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„Wer als Papst ins Konklave geht...“

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„Chi va Papa al conclave, esce cardinale“ — „Wer als Papst in das Konklave geht, verläßt es als Kardinal“, sagt ein uralter römischer Spruch, der wie so viele Volksweisheiten mehr als einmal durch die geschichtlichen Tatsachen widerlegt wurde. So gingen die Kardinäle Pecci, Ratti und Pacelli als „Päpste“, das heißt in diesem Fall als aussichtsreichste Kandidaten für den päpstlichen Thron in das jeweilige Konklave und verließen es nicht als Kardinäle, sondern als Leo XIII., als Pius XL, als Pius XII.

In das kommende Konklave dagegen, das am 25. Oktober beginnt, wird kaum einer der daran teilnehmenden Kardinäle als „Papst“, als aussichtsreichster Kandidat, gehen. Die verschiedenartigsten Kombinationen sind dadurch möglich, Kombinationen, die sich schon durch die derzeitige Zusammensetzung des Kardinalskollegs leichter anstellen lassen als zu früheren Zeiten. Die auffallendsten Unterschiede des kommenden Konkordates zu den früheren sind:

• Das Ueberwiegen der nichtitalienischen Kardinäle über die italienischen.

• Die erstmalige Teilnahme zweier „farbiger“ Kardinäle — eines chinesischen und eines indischen.

• Das Vorhandensein einer starken Gruppe amerikanischer Kardinäle.

• Das Fehlen eines Kardinals aus dem österreichischen Raum.

Das Ueberwiegen der nichtitalienischen Papstwähler über die italienischen wird weit und breit als die auffallendste Tatsache des kommenden Konklaves bezeichnet. Noch bei dem Konklave von 1939, das Pius XII. kreierte, standen 35 italienische Kardinäle 27 nichtitalienischen gegenüber, während das jetzige Kardinalskollegium aus 18 Italienern und 37 Nichtitalienern besteht. Eine in der Tat bemerkenswerte Umschichtung. Denn seit dem Jahre 1059, seit welchem Datum den Kardinälen die Papstwahl reserviert ist, besaßen durch weite, jahrhundertelange Strecken der Kirchengeschichte die Italiener eine oft weit überwiegende Mehrheit im Kardinalskolleg. Nur das 14. Jahrhundert, das Zeitalter der „Avignoner Gefangenschaft“ der Päpste, machte hier eine Ausnahme, da in diesem Jahrhundert oftmals die Anzahl der französischen Kardinäle die der italienischen weit übertraf. So waren bei dem Konklave von 1378, aus dem Urban VI. als Papst hervorging, von den teilnehmenden 16 Kardinälen allein 11 Franzosen.

Die starke internationale Mischung des heutigen Kardinalskollegs — unter dem sich übrigens fast keine Ordensleute befinden — bedeutet aber, daß der kommende Papst noch weniger der Kandidat einer Nation sein kann, als dies bisher schon der Fall gewesen war. Denn die 18 italienischen Kardinäle können nur mit Hilfe der Mehrheit der nichtitalienischen Konklaveteilnehmer — Mindszenty und Stepinac werden unter ihnen fehlen — einen aus ihren Reihen zum Papste wählen. Und auch die 35 nichtitalienischen Kardinäle benötigen zumindest einen Teil der Stimmen der italienischen Kardinäle, um einem Kandidaten aus ihrer Mitte die erforderliche Stimmenanzahl zu verschaffen. Dies bedeutet aber, daß nationale Differenzen völlig ausgeschlossen sind.

