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Zur Papstnachfolge:Einschätzungen eines Vatikanjournalisten fürs nächste Konklave - die "Parteien" im Kardinalskollegium und deren Protagonisten.

Der körperliche Abbau bei Johannes Paul II. lädt geradezu ein, Überlegungen zu seiner Nachfolge anzustellen. Der Papst trägt jetzt in beiden Ohren Hörgeräte, er kann nur mit großer Mühe gehen: Alter und Krankheit hindern ihn zunehmend, sein Amt auszufüllen, zumindest jene Form der Amtsausübung, wie wir es mit Johannes Paul II. verbinden. Im Vatikan wurden beispielsweise die Pläne für eine Papstreise nach Ozeanien schon leise begraben, weil solch eine lange Reise zu anstrengend wäre.

Dies alles bedeutet keinesfalls, dass das Ende nahe ist. Der Papst erklärte noch im Jänner dieses Jahres, er wolle so lange wie Pius IX. - also weitere neun Jahre - regieren. Solche Bemerkungen macht keiner, der sich anschickt, die Bühne zu verlassen.

Aber wenn in naher Zukunft ein Konklave stattfinden sollte: Was wäre zu erwarten?

Als erstes sollte man die Parteilinien erfassen, die durchs Kardinalskollegium verlaufen. Ich sehe zur Zeit drei "Parteien", bei denen es sich allerdings um Idealtypen handelt: Kein Kardinal wird sich in einer dieser Gruppen zur Gänze wiederfinden.

* Die erste ist die Grenzpatrouille. Sie setzt sich aus theologisch Konservativen zusammen, die über den Einfluss von Relativismus und Säkularisation besorgt sind. Sie fürchten, dass der Katholizismus sich an die ihn umgebende Kultur anpasst und er keine Anforderungen mehr stellt, sodass er am Schluss nichts mehr zu bieten hat.

Dogmatische Klarheit gilt dabei als Heilmittel: Der Katholizismus müsse den Mut haben, Klartext zu reden. Der Preis mag eine geringere Popularität sein, aber die Kirche würde so gläubiger und daher stärker werden.

Führungsgestalt dieser Partei ist Kardinal Joseph Ratzinger, als ihre Charta gilt das Dokument "Dominus Iesus". Kronprinz ist der Wiener Kardinal Christoph Schönborn.

* Die zweite Gruppe ist die Salz-der-Welt-Partei, deren Hauptsorge dem Einfluss der kirchlichen Lehre auf den sozialen und politischen Bereich gilt.

Der linke Flügel dieser Partei ist an Schuldenerlass, Globalisierung und ethnischer Gleichberechtigung interessiert. Lange waren die brasilianischen Kardinäle Paulo Evaristo Arns (seit kurzem nicht mehr papstwahlberechtigt) und Aloísio Lorscheider die Hauptträger. Kardinal Oscar Rodríguez aus Honduras könnte in Zukunft eine führende Rolle übernehmen.

Den rechten Flügel der Gruppe bilden die "Integralisten": Damit sind Kardinäle gemeint, die für die Wiedererrichtung der Staat-Kirche-Allianz eintreten, welche die privilegierte Stellung der Kirche garantiert und sicherstellt, dass die Sozialpolitik entsprechend der kirchlichen Lehre gestaltet wird. Zu ihren Führern zählen die Italiener Angelo Sodano (Kardinalstaatssekretär) und Camillo Ruini.

* Schließlich gibt es die Reformer, Kardinäle, die mit der Überprüfung der Kirchenstrukturen, wie sie das II. Vatikanum in Gang gebracht hat, weitermachen wollen. Sie favorisieren größere Dezentralisierung, das Zulassen von mehr Vielfalt sowie eine Kurienreform, um das Papsttum ökumenisch akzeptabler zu machen.

Langzeitchampion dieser Gruppe ist Kardinal Carlo Maria Martini von Mailand. Er hat gemäßigte Mitstreiter wie den Belgier Godfried Daneels und Roger Mahoney von Los Angeles.

Was bedeutet dies für den nächsten Papst?

