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Papa Pacelli

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Mit fast den gleichen Worten, mit denen der Engel in der Weihnachtsnacht den Hirten und den Herden die Geburt Christi verkündet, verkündet der jeweils älteste Kardinaldiakon vom berühmten Balkon des Vatikans der Welt die Geburt eines neuen Papstes. „Anuntio vobis“ heißt es in dieser Verkündigung, „magnum gaudium: Habemus Pa-pam! — Ich verkünde euch eine große Freude: Wir haben einen Papst!“

Die große Menge, die am 2. März 1939 sich auf dem Petersplatz versammelt hatte, mußte nicht lange auf diese Worte der Verkündigung warten. Schon am Nachmittag des gleichen Tages verkündete der Kardinaldiakon, daß Kardinal Eugenio Pacelli zum Papst gewählt worden war und den Namen Pius angeommen hatte.

Dieses Konklave, das am 1. März 1939 begonnen hatte, war in vieler Hinsicht eine Ueberraschung. Papst Pius XI. war am 10. Februar gestorben. „Erhalten Sie mich bis zum 11. Februar“, soll er zu seinem Leibarzt gesagt haben. An diesem 11. Februar jährte sich zum zehntenmal der Jahrestag dei Lateranverträge, und der unerschrockene Kämpfer, der Pius XI. war, wollte diesen Tag benützen, um eine Ansprache an die versammelten italienischen Bischöfe und Kardinäle zu halten. Es werden in dieser Rede einige offene, sehr offene Worte an die Adresse der Diktaturen enthalten sein, munkelte man in Rom. Die Rede wurde nie gehalten. Am Vorabend erlosch das Leben des Papstes.

62 Kardinäle versammelten sich zum Konklave am 1. März, 35 Italiener und 27 Nicht-italiener. „Es wird ein langes Konklave werden“, hatte noch der Kardinal von Mailand, Schuster, knapp vor dessen Beginn gesagt. Er irrte sich, es wurde ein kurzes, ein außerordentlich kurzes. Es dauerte kaum einen Tag.

Das Konklave, aus dem im Jahre 1800 Pius VH. hervorgegangen war, hatte noch dreieinhalb Monate gedauert, das Konklave das Gregor XVI. kreierte, zwei Monate, ftius X. und Pius XI. waren erst im sechsten Wahlgang gewählt worden, und nur Leo XIII.. wie Pius XII., schon im dritten. Wahlgang. Was aber diese Wahl noch besonders auszeichnete, war ein doppeltes: von den 62 Stimmen entfielen auf den Gewählten 61. Das gesamte Kardinalskolleg hatte seine Stimmen Kardinal Pacelli gegeben, ein Vorgang, der einmalig war. Einmalig wegen der Zeit, in der er stattfand

lieber der Welt lastet in jenen Tagen das Gespenst des Krieges. Der kalte Krieg raste schon auf vollen Touren, der heiße konnte jeden Tag ausbrechen. In Spanien hatten sich bis vor kurzem noch Spanier gegen Spanier geschlagen. Hitler bereitete den Einmarsch in die Tschechoslowakei vor. Die Welt stand sich in Waffen gegenüber, gespalten in die verschiedensten Lager Nation gegen Nation. Auch in diesem Kardinalskolleg, das am 1. März 1939 zur Wahl zusammentrat, gab es Angehörige der verschiedensten Nationen: Deutsche und Italiener, Tschechen und Polen, Franzosen und Engländer, Amerikaner und Asiaten. Aber inmitten einer Welt der Zerrissenheit bot dieses kleine Kollegium das Schauspiel der Einheit der Nationen im Schöße der Kirche.

Aber noch einen zweiten bemerkenswerten Umstand verriet diese Wahl: zum erstenmal seit Jahrhunderten wurde der Kardinalstaatssekretär des gestorbenen Papstes zum Papst gewählt.