Theoretisch — allerdings sehr theoretisch — ist es allein durch die überwiegende Anzahl der nichtitalienischen Stimmen möglich, daß diesmal ein Nichitaliener zum Papst gewählt wird, i ein Ereignis, das seit Papst Hadrian VI. (1522 bis 1523), der ein Niederländer aus Utrecht war, nicht mehr eingetreten war. Dazu kommt noch, daß unter den nichtitalienischen Kardinälen sich sogar ein Kardinal befindet, der diesmal vielleicht als'einziger „papabile“, als „Papst“, in das Konklave geht. Es ist dies der heute 63jährige Kardinal Agagianian, Patriarch der unierten Armenier, Pro-Präfekt der „Congregatio de Propaganda fide“. Die Wahl dieses Kardinals wäre in vielfacher Hinsicht aufregend. Denn mit diesem Kirchenfürsten, der einst russischer Staatsbürger war, der ein Landsmann Stalins ist, dessen Sprachengabe die wahrlich nicht geringe des verstorbenen Papstes übersteigt, der durch seinen jahrzehntelangen Aufenthalt in Rom, als Student, als Professor, als Kirchenfürst nicht nur die abendländische Welt gut kennt, sondern insbesondere auch Rom, so daß er vielen Italienern schon als Römer und nicht als Fremder erscheint, der somit in der östlichen wie in der westlichen Welt zu Hause ist, mit diesem Kirchenfürsten bestiege nicht nur ein Nichtitalie-ner, sondern ein Angehöriger der östlichen Kirche den Thron Petri. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte waren die Päpste, die geborene Griechen, Syrier oder

Afrikaner waren, keine seltene Ausnahme. Noch in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts waren sechs der regierenden Päpste entweder Griechen oder Syrier. Doch dann begann die Reihe der abendländischen Päpste, deren Kette nur einmal, von 1409 bis 1410, als mit Alexander V. wieder ein geborener Grieche den Thron Petri inne hatte, unterbrochen wurde.

Außer Kardinal Agagianian hat kaum ein anderer der nichtitalienischen Kardinäle ähnliche Expektanzen. Denn es ist als ziemlich sicher anzunehmen, daß die Kardinäle nicht ihre Stimme einem der spanischen, portugiesischen, belgischen, deutschen, britischen, niederländischen, polnischen, irischen, kanadischen, chinesischen, indischen oder süd- und mittelamerikanischen Kardinäle geben werden. Von den französischen Kardinälen hätte als einziger vielleicht Kardinal Tisserant, Dekan des Kollegs und Kurienkardinal, Chancen. Auch von den nordamerikanischen Kardinälen hat kaum einer Aussichten auf die Tiara, so gern vielleicht der eine oder andere seine Wahl sehen möchte. Wird somit nicht Kardinal Agagianian Papst, dann wird es möglicherweise doch wieder zur Wahl eines italienischen Kardinals zum Papst kommen. Wer unter diesen die meisten Chancen hat, ist schwer zu sagen.

Aus der Geschichte der letzten Konklaven ist ersichtlich, daß die Papstwähler gerne ihre Stimmen einem Kardinal geben, der aus der päpstlichen Diplomatie kam oder sonst in irgendeiner Weise in ihr Dienst tat, wie zum Beispiel die Päpste Leo XII., Leo XIII., Benedikt XV., Pius XII. Auch Papst Pius XI. war, allerdings nur kurz, einmal Nuntius gewesen. 1823 wäre beinahe der ehemalige Nuntius in Wien, Kardinal Severoli, Papst geworden. 1903 fast der ehemalige Staatssekretär Rampolla. Auch im heutigen Kardinalskolleg befinden sich mehrere Kardinäle, die einst Nuntien waren oder sonst im diplomatischen Dienst für den Vatikan sich betätigten. Hier ist vor allem Kardinal Pizzardo zu nennen, der am Zustandekommen der Lateranverträge hervorragend beteiligt war. Weiter die Kardinäle Tedeschini und Cicognani, die beide diplomatisch in Spanien tätig waren, der Kardinalpatriarch von Venedig wiederum, Roncalli, war einst Nuntius in Paris. Auch die Kardinäle Valeri und Ciriaci waren im diplomatischen Dienst der Kirche tätig. Allerdings sind diese Kardinäle zu alt, um noch die schwere Bürde des Papsttums auf sich zu nehmen (Tedeschini 85, Pizzardo 81). Sie kämen wohl nur dann in Frage, wenn es zur Wahl eines Kompromißkandidaten käme. Wäre dagegen der ehemalige Prostnatssekretär Papst Pius' XII.,

