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Die Schande von Gaeta

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Am 13. März gedachte Österreich der traurigen Tage vor 30 Jahren, da es durch Hitler für immer ausgelöscht schien. Am 10. April waren es 30 Jahre, daß Adolf Hitler durch eine Volksabstimmung den Anschein erwecken wollte, daß dieser Raub legal sei. An diesem 10. April 1938 geschah aber auch ein kleines Wunder, das der Öffentlichkeit so gut wie nie bekannt wurde, und nur in die Geheimarchive unter dem Namen „Die Schande von Gaeta” eingegangen ist.

Zur Zeit des Anschlusses studierten in Rom viele Hunderte österreichischer und deutscher Theologen. Auch befand sich eine nicht geringe Anzahl von Österreichern und Deutschen als Professoren an den Hochschulen und Instituten. Damit sie alle ihrer Wahlpflicht genügen konnten, wurde von der deutschen Botschaft ein Sonderzug nach Gaeta organisiert, wo damals gerade der deutsche Panzerkreuzer „Admiral Scheer” vor Anker lag. Hier, auf diesem deutschen Schiff, also auf deutschem Boden, sollten die österreichischen und deutschen Theo- logiestudenten und ihre Professoren, soweit sie ebenfalls Österreicher oder Deutsche waren, ihre Stimme abgeben und damit, wie die Veranstalter hofften, ein begeistertes Bekenntnis zu Adolf Hitler ablegen. Unter den Teilnehmern des Zuges befand sich auch der damalige Rektor der deutschen Nationalstiftung, Bischof Dr. Alois Hudai, ein Südsteirer, der teilweise slowenischer Abstammung war und deshalb manchmal unter einem Minderwertigkeitskomplex litt, was er durch ein betontes Verständnis für nationale Belange der Deutschen auszugleichen suchte.

Das Ergebnis der Wahl auf dem deutschen Panzerkreuzer war niederschmetternd für die deutschen Behörden: Eine einzige Stimme war für den Anschluß abgegeben worden (es dürfte nicht schwer sein, zu erraten, von wem diese Stimme stammte). Alle anderen hatten geschlossen — mit den berühmten 99,9 Prozent — gegen den Anschluß gestimmt.

Diese „Schande von Gaeta”, wie sie Bischof Hudai nannte, hatten dem Führer österreichische und deutsche Männer bereitet, die sich nicht von der allgemeinen Hysterie, von nationalen Schlagworten, vom Terror hatten beeinflussen lassen, sondern nur der Stimme ihres Gewissens folgten. Ihre Tat wurde damals natürlich verschwiegen und geriet später in Vergessenheit. Aber hier in Gaeta, jener kleinen Stadt, die einst Pius IX. Zuflucht in der Revolution von 1848 gewährt hatte, Und lange dem Ansturm der Piet- montesen widerstand, wurde Adolf Hitler die erste entscheidende Niederlage bereitet. Hätte diese „Schande von Gaeta” schon damals viele Nachahmer gefunden, so hätte sich niemals der Wahnsinn des Nazismus derart ausbreiten können.

Diese „Schande von Gaeta” hatte noch ein tragikomisches Nachspiel. Bischof Hudai ärgerte diese Niederlage, und er wollte sie ausmerzen. Deshalb beabsichtigte er einen feierlichen Dankgottesdienst aus Anlaß der „Heimkehr der Ostmark in das Reich” abzuhalten und lud an offiziellen deutschen und italienischen Persönlichkeiten ein, was nur ln der Kirche Santa Maria dell’ Anima Platz haben konnte. Einige Tage vor dieser Feier wurde Bischof Hudai plötzlich in den Vatikan zitiert und kam recht geknickt zurück. Seinem Sekretär teilte er nur kurz mit, daß Pius XI. Ihm energisch die Abhaltung dieses Dankgottesdienstes verboten habe. (Wer Pius XI. kannte, kann sich lebhaft vorstellen, wie diese Audienz verlaufen sein mußte. Pius XI. pflegte bei solchen Gelegenheiten — wie es im Kurialstil hieß — in „heiligmäßigem Zorn” die Platte seines Schreibtisches mit Fäusten zu bearbeiten.) Bischof Hudai blieb nichts anderes übrig, als die Eingeladenen wieder auszuladen.

Bischof Hudai aber verwand diese Niederlage noch weniger und wollte auch sie ausmerzen. Diesmal ging er klüger vor und lud nur telephonisch zu einem feierlichen Tedeum am 1. Mai ein. Der 1. Mai kam, die Kirche der deutschen Nationalstiftung war gesteckt voll, Bischof Hudai stand schon in der Sakristei, angetan mit seinen bischöflichen Gewändern, zur Rechten und zur Linken den Diakon und Subdiakon (einer von beiden war der spätere Wiener Weihbischof Dr. Streidt) und wartete darauf, das Zeichen zum feierlichen Einzug geben zu können.

Da kam plötzlich ein Auto mit einer Vatikannummer vor der Anima angefahren, ein päpstlicher Geheimkämmerer stieg aus und übergab eilends Bischof Hudai einen Brief. Dieser riß ihn auf, zuckte zusammen, wurde etwas bleich, versteckte den Brief im Ärmel seines Talares und gab das Zeichen zum Einzug. Feierlich schritt der lange Cortege in die Kirche zum Hochaltar. Dort angekommen, drehte sich Bischof Hudai nach der Kniebeuge zu den Versammelten um und sagte: „Das feierliche Tedeum, das wir jetzt an- stimmen, singen wir zum Dank für die Genesung Seiner Eminenz, des hochwürdigsten Herrn Kardinals Faulhaber”, drehte sich um und stimmte das Tedeum an.

Tableau! Wieder hatte Pius XI. eingegriffen. Irgendwie hatte dieser unerbittliche Gegner des Nationalsozialismus, der Rom verließ, als Hitler die italienische Hauptstadt besuchte, von acm Plan des Bischofs Hudai gehört und die Abhaltung des Tedeums kurzerhand verboten. In „seinem” Rom sollte Hitler nicht gehuldigt werden, und schon gar nicht in einer katholischen Kirche, und überhaupt nicht von einem Nachfolger der Apostel.

Und Bischof Alois Hudai? Er schloß sich im Laufe des Krieges durch seine Taten allen jenen an, die durch ihre Stimmabgabe gegen das „Dritte Reich” die „Schande von Gaeta” geschaffen hatten. Er half Juden, wo immer er konnte, er versteckte Desserteure und als die Amerikaner 1944 Rom eroberten, war er der erste, der am Gebäude der österreichischen Gesandtschaft in der Via Pergolesi die rotweißrote Fahne hißte.

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