Der jeweilige Kardinalstaatssekretär ist vielleicht der wichtigste Gehilfe des Papstes in der Regierung der Kirche. Eine Reihe von funkelnden Namen weist die Liste dieser hohen Würdenträger in den letzten 150 Jahren auf. Da ist Consalvi. der Staatssekretär Pius' VII., da ist Antonelli. der Staatssekretär Pius' IX., da ist Rampolla des Tindardo, der bedeutendste der Staatssekretäre Leos XIII.. da ist Merry de Val unter Pius X., da ist Gasparri unter Benedikt XV. und Pius XI. Fast bei jeder Wahl eines Papstes stehen die Wähler vor der Frage, ob die Politik des verstorbenen Papstes fortgesetzt oder eine neue eingeschlagen werden soll. Fast immer siegte jene Richtung, oft nach langem Kampf, die eine neue Richtung wollte. Deshalb unterlag Lambruschini, der Staatssekretär Gregors XVI., im Konklave von 1830, deshalb Rampolla im Konklave 1903* deshalb Merry de Val im Konklave von 1914. Pacelli erhielt einmütig alle Stimmen.

In einem anderen Punkte dagegen hatte das Kardinalskolleg bei dieser Wahl sich an eine Gewohnheit gehalten, die in den letzten 130 Jahren im Konklave oftmals in Erscheinung trat: die Stimme einem Kandidaten zu geben, der aus der diplomatischen Laufbahn der Kirche kam, Leo XII. (1823 bis 1439) war einst Nuntius gewesen, ebenso Leo XIII., auch Pius XI. Und Benedikt XV. war an der Nuntiatur in Madrid tätig gewesen und sein sehnlichster Wunsch war gewesen, dorthin als Nuntius zurückzukehren. Auch Pius XII. war von 1917 an Nuntius gewesen, zuerst in München, dann in Berlin — der erste päpstliche Vertreter beim Reich —, bis er 1930 Kardinalstaatssekretär Pius' XI. geworden war.

Mit Pius XII. kam wieder ein Römer zur Leitung der Kirche. Die drei Vorgänger des Papstes waren Norditaliener gewesen: Pius XI.war 1857 in Desio bei Mailand geboren — also noch als Oesterreicher —, Benedikt XV. war Genuese und Pius X. aus Riese im Venezianischen, das zur Zeit seiner Geburt ebenfalls zu Oesterreich gehörte. Die Tatsache, daß die drei Vorgänger Pius' XII. Norditaliener waren, hatte sich besonders günstig bei der Liquidierung der sogenannten „Römischen Frage“ ausgewirkt. Als Norditaliener empfanden diese Päpste den Verlust des Kirchenstaates nicht so tragisch, wie geborene Römer dies getan hätten, sie waren eher geneigt, einem erträglichen Kompromiß zuzustimmen. Unter Papst Pius X. begann der Modus vivendi swiscnen Quirinal und Vatikan, der unter Benedikt XV. fortgesetzt wurde und unter Pius XI. zum Abschluß der Lateranverträge und zur Schaffung der Vatikanstadt führten.

Wäre diese Vatikanstadt 1939 nicht existent gewesen, hätte auch Pius XII. noch als Gefangener im Vatikan“ leben müssen, seine ganze Tätigkeit während des Krieges wäre unvergleichlich schwieriger gewesen. Die Freiheit der Vatikanstadt gab ihm die Möglichkeit, in all den wirren Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit immer wieder für die Ziele der Kirche, für den Frieden unter den Menschen aufzutreten, sei „es gelegen oder ungelegen“.und durch die vorhandenen Sendeanlagen sein

Wort in alle Welt und durch alle Eisernen Vorhänge dringen zu lassen. Denn der Ruf nach Frieden ist eines der Hauptmerkmale seines Pontifikates, so daß man Pius XII. ohne weiteres den „FriedenspaDst“ nennen kann. Wie es ja auch sein Wappenspruch „Pax opus justitiae — Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit“ ausspricht und worauf auch sein Name „Pacelli“, der das Wort „Pace - der Friede“ enthält, hindeutet.

