Glaubenshüter vor WACHABLÖSE?

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Kardinal Gerhard Müller befindet sich auf einer heiklen Gratwanderung zwischen Loyalität und Opposition zum Kurs von Papst Franziskus.

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Kardinal Gerhard Müller befindet sich auf einer heiklen Gratwanderung zwischen Loyalität und Opposition zum Kurs von Papst Franziskus.

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Wenn die Dauergerüchte stimmen, so sind seine Tage an der Spitze der Glaubenskongregation in Rom gezählt. Gerhard Kardinal Müller - so steht er als Autor auf seinem neuen Buch "Der Papst", was zwar kirchlich korrekt ist, aber doch etwas antiquiert klingt - gilt schon seit einiger Zeit als ablösereif. Es gibt kaum Zweifel daran, dass Müller die Linie von Papst Franziskus nicht ganz mitträgt, wiewohl er sich bemüht, gegenüber der Öffentlichkeit Loyalität zum Pontifex zu signalisieren.

Manche wollen wissen, dass um Pfingsten zwei österreichische Bischofsstühle neu besetzt werden - jener von Innsbruck, der seit dem Wechsel von Manfred Scheuer nach Linz leer steht, und jener von St. Pölten, wo der Rücktritt von Bischof Klaus Küng bereits "nunc pro tunc" angenommen wurde. Es könnte sich aber auch eine schon lange kolportierte Spekulation bewahrheiten - die Berufung von Kardinal Christoph Schönborn an die Kurie in Rom, mutmaßlich als neuer Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre.

Seit 2012 Leiter der Glaubenskongregation

Gerhard Müller, der derzeitige Chef im vatikanischen Glaubenswachturm, wurde noch von Papst Benedikt XVI. in diese Funktion berufen. Im ersten Abschnitt von "Der Papst -Sendung und Auftrag" - der interessante Fall eines Buches, in dem ein leitender Angestellter seinem Chef dessen Aufgaben erklärt - schreibt Müller, er sei im Mai 2012 mit diesem Wunsch des Papstes konfrontiert worden. Diskutiert wurde sein möglicher Aufstieg in den Vatikan freilich schon einen Monat früher in einer österreichischen Journalistengruppe, die um den 85. Geburtstag von Benedikt XVI. (16. April) den damaligen Regensburger Bischof in einer Pizzeria in Vatikannähe am Nebentisch entdeckte.

Kardinal Müller steht im 70. Lebensjahr. Er wurde am 31. Dezember 1947 in Finthen, das heute zu Mainz gehört, geboren und studierte in Mainz, München und Freiburg Katholische Theologie und Philosophie. Seine Dissertation und seine Habilitation betreute der spätere Mainzer Bischof und Kardinal Karl Lehmann. Müller, 1978 zum Priester geweiht, wirkte als Kaplan und Religionslehrer, ehe er 1986 auf den Lehrstuhl für Dogmatik der Universität München berufen wurde. Die "Katholische Dogmatik" ist die bekannteste seiner über 400 wissenschaftlichen Publikationen.

Sympathien für Befreiungstheologie

Der Vatikan-Journalist Andreas Englisch erwähnt Müller einige Male in seinem Buch "Der Kämpfer im Vatikan -Papst Franziskus und sein mutiger Weg". Als Benedikt XVI. im Jahr 2006 den brasilianischen Kardinal Claudio Hummes zum Chef der Kleruskongregation ernannte, habe Müller zuvor ein gutes Wort beim Papst eingelegt. Für die lateinamerikanische Befreiungstheologie, die Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation immer wieder scharf kritisierte, hat Gerhard Müller, der mit dem peruanischen "Vater der Befreiungstheologie" Gustavo Gutiérrez befreundet ist, gewisse Sympathien, wiewohl er sonst als katholischer Hardliner agiert. Als er 2002 Bischof von Regensburg wurde, suchte er sich ausgerechnet "Dominus Iesus" als Wahlspruch aus, den Titel eines ökumenisch unsensiblen Dokuments, mit dem knapp davor Ratzingers Glaubenskongregation den evangelischen Kirchen ihr Kirche-Sein abgesprochen hatte. Über Müllers konfliktreiches Wirken in der Diözese Regensburg hat eine Website 127 einschlägige Presseberichte zusammengetragen.

