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Der römische Purpur

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In den letzten Jahren wurde über die eventuellen Absichten des gegenwärtigen Papstes bezüglich einer Neuordnung der' Kurie, die eine solche des Heiligen Kollegiums der Kardinäle mitbedingen würde, so viel geschrieben, daß es fast überflüssig erscheint, all dem noch etwas hinzufügen zu wollen.

Da sich die gesamte Verwaltung der römischen Kurie, das heißt der römischen Kongregationen, der ständigen päpstlichen Kommissionen, der Tribunale und der Offizien, in ihrer personalen Zusammensetzung und ihrem Aufgabenbereich auf das kirchliche Rechtsbuch, den Codex Juris Canonici, stützt, in dem bis jetzt in 33 Jahren nur ein Paragraph eines einzigen Canons (von 2414 Canones) geändert worden ist, würde eine wesentliche Veränderung der kurialen Verwaltung die Änderung vieler Canones zur Voraussetzung haben. Gegen die Wahrscheinlichkeit einer solchen weitgehenden Änderung spricht vor allem das in

Rom sehr bedeutende Gewicht der Tradition und die Tatsache der technischen Bewährung der Jahrhunderte alten kurialen Verwaltungspraxis, die in manchen Perioden der europäischen Geschichte von vielen mächtigen Staatsregierungen nachgeahmt und wegen ihrer konsequenten Ordnung und juridischen Vollkommenheit berühmt geworden ist.

Andererseits wurden jedoch durch- die bisher einzigen Kardinalsernennungen Papst Pius' XII. vom Jahre 1946 Verhältnisse geschaffen, welche tatsächlich entweder eine Vermehrung der Zahl der Kurienkardinäle fordern oder eine Änderung der personalen Zusammensetzung der einzelnen obersten Kurialämter.

Wenn man das Zahlenverhältnis zwischen den Kurienkardinälen und den auswärtigen Kardinälen seit Pius IX., also seit 1846 bis zur großen und bisher einzigen Ernennung von Kardinälen durch Pius XII. im Jahre 1946, betrachtet, wird das Hauptproblem sehr leicht sichtbar.

Paps Pius IX. ernannte während seines 32jährigen Pontifikats insgesamt 122 Kardinäle, Leo XIII. in fünfundzwanzig Jahren sogar 135. — Als Pius IX. im Jahre 1850 vierzehn Kardinäle ernannte, von denen vier Italiener waren, sprach man bereits von einer „Internationalisierung“ des Heiligen Kollegiums im Gegensatz zur Ernennungspolitik seines Vorgängers Gregors XVI., der als „Italianissimo“ galt. Entscheidend aber bei den Ernennungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war immer das zahlenmäßige Übergewicht deT Italiener über alle nichtitalienischen Kardinäle in ihrer Gesamtzahl, was eine viel höhere Zahl der Kurienkardinäle als heute voraussetzte, da diese fast ausnahmslos Italiener gewesen sind. Das traditionelle Festhalten an den drei Kardinalordines seit Sixtus V. (1585 bis 1590): sechs Kardinalbischöfe, fünfzig Kardinalpriester (zum größten Teil mit Bischofsweihe) und vierzehn Kardinaldiakone (alle ohne Bischofsweihe, bis zum Erlaß des neuen Codex, 1917, nur teilweise mit Priesterweihe) gab für diese große Zahl der Kardinäle „in curia“ die beste Grundlage: denn von jeher residierten alle Kardinaldiakone in Rom, auch' die Kardinalbischöfe entweder in den nahe bei Rom gelegenen suburbikarischen Bistümern oder an der Kurie selbst. Damit war schon ein Minimum von zwanzio Kurienkardinalen gegeben, wozu meist noch acht bis zwölf Kardinalpriester „in curia“ kamen.

In den beiden auf Leo XIII. folgenden Pontifikaten (Pius X. und Benedikt XV., 1903 bis 1922) änderte sich in dem Zahlenverhältnis zwischen italienischen und nichtitalienischen Kardinälen nichts.

