz einzelner Persönlichkeiten zu erhöhen, sondern nur um „Gehilfen” zu kreieren, die die schwere Last der Schlüssel des hl. Petrus mittragen helfen.

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