Offiziell trat Müller sein Amt im Vatikan am 2. Juli 2012 an, als Nachfolger des Amerikaners William Levada, sah sich aber ab dem 13. März 2013 bereits mit einer neuen Situation konfrontiert. Mit den ersten Handlungen des neuen Papstes Franziskus wurde, so Andreas Englisch, "den Konservativen um Gerhard Ludwig Müller klar, dass der Kampf zwischen dem Papst und dem großen, extrem konservativen Teil der Kurie jetzt begonnen hat". Zur "Gruppe Oppositioneller" zählte Englisch neben Müller sofort die Kardinäle Zenon Grocholewski, Raymond Leo Burke und Walter Brandmüller.

Es war Kardinal Müller selbst, der im September 2015 sogar über die Möglichkeit einer Kirchenspaltung sprach. Dahinter steht der sich verdichtende Eindruck, dass am rechten Rand der Kirche offenbar mehr Sympathie für eine geschlossene "kleine Herde" herrscht als für eine zu wenig Linie und Flagge zeigende Massenkirche, die der als "Populist" attackierte Papst Franziskus mit mehr pastoraler als traditionell katholischer Attitüde leitet.

Die Tiefe der Kluft zeigte sich nach der Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens "Amoris laetitia" im Jahr 2016. Vier Kardinäle -Burke, Brandmüller, Carlo Caffara und Joachim Meisner -kritisierten unverhohlen den Papst und beklagten, der Text habe "ernsthafte Orientierungslosigkeit und große Verwirrung" ausgelöst. Gerhard Müller ging auf Distanz zu den Autoren. Es sei ein Schaden für die Kirche, diese Fragen öffentlich zu diskutieren, auch nicht als "brüderliche Korrektur" des Papstes, denn das sei "zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da es sich nicht um eine Gefahr für den Glauben handelt". Man kann das natürlich auch so lesen, dass es zu einem anderen Zeitpunkt schon möglich wäre.

Dass er Kritik am Papst nicht ausschließt, lässt Müller in seinem Buch "Der Papst" anklingen: "Die Möglichkeit, dass Päpste in der persönlichen Moral lässlich sündigen und sogar Todsünden begehen können, kann nicht apriori ausgeschlossen werden. Aber es ist auch klar, dass sie in der Aufgabe, den Glauben treu und zuverlässig auszulegen und den Irrlehren a limine fest und sicher entgegentreten zu müssen, schuldig werden können an der Kirche. In einer solchen dramatischen Stunde der Kirche käme auf die Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche die schwere Verantwortung zu, nach dem Vorbild des hl. Paulus die ganze Wahrheit und Fülle des Evangeliums dem Papst ins Angesicht zu sagen. Denn die römische Kirche ist auch auf Paulus gegründet."

Ganz sicher hatte Müller, als er diese Sätze schrieb, nicht den Schweizer Theologen Hans Küng mit seinen Zweifeln am Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit vor Augen (zu den Schwächen von Müllers Buch zählt, dass weder Küng noch andere kritische Theologen überhaupt darin vorkommen). Es gilt jedenfalls festzuhalten, dass für den heutigen obersten Glaubenshüter nicht nur der unfehlbare Petrus, sondern bei Bedarf auch der dem Petrus ins Angesicht widerstehende Paulus (Galaterbrief 2,11) Gewicht hat.

Kardinal Schönborn nach Rom?

Sollte Gerhard Müller demnächst abberufen werden, wäre das nach fünf Jahren Amtszeit durchaus normal und auch kein Affront gegenüber Benedikt XVI., der Müller eingesetzt hat. Allen möglichen Einwänden würde vollends der Boden entzogen, hieße der Nachfolger Christoph Schönborn - es fiel schon auf, dass der Wiener Erzbischof statt des Präfekten der Glaubenskongregation das Schreiben "Amoris laetitia" präsentieren durfte. Denn Schönborn ist eines der prominentesten Mitglieder des Ratzinger-Schülerkreises und war als Redaktionssekretär für den "Weltkatechismus" die rechte Hand des emeritierten Papstes aus Bayern.

Falls er nach Rom geht, müsste freilich rasch eine neue Frage geklärt werden: Wer wird Erzbischof von Wien?

Der Papst

Sendung und Auftrag.

Von Gerhard Kardinal Müller Herder 2017 606 Seiten, geb. € 30,90

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