Zur Zeit der Wahl Pius' XI. (1922) gab es sechzig Kardinäle, unter diesen 31 Italiener. Pius XI. kreierte insgesamt 74 Kardinäle, von denen 42 Italiener waren. Besonders berühmt wurde die von den Journalisten und Historikern als „Massenkreation“ bezeichnete Ernennung vom 16. Dezember 1935, in der Papst Pius XI. zwanzig Kardinäle publizierte, darunter zwei im Jahre 1933 nicht veröffentlichte. Auch Pius XI. erreichte nie die Siebzigzahl der Kardinäle, denn einige Stunden vor diesem Konsistorium, das das Heilige Kolleg auf die Siebzigzahl ergänzen sollte, starb Kardinal Lega. —

Als Pius XII. gewählt wurde, zählte das Heilige Kolleg 62 Mitglieder, davon 36 Italiener, sechs Franzosen, je drei Deutsche, Spanier, US-Amerikaner, je e:nen Belgier, Engländer, Iren, Österreicher, Polen, Portugiesen, Tschechen, Ungarn, Kanadier, Argentinier, Brasilianer und Syrer, insgesamt 26 Nicht-italiener. Das Übergewicht der Italiener war also immer noch vorhanden. — Fast volle sechs Pontifikatsjahre vergingen ohne Kardinalsernennungen, und bis zum 18. Februar 1946 war die Zahl der Kardinäle auf 37 gesunken: 23 Italiener und 14 Nichtitaliener, davon drei Franzosen; sonst hatte keine Nation mehr als einen Kardinal. Von diesen 37 Kardinälen waren sechs Kardinalbischöfe (alle an der Kurie), 26 Kardinalpriester (davon sechs an der Kurie) und fünf Kar-dinaldiakone, alle' an der Kurie. Insgesamt gab es achtzehn Kurienkardinäle, alle Italiener bis auf den französischen Kardinal Tisserant. Außer der geringen Zahl der Kardinäle, besonders aber der Kardinaldiakone, waren doch die wesentlichen Elemente in der Zusammensetzung unverändert wie bisher: fast zwei Dritte! Italiener im gesamten Kolleg und die Kurienkardinäle bis auf einen alle Italiener.

Es kam das große Konsistorium vom 18. Februar 1946, die ersten Kardinalsernennungen seit 1937. Papst Pius XII. hatte bereits in seiner Weihnachtsansprache 1945 die Ernennung von 32 Kardinälen im nächsten Konsistorium angekündigt. Da in der Zwischenzeit Kardinal Boetto S. J., Erzbischof von Genua, am 30. Jänner (1946) gestorben war, wurde mit der ^Kreation von 32 Kardinälen nicht die ursprünglich beabsichtigte Vollzähligkeit des Heiligen Kollegs erreicht.

Von den 32 neuen Kardinälen waren nur vier Italiener: zwei Nuntien, ein

Kurialprälat (der einzige Kardinaldiakon, alle anderen 31 wurden als Kardinalpriester kreiert) und der Erzbischof Ruffini'von Palermo. Von den 28 Nicht-italienern waren je drei Deutsche, Franzosen, Spanier, US-Amerikaner, je zwei (Anglo-) Kanadier und Brasilianer, je ein Holländer, Engländer, Pole, Ungar, Portugiese (für Portugiesisch-Afrika), Australier, Argentinier, Chilene, Peruaner, Kubaner, Chinese jrnd Armenier.

Pius XI. hatte 1935 den syrischen, Pius XII. 1946 nun den armenischen Patriarchen zum Kardinal ernannt; es waren zur betreffenden Zeit jeweils die kleinsten jener orientalischen unierten Riten, wie man die Gesamtheit der Hierarchie und der Gläubigen nennt, an deren Spitze ein Patriarch steht. Diese beiden Riten zählen je zirka 80.000 Gläubige. (Uberhaupt werden die zahlenmäßig stärksten unierten Riten: die Ukrainer, Rumänen und Syro-Malabaresen in Südindien nicht durch Patriarchen, sondern durch Metropoliten regiert.)