Keine der Parteien ist stark genug, um einen der eigenen Kandidaten zu forcieren. Koalitionen und Kompromisse sind notwendig. Ein Kandidat, der allen etwas zu bieten hat, aber niemandes Wünsche vollständig erfüllt, ist der Genueser Kardinal Dionigi Tettamanzi: Er gilt für viele dementsprechend als natürlicher Favorit.

Ausgangspunkte

Viel hängt vom Ausgangspunkt der Kardinäle ab. Ein bekannter italienischer Diplomat, ein Sarde namens Mameli, untersuchte - knapp vor der Wahl Johannes XXIII. - einige Papstwahlen. Er konstatierte, dass die Kardinäle sich immer drei Fragen stellen:

1. Woher soll der neue Papst kommen?

2. Wie alt soll er sein?

3. Soll er von der römischen Kurie oder

aus einer Diözese kommen?

* In Bezug auf die erste Frage gibt es viele Anzeichen für einen Papst aus Lateinamerika, wo heute 50 Prozent aller Katholiken leben. Das Konklave wird ja das erste im dritten Millennium sein: Das übt einen psychologischen Druck aus, nach vorn zu blicken.

Angenommen, die Kardinäle würden einen Dritte-Welt-Papst wählen: Dann ist zu erwarten, dass die Grenzpatrouille eine Koalition mit dem rechten Flügel der Salz-der-Welt-Partei sucht. Mögliche Kandidaten sind unter anderen der Kolumbianer Dario Castrillón Hoyos, der Mexikaner Norberto Rivera Carrera oder sogar der Peruaner Luis Cipriani, der ersten Opus-Dei-Kardinal.

Die Reformer-Kardinäle würden dagegen einen linken Salz-der-Welt-Lateinamerikaner suchen. Neben dem schon genannten Rodríguez wären Jaime Ortega aus Kuba oder Nicolás López aus der Dominikanischen Republik Kandidaten sein.

* Bei der zweiten Frage von Mameli herrscht unter Beobachtern beinahe einhellig die Einschätzung vor, dass der neue Papst älter sein sollte als Karol Wojtyla, der mit 58 gewählt wurde.

* Die dritte Frage könnte die entscheidende sein:Die Reformer wollen eindeutig einen Papst, der sowohl eine theologische Vision hat als auch über die nötige Durchsetzungskraft verfügt, um die römische Kurie zu disziplinieren. Viele Kardinäle sind über das derzeitige "Mikromanagement" im Vatikan verärgert und würden diesem Profil etwas abgewinnen.

Manches Augenmerk richtet sich hierbei auf Giovanni Battista Re, den Präfekten der Bischofskongregation. Re war Protegé von Giovanni Benelli, der rechten Hand Papst Pauls VI.; einige glauben, er würde ein Reformprogramm durchführen, wie es Benelli 1978 initiierte. Weitere Namensnennungen in diesem Zusammenhang schließen wieder Brüssels Erzbischof Danneels sowie den deutschen Kurienkardinal Walter Kasper, welcher dem Päpstlichen Einheitsrat vorsteht, ein. Ein wirklich unbeschriebenes Blatt ist der ukrainisch-katholische Großerzbischof von Lemberg, Kardinal Lubomyr Husar: Er spricht mehrere Sprachen, hat Humor und kann mit der Presse gut umgehen. Als Oberhaupt einer katholischen Ostkirche ist ihm das Eintreten für mehr Dezentralisierung in die Wiege gelegt.

Sollten sie auf den nächsten Papst Wetten abschließen wollen - hier mein letzter Vorschlag:

* Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, tippen Sie auf Tettamanzi.

* Wollen Sie etwas mehr riskieren, dann nehmen Sie Rodríguez.

* Wenn Sie hingegen eine wirklich einmalige Chance nützen wollen, dann sollten Sie auf Husar setzen.

Und wenn Husar gewählt wird: Dann schicken Sie mir einen kleinen Teil Ihres Gewinns - denn Sie haben hier zum ersten Mal davon gehört!

Der Autor ist Vatikankorrespondent der unabhängigen US-Wochenzeitung "National Catholic Reporter". Sein Buch "Conclave: The Politics, Personalities and Process of the Next Papal Election" wird im kommenden Frühjahr erscheinen. - Aus dem Amerikanischen von Otto Friedrich.

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