Erzbischof Montini von Mailand, Mitglied des Kardinalskollegiums, dann hätte er zweifellos sehr große Chancen. Aber auch so ist es nicht völlig, ausgeschlossen, daß er zum Papst gewählt wird, da ja das Kardinalat keine Voraussetzung für die Erlangung der päpstlichen Würde ist, wenn auch nach Urban VI. (1378—1389) immer nur Kardinäle zu Päpsten gewählt wurden.

Von den italienischen Kardinälen hätten — so sagt man — noch die Kardinäle Siri und Lercaro Chancen. Vor allem dann, wenn die Kardinäle sich entschließen sollten, der Kirche einen streng seelsorglichen Papst, ähnlich wie Pius X., zu geben. Kardinal Lercaro, einst Erzbischof von Ravenna, jetzt Erzbischof von Bologna, gilt als besonders aufgeschlossen für die sozialen Probleme der heutigen Zeit, Kardinal Siri, Erzbischof von Genua, ist hervorragend auf liturgischem Gebiet tätig. Aber Kardinal Siri ist erst 52 Jahre alt, und wahrscheinlich haben jene Stimmen recht, die diesen Kardinal mit dem Asketengesicht, der aus einfacher Arbeiterfamilie stammt, erst als aussichtsreichsten Kandidaten für die übernächste Wahl bezeichnen. Gegen die beiden genannten Kandidaten spricht noch, daß sie außer Italienisch kaum eine Fremdsprache beherrschen.

Doch dies sind alles Kombinationen, mit der ganzen Problematik behaftet, die solchen Lieberlegungen eigen ist. Es ist möglich, daß eine der geäußerten Variationen Wirklichkeit wird, es ist aber auch genau so gut möglich, daß ein Kandidat gewählt wird, an den niemand dachte, der niemals genannt wurde.

Eines aber ist gewiß: Die Dauer des Konklaves wird kurz sein. Die Zeit, da die Kardinäle Monate, ja Jahre benötigten, um der Kirche einen neuen Papst zu geben, ist endgültig vorbei. Das Konklave, das Gregor XVI. kreierte und noch rund zwei Monate dazu benötigte, dürfte das letzte dieser Art gewesen sein. Das Konklave, das Pius IX. wählte, dauerte nur zwei Tage. Leo XIII. und Pius XII. wurden gar schon im dritten Wahlgang gewählt. Die Konklave, aus denen Pius X., Benedikt XV. und Pius XI. hervorgingen, dauerten nur vier Tage.

Auch das kommende wird kaum länger währen. Denn die Zeit erlaubt es nicht, daß die Kirche auch nur kurze Zeit eines Oberhauptes entbehre. Wird nicht in den ersten zwei Tagen schon ein Kandidat die erforderlichen Stimmen auf sich vereinigen, dann ist es möglich, daß sich die Kardinäle auf einen Kompromißkandidaten einigen (Pius IX. und Pius XI. waren solche), der dann spätestens am dritten oder vierten Tag gewählt werden dürfte. Möglich, daß in diesem Fall einer der älteren italienischen Kardinäle die erforderliche Stimmenanzahl auf sich vereinigen könnte. Die vornehmste Tätigkeit dieses Papstes wäre dann, das Kardinalskolleg mit geeigneten Kandidaten zu ergänzen.

Es ist möglich, daß es' zu solch einer Wahl kommt. Aber es könnte auch sein, daß ganz andere, ungeahnte Möglichkeiten sich erfüllen. Nicht nur die katholische Christenheit, sondern die gesamte Welt wird mit Spannung die Tätigkeit des Konklaves, das am 25. Oktober zusammentritt, verfolgen. Kaum jemals werden so wenige Menschen so viele in atemlose Spannung versetzen können.

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