Die große Zahl der lateinamerikanischen Kardinäle — es gab unter den neuen Purpurträgern neben sieben Angelsachsen sieben der spanisch und drei der portugiesisch sprechenden Nationen — fällt besonders auf.

Insgesamt gab es nach dem Konsistorium vom Februar 1946 nunmehr 22 Ku-rienkarJinäle, alle Italiener mit Ausnahme des Kardinal Tisserant, sowie 47 Kardinäle „extra curiam“; 2 7 Italienern standen nun 42 Nichtitaliener gegenüber. Man sprach von Internationalisierung des Kardinalkollegiums, von Entitalienisierung usw. Sicher war der Anteil der Italiener im Gesamtkollegium in einem noch nie dagewesenen Prozentsatz zurückgegangen:

die Italiener stellten nur mehr ein starkes Drittel der Kardinäle. Was aber in keiner Weise erreicht war, das war die Internationalisierung der römischen Kurie selbst. Die Kurienkardinäle sind nur die höchste Spitze der die Gesamtkirche verwaltenden Organe. Und diese Organe, das heißt die höheren Kurialbeamten, die Monsignori der Kongregationen, die Prälaten der Tribunale und Offizien, sind nach wie vor fast ausnahmslos Italiener, wie übrigens auch der gesamte geistliche und weltliche Hofstaat des Papstes fast ausschließlich italienisch ist; er gehört aber nicht zur Kurie, spielte jedoch früher eine gewisse Rolle in der Ergänzung des Heiligen Kollegiums und muß daher hier erwähnt werden. Da sich nun die Kurienkardinäle vor allem aus den Nuntien und den Prälaten der Kurie ergänzen, was aus technischen Gründen gar nicht anders möglich ist, da an der Spitze aller dieser Ämter im praktischen Dienst erfahrene Männer stehen müssen, würde die Internationalisierung der Kurienkardinäle eine solche des gesamten höheren kirchlichen diplomatischen Dienstes sowie der höheren Kurialämter voraussetzen, nach einem nationalen Schlüssel; entsprechend der Katholikenzahl der verschiedenen Staaten. Dieser konsequent durchgeführte nationale „Schlüssel“ besteht innerhalb der Kurie bisher nur an der römischen Rota, die aber als einziges der drei hohen Tribunale überhaupt keinen Kardinal als Leiter (oder Mitglied) aufweist. In dieser Hinsicht sind vorbildlich die Generalkurien der großen Orden und religiösen Kongregationen, bei denen die höchsten Berater des Ordensgenerals nach Nationen verteilt sind, eine Tatsache, die besonders deutlich etwa bei der Gesellschaft Jesu wird, deren Generale nur zu einem ganz geringen Teile der italienischen Nation entnommen wur-\

den; man kann also ganz römisch und ganz katholisch sein, ohne deshalb italienisch sein zu müssen.

Für die Gesamtregierung der Kirche sind jedoch innerhalb des Heiligen Kollegiums nach wie vor die Kurienkardinäle entscheidend und nicht die jetzt so zahlreichen Kardinäle außerhalb Roms; die Funktion letzterer beschränkt sich fast ausschließlich auf das allerdings wichtigste Recht der Kardinäle: die Papstwahl.

Im Februar 1946 gab es zweiundzwanzig Kurienkardinäle, heute sind es nur mehr dreizehn, davon zwölf Italiener. Von diesen dreizehn Kardinälen „in cura“ sind drei über achtzig Jahre alt (86, 85 und 84), acht über siebzig und ny.r zwei zählen je siebenundsechzig Jahre. Nach dem kirchlichen Rechtsbuch können die zwölf römischen Kongregationen, die nicht ohne Grund oft mit den Staatsministerien verglichen werden, als stimmberechtigte Mitglieder ausschließlich Kardinäle haben, dasselbe gilt für den obersten geistlichen Gerichtshof der Signatur. Auch die drei wichtigsten der ständigen päpstlichen Kommissionen bestehen aus Kardinälen, hiezu kommen noch einige Kardinalskommissionen, so zum Beispiel diejenige für die Verwaltung der Citti dei Vati-cano. Diese dreizehn Kardinäle sind außerdem die Protektoren von Orden und kirchlichen Kongregationen, deren Zahl in die Hunderte geht.

