Nein, es gibt keine ZWEI PÄPSTE

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Für den Band "Letzte Gespräche" hat Benedikt XVI. dem Journalisten Peter Seewald auch als emeritierter Papst Interviews gegeben.

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Für den Band "Letzte Gespräche" hat Benedikt XVI. dem Journalisten Peter Seewald auch als emeritierter Papst Interviews gegeben.

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Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben" - Boëthius, der spätantike römische Philosoph, ist mir in den Sinn gekommen. Musste das wirklich sein? "Er kann es nicht lassen" (© Daniel Deckers, FAZ): Benedikt XVI. war schlecht beraten, sich noch einmal auf ein Interview einzulassen. Und er hat die Wirkung falsch eingeschätzt.

Dem Journalisten Peter Seewald traut der ehemalige Papst. Ihm stand er drei Mal für längere Gespräche zur Verfügung: als Kurienkardinal für "Salz der Erde"(1996) und "Gott und die Welt" (2000). Beides bemerkenswerte Analysen über Christsein an der Jahrtausendwende. Souveräner im Tonfall als seinerzeit die schonungslose Abrechnung "Zur Lage des Glaubens" (1985), mit Vittorio Messori. Im Juli 2010 schließlich begegneten sich Benedikt XVI. und Seewald in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo: Sechs Tage lang durfte der Journalist den Papst jeweils eine Stunde befragen. Daraus wurde das Buch "Licht der Welt - Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit".

Ehemaliger Papst bricht eigene Regeln

Schon in seinem Buch "Aus meinem Leben" (1997) bestimmte Joseph Ratzinger, woran er sich erinnert und woran nicht. Er steuert indirekt auch seine wissenschaftliche Rezeption: Im Verlag Herder erscheinen seit 2008 die "Gesammelten Schriften" (also nicht: Sämtliche Schriften) Joseph Ratzingers, 16 Bände sollen es werden, zehn sind erschienen, drei Mal mit einem eigenen Vorwort des Papstes, ein weiteres Mal, nach seinem Rücktritt, unterschrieben mit "Benedikt XVI."

Seewald, aus Passau stammender Oberministrant, in den 1970-ern aus der Kirche ausgetreten, zum Marxisten konvertiert, schrieb einmal für den Spiegel, für den Stern und das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Jetzt ist er freier Autor -und unter dem Eindruck der Begegnungen mit Joseph Ratzinger wieder in die Kirche eingetreten. Die nachfolgenden Interviews, lässt er die Leser von "Letzte Gespräche" wissen, wurden kurz vor und nach Benedikts Rücktritt als Hintergrundgespräch für die Arbeit an einer Biografie geführt Der Text wurde vom emeritierten Papst gelesen und für diese Ausgabe freigegeben.

Damit bricht der ehemalige Papst die von ihm selbst aufgestellten Regeln -ohne ein Amt zu haben. Er unterläuft das von ihm festgelegte Abschiedsszenario. Mit dem 28. Februar 2013,20 Uhr, war der Bischofsstuhl von Rom vakant. Benedikt wollte sich als "Mönch" zurückziehen und beten. Aber er trägt nach wie vor Weiß, er lässt sich mit "Heiligkeit" (Santità) ansprechen, er empfängt Besuche, es gibt Kontakte mit Papst Franziskus, der ihm jüngst einen Empfang zum 65. Jahrestag der Priesterweihe ausrichtete.

Seewald betont, Papst Franziskus habe der Veröffentlichung "ohne Wenn und Aber" zugestimmt. Manches muss sich sicher noch einspielen. Aber die unsägliche Unterscheidung des Präfekten des Päpstlichen Hauses, die von Papst Franziskus sanft, aber bestimmt korrigiert wurde -es gebe in der jetzigen Situation einen "aktiven" und einen "kontemplativen" Papst -, zeigt, wie delikat die Situation nach wie vor ist. Ich zolle Benedikt höchste Anerkennung für den historischen Entschluss, freiwillig auf sein Amt zu verzichten, dem er sich nicht mehr gewachsen fühlte. Das war mutig und weise. Er hat damit, wie Papst Franziskus sagte, "die Tür geöffnet für emeritierte Päpste".