Die Pacellis gehörten zu den „schwarzen“ Familien Roms. Das waren jene Familien, deren Mitglieder nach der Besetzung Roms durch die Piemontesen im Jahre 1870 von dem neuen Königreich keine Notiz nahmen, sondern weiterhin den Papst als ihren Herrscher ansahen. Der Urgroßvater des Papstes war einst Finanzminister Gregors XVI. gewesen, der Großvater Unterstaatssekretär Pius' IX.. sein Vater selbst Advokat am päpstlichen Konsistorium. Trotz dieser Abstammung machte der am 2. März 1876 geborene Eugenio Pacelli einen seltsamen Bildungsweg durch. Er besuchte nicht, wie zu erwarten wäre, ein kleines Priesterseminar, sondern absolvierte das weltliche Gymnasium „Visconti“, trat dann nicht als Alumne in ein Priesterseminar ein, sondern studierte als Externer Theologie an der Gregoriana und gleichzeitig an der weltlichen Universität Rechtswissenschaft.

Monsignore Gasparri, der spätere Staatssekretär, wurde bald auf den jungen Priester aufmerksam und nahm ihn als Lehrling in das Amt für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten. In Rom erzählt man sich heute noch eine Anekdote über diese Epoche: Monsignore Gasparri kam in die Wohnung seiner Eltern und teilte dem jungen Pacelli seine neue Aufgabe mit. Das Gesicht des jungen Pacelli zeigte nach dieser Eröffnung eher eine Spur von Kummer. Warum er so unglücklich dreinschaue, soll ihn Gasparri gefragt haben. Er wäre sehr gerne in die Seelsorge gegangen, soll die Antwort gewesen sein. „Ah“, sagte der nicht immer höfliche Gasparri, „ich verstehe, Sie wollten ein Hirte werden, und die Rolle, die ich Ihnen auftrage, gleicht eher der eines Schäferhundes.“

Die/ Karriere des jungen Pacelli lief rasch.Knapp nach seinem Doktor wurde er Minu-tant, also selbständiger Referent am Staatssekretariat, 1903 schon Monsignore. 1905 päpstlicher Hausprälat. 1911 Unterstaatssekre-tär, 1912 Prosekretär, 1914 Sekretär. Dazwischen war er gleichzeitig Professor für Kirchenrecht an der päpstlichen Diplomatenhoch-schule, erhielt eine Berufung an die katholische Universität nach Washington, die er aber nicht annahm, da sein „Chef“, Monsignore Gasparri, ihn nicht gehen ließ. 1914 leitete er das „Amt für Gefangene“, seine erste große Friedensaktion. 1917 wurde er zum Erzbischof geweiht und im Mai zum Nuntius in Bayern ernannt. Deutschland hatte damals noch keine Nuntiatur. „Man nimmt mir meinen rechten Arm“, soll Kardinalstaatssekretär Gasparri gesagt haben. In München begann der Kampf Pacellis für den Frieden. Papst Benedikt XV. hatte nämlich am l. August einen Aufruf an alle Regierungen gesandt, Frieden zu schließen; er blieb unbeantwortet. Pacelli versuchte auf Geheiß des Papstes, in Deutschland selbst für den Frieden zu wirken; auch dieser Schritt blieb ohne Wirkung. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als für die Gefangenen, die Hinterbliebenen zu sorgen.

1920 wurde er Nuntius in Berlin, 1924 konnte er das Konkordat mit Bayern abschließen, 1929 mit Preußen — ein Ereignis, das noch Jahrzehnte vorher undenkbar gewesen wäre. 1929 verließ er das geliebte Deutschland, erhielt den Purpur, wurde bald Kardinalstaatssekretär. Ein Posten, der neben dem mächtigen, gewaltigen Pius XI. nicht immer leicht war. Jahre des Reisens als Päpstlicher Legat, nach Südamerika, nach Nordamerika, nach Ungarn, nach Frankreich kamen. Jahre, in denen düstere Wolken am politischen Horizont heraufzogen und sich teilweise schon zu entladen begannen.Dann kam der Tod Pius' XI. und die Wahl Kardinal Pacellis zum Papst.

