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Papst gegen NS-Ideologie

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Vor 60 Jahren veröffentlichte Pius XI. die Enzyklika „Mit brennender Sorge”. Ein Folgeschreiben - gegen Rassismus und Antisemitismus - erschien wegen Pius XI. Tod nicht mehr.

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Vor 60 Jahren veröffentlichte Pius XI. die Enzyklika „Mit brennender Sorge”. Ein Folgeschreiben - gegen Rassismus und Antisemitismus - erschien wegen Pius XI. Tod nicht mehr.

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Der Führer rast gegen die Pfaffen”, notierte Josef Goebbels am 22. März 1937 in sein Tagebuch. Tags zuvor war von den Kanzeln der 11.500 katholischen Pfarren im Deutschen Beich Pius XI. „In brennender Sorge” verlesen worden, die einzige Enzyklika in deutscher Sprache. Hier hatte der Papst seine Kritik am NS-Begime in scharfen Worten ausgedrückt: „Wer die Basse, las Volk oder den Staat ... zur höchsten Norm aller auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge.”

Adolf Hitler hatte noch in seiner Begierungserklärung 1933 „das Christentum als Basis unserer gesamten Moral” bezeichnet und versprochen, es in den „festen Schutz” nehmen zu wollen. Aber schon sieben Wochen nach der Machtergreifung kündigte er vor Parteigenossen an, das Christentum in Deutschland „mit Stumpf und Stiel, mit allen seinen Wurzeln” ausrotten zu wollen.

Trotz des am 20. Juli 1933 mit dem Vatikan abgeschlossenen Konkordates begann sehr bald die Hetze des „Chefideologen” Alfred Bosenberg gegen die Kirchen: kirchliche Jugendorganisationen und Publikationen wurden verboten, die konfessionellen Schulen geschlossen, die Kreuze aus den Klassenzimmern entfernt, Prediger bespitzelt. Mit propagandistisch ausgeschlachteten Prozessen gegen Priester wegen Sittlichkeits- oder Devisenvergehen sollte das Vertrauen in den Klerus unterminiert werden. Kardinal Adolf Bertram von Breslau verfaßte zahlreiche Eingaben gegen die Übergriffe, die Bischöfe Konrad Graf Prey-sing (Berlin) und Clemens Graf Galen (Münster) protestierten öffentlich. Als die drei mit den Kardinälen Michael Faulhaber (München) und Karl Josef Schulte (Köln) im Jänner 1937 dem Papst in Born berichteten, stellte auf Wunsch Pius XI. Faulhaber in drei Nächten den Text zusammen, der, vom ehemaligen Nuntius in Deutschland, Staatssekretär Eugenio Pacelli, endredigiert, als Enzyklika „Mit brennender Sorge” veröffentlicht wurde.

Zwiespältige Beurteilung

Der Text wurde an der Geheimpolizei vorbei durch päpstliche Kuriere allen deutschen Bischöfen überbracht und mit einer Auflage von 300.000 Stück gedruckt und verteilt. Der gläubige Mensch „hat ein unverlierbares Becht, seinen Glauben zu bekennen und in den ihm gemäßen Formen zu betätigen”, hieß es darin. Das Begime intensivierte darauf seine Aktionen. Goebbels heizte die Emotionen in einer haßerfüllten Bede an. 13 an der Vervielfältigung beteiligten Druckereien wurden geschlossen, zwölf davon später enteignet. Im Bückblick wird die Enzyklika zwiespältig beurteilt: Sie gab Klerus und Gläubigen die dringend notwendige Stärkung und Orientierung. Die I>age der Kirche in Deutschland wurde durch sie eher verschlechtert als gemildert.

Dies ist auch zu berücksichtigen, wenn heute von der „unterschlagenen Enzyklika ,Humani generis unitas'” gesprochen wird. Pius XI. rundete seine Kritik an den totalitären Systemen aller Art noch im März 1937 durch die Bundschreiben „Divini redemptoris” gegen den Kommunismus und „Ini-quis afflictisque” gegen die Kirchenverfolgung in Mexiko ab. Den Kommunismus bezeichnete er als „in seinem innersten Kern schlecht”. Wer die christliche Kultur retten wolle, dürfe sich auf keine Zusammenarbeit einlassen. Dann aber sollte eine weitere Enzyklika eine klare Verurteilung von Bassismus und Antisemitismus aussprechen. Drei Jesuiten arbeiteten einen Entwurf aus, der erst drei Wochen vor dem Tod Pius XI. vorlag. Nachfolger Pius XII. griff die Grundgedanken in vielen Stellungnahmen auf, gab den Text selbst aber nicht frei.

Ihm wird heute vorgeworfen, er hätte den Nationalsozialismus gegenüber dem Kommunismus als kleineres Übel betrachtet - als Nuntius in München hatte Eugenio Pacelli die Bäteregierung miterlebt, als Nuntius in Berlin die vergeblichen Verhandlungen mit der Sowjetregierung geführt, die Erleichterungen für die Kirche in der Sowjetunion bringen sollten. Er kannte die Bolschewiken. Und er wußte andrerseits, welche Folgen eine öffentliche Kampfansage an den Nationalsozialismus für Priester und Gläubige bringen mußte. Auch ohne diese kam jeder dritte Geistliche mit den NS-Behörden in Konflikt, 38.000 „Strafmaßnahmen” wurden verhängt. Von den rund 3.000 Geistlichen, die in Dachau inhaftiert waren, ist jeder dritte gestorben. Er war überzeugt, daß ein flammender Protest gegen die Greuel in Polen und Bußland die „Mordmaschine nicht nur nicht aufhalten, sondern eher noch beschleunigen würde”, schreibt der Kirchenhistoriker Josef Gelmi. Auch der römische Oberrabbiner Zolli riet ab.

Dagegen wurden 85 Prozent der rund 10.000 zur Zeit der Kapitulation Italiens im September 1943 in Bom befindlichen Juden in Klöstern und Pfarrhöfen versteckt und dem Zugriff der SS entzogen. Die Geschichte der nicht erschienenen Enzyklika, die nun durch ein Buch zweier belgischer Autoren als „Enthüllung” gehandelt wird, ist seit mehr als 20 Jahren bekannt.

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