Neue biografische Details

Ganz offensichtlich hat sich der 89-Jährige gesundheitlich wieder "derrappelt", wie er gut bayerisch zitiert wird. Benedikt darf und soll auch seine eigene Meinung haben. Aber muss er diese aus dem Off seines Klosters heraus kundtun? Gehören seine Wertungen und Bewertungen, seine Kommentare und Bemerkungen in die Öffentlichkeit? Er ist, in dieser besonderen Situation der Kirche und des Papsttums, wieder eine Privatperson, ein sehr spezielle natürlich. Aber ist er so unsicher, dass er meint, sein eigenes Bild malen zu müssen?

Benedikt spricht über die Motive seines Rücktritts. Er evaluiert seine Amtszeit (etwas überfordert; Als Gescheiterten kann ich mich nicht sehen; eine riesige Propagandaschlacht gegen mich). Einzelne Entscheidungen verteidigt er, etwa die Wiederzulassung der Tridentinischen Messe (Es sind zwei Weisen, sie rituell darzustellen, die aber einem Grundritus zugehören). Er räumt personelle und inhaltliche Fehleinschätzungen ein. Sehr ehrlich und offen. Er kommentiert aber auch seinen Nachfolger (ein Mann der praktischen Reform). Täte das ein US-Präsident?

Es gibt biografische Details, die mit neuen Nuancen angereichert wurden. Seewald hat in einem Interview ausgeplaudert, dass der junge Ratzinger unglücklich verliebt war. Müssen wir das wissen? Kann Persönliches nicht einer Biografie, muss der Pontifikat nicht den Historikern überlassen bleiben?

Außerdem zieht Benedikt über die deutsche Kirche her. In einer skandalösen Art. Es sind dieselben Feindbilder, die er seit der Würzburger Synode (1971/75) bemüht: In Deutschland haben wir diesen etablierten und hochbezahlten Katholizismus; Gewerkschaftsmentalität; Überhang an ungeistlicher Bürokratie: Wirft das ein "weiser Großvater" (Franziskus über Benedikt) seinen Bischofskollegen in Deutschland vor, über den Weg eines Interviews? Benedikt bleibt sich treu: Aber bestimmte Leute in Deutschland haben immer schon versucht, mich abzuschießen.

"Letzte Gespräche" eines ehemaligen Papstes bedienen Klischees vom Schattenoder Gegenpapst -und voyeuristische Neugier. Mit dem historischen Helikopterflug aus dem Vatikan vom 28. Februar 2013 hat ein Papst einem Nachfolger freiwillig das Feld überlassen -um es jetzt über die publizistische Hintertür doch wieder zu betreten. Halb Autobiografie, halb "Vermächtnis", ist dieses Buch vor allem eins: Apologie -in eigener Sache. Für die Zukunft müssen das Rücktrittsszenario und die nachfolgenden Modalitäten besser geregelt werden.

Deutsches Papst-Bashing?

Am Montag wurde das Buch in München präsentiert. Dass ein Verlagschef ein "historisches Buch" anpreist, dass von einer "deutschen Jahrhundertbiografie" die Rede war und der BR-Moderator Tilmann Schöberl eine "Sensation" witterte, versteht sich fast von selbst. Erzbischof Georg Gänswein und Peter Seewald beklagten deutsches "Papst-Bashing". Es brauche "Klarstellungen", um "Zerrbildern" der "Geschichtsschreibung" vorzubeugen. Ich wurde den Eindruck nicht los, zwei Päpste seien virtuell anwesend. Zehn Minuten dauerte es, bis der Ausdruck "Papa emerito" fiel. Es wurde nach dem Befinden von "Papst Benedikt" gefragt oder nach dem "päpstlichen Terminkalender"- wohlgemerkt dem des ehemaligen Papstes. Ein Interview im Deutschlandfunk hat Gänswein zwar nur "überflogen", hält es aber für "ziemlich giftig". Jeder Kritik wird apodiktisch beschieden: "Getroffene Hunde bellen." Journalisten fallen über einen arglosen, liebenswürdigen alten Mann her! Also: Majestätsbeleidigung des "Mozarts der Theologie". Stoff für den anwesenden Joseph Vilsmaier, der die entstehende Ratzinger-Biografie verfilmen will.

Der Hirte Benedikt hat sich mit diesem Buch letztlich selbst geschadet. Dass er es nicht merkt, ist die eigentliche Tragik.

| Der Autor ist Jesuit und Chefredakteur der "Stimmen der Zeit", München |

Benedikt XVI. Letzte Gespräche Mit Peter Seewald. Droemer/Knaur 2016.288 Seiten, geb. € 20,60

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