„Pax opus, justitiae“ — der Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit. Als er gewählt wurde, stand der Krieg schon vor der Tür. Sechs Jahre seines Pontifikates hindurch raste der Krieg durch Europa, über Rom hinweg. Der Krieg in Asien ging weiter, in China, in Indonesien, in Vietnam. Städte fielen in Trümmer, Millionen von Menschen starben eines gräßlichen Todes, Millionen wurden vertrieben, Millionen wurden arm. Schon einen Tag nach der Wahl hatte der neue Papst für den Frieden gesprochen; es verging keine Rede seines Ponti-fikates, wo er nicht eindringlich für den Frieden eintrat. Seine Nuntien intervenierten bei den Regierungen, seine Stimme scholl durch den Aether: „Friede, Friede, Friede.“ Millionen und aber Millionen von Geld sandte er den Hilflosen, der Apparat des Vatikans wurde für die Gefangenen, die Hinterbliebenen, die Vermißten eingesetzt. „Tritt auf, sei es gelegen oder ungelegen.“ Papst Pius XII. trat auf: für den sozialen Frieden, für den Frieden zwischen den Nationen, in den Familien, zwischen den Rassen. Tausende und aber Tausende von Verfolgten ließ er in den Klöstern, den Kirchen verstecken, gleichgültig, ob es sich um Juden, Christen, Kommunisten handelte.

Dieser Papst, der so sehr für dert Frieden wirkte, der so sehr Diplomat sein konnte, vergaß keinen Augenblick die wahre Aufgabe seines Amtes: die Kirche zu regieren. Mitten im Krieg erließ er das große Rundschreiben über den mystischen Leib Christi, einige Jahre nach Ende des Krieges über das Priestertum (Mediator Dei). Was die kühnsten unter den Anhängern einer liturgischen Reform nicht zu träumen gewagt hatten, er führte es ein: die Feier der Osternacht, die Aenderung der Karwochenliturgie. Die Psalmen kamen in einer neuen Uebersetzung heraus, das Kirchenrechtsbuch für die orientalische Kirche wurde in Angriff genommen. Zum erstenmal ernannte er einen Chinesen und einen Inder zum Kardinal. Die religiöse Krönung seines Papsttums war die Verkündigung der Himmelfahrt Mariens am 1. November 1950, die erste unfehlbare Erklärung seit der Proklamierung des Unfehlbarkeitsdogmas. Aber auch Düsteres innerhalb der Kirche mußte er erleben: die Verfolgung der Kirche im Osten, in China, die Zerstörung der Kirche der Uniierten Griechen, die Einkerkerung dreier Kardinäle, vieler Bischöfe, zahlloser Priester, Mönche und Laien.

„Tritt auf, sei es gelegen oder ungelegen“ — fast kein Kongreß in Rom, bei dem der Papst nicht eine Ansprache hielt. Lieber den Sport, über Fernsehen, über medizinische Fragen, über Fragen der Naturwissenschaft. Die feinziselierten Reden trug der Vatikansender in alle Welt, die Zeitungen Millionen von Lesern zu. Kein Papst noch erreichte so sehr die Welt wie dieser. Kein Papst war bisher so bekannt und so populär wie dieser. Pius IX. erreichte unter den Christen eine ungeheure Popularität, Leo XIII. hohe Achtung unter vielen der Kirche Fernstehenden. Pius XII. ist populär unter den Christen, unter den Nichtkatholiken, unter Juden, Heiden, Protestanten. Niemals war das Papsttum so geachtet in der Welt wie unter dem Papst des Friedens.

Der Erste der Christenheit ist zugleich auch der letzte Diener aller. Er nennt sich „servus servorum Dei“. Er umspannt die ganze Menschheit. Pius XII. ist ein wahrhafter Diener seines Gottes, aller Christen, aller Menschen.

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