An den Vollsitzungen der römischen Kongregationen können fast nur die Kurienkardinäle teilnehmen, da die auswärtigen nur sehr selten in Rom sind. Die geringe Zahl der Kurienkardinäle bedingt es, daß die Religiosenkongregation überhaupt keinen Kardinalpräfekten hat, daß Kardinal Pizzardo zugleich Sekretär der höchsten Kongregation des Heiligen Offiziums und Präfekt der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten ist, während die Ritenkongregation in Kardinal Micara nur mehr einen Propräfekten hat, seit dieser als Kardinalvikar von Rom diese ungefähr eine Million zählende Diözese leitet. Die beiden Tribunale der Signatur und der Pöniten-tiarie haben noch jetzt einen Kardinal als Leiter, aber bei den vier großen „Uffici“ wird der Ausfall der Kurienkardinäle am deutlichsten: diese vier Offizien sind die Apostolische Kammer (Camerlengo der heiligen römischen Kirche unbesetzt seit 1941), die Cancelleria Apostolica (vakant seit 1942) und das Staatssekretariat (unbesetzt seit 1944). Nur die Datarie, das unbedeutendste dieser Offizien, hat noch einen Kardinal als „Datario“. Da die Prä-fektur der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten mit dem Kardinal-Staatssekretariat in Personalunion steht, ist auch diese Kongregation seit dem Tode des Kardinals Ma-glione (1944) ohne Präfekten. Man kann nun nicht sagen, daß Papst Pius XII. prinzipiell alle diese Ämter unbesetzt wissen wollte, denn er selbst ernannte ja einen Kardinalstaatssekretär und einen Kardinal-Camerlengo der heiligen Kirche, zwei Ämter, die er selbst vor der Wahl zum Papste bekleidet hatte.

Es ist also eine außerordentliche Fülle verantwortungsvollster Ämter, mit denen diese dreizehn Kurienkardinäle bekleidet sind. Es ist klar, daß es unmöglich ist, einerseits die so sehr gewünschte und voll berechtigte Internationalisierung des Kardinalskollegiums durchzuführen, andererseits aber die nach der geltenden Rechtsordnung für die oberste Verwaltung der kirchlichen Zentralämter entscheidenden Kurienkardinäle zahlenmäßig so sehr zurückgehen zu lassen, daß wichtigste Ämter jahrelang unbesetzt bleiben müssen. Gerade die Tatsache, daß man sich nicht damit „aushilft“, diese Ämter etwa in der Hand nur ganz weniger Kardinäle zu vereinen oder sie entweder, wie das Billett für die „Mitgliedschaft“ (nicht jedoch die Präfektur oder das Sekretariat) der Kongregationen, an Kardinäle „extra curiam“ zu verleihen, zeigt sehr deutlich-das große Gewicht der Verantwortung und die Fülle der Arbeitslast, die mit diesen Ämtern verbunden ist. Man mußte sich schon damit aushelfen, daß man italienische Kardinäle, welche Erzdiözesen in Italien jahrelang regiert hatten, nach Rom rief und ihnen wichtige vakant gewordene Ämter übertrug. Aber auch so ist das Problem nicht lösbar, denn von den sechs italienischen Kardinälen, welche zugleich Erzbischöfe sind, sind drei 78, einer 74, einer 71 und einer 63 Jahre alt.

Wenn sich eine Internationalisierung des Heiligen Kollegiums ohne Nachteile für die Regierung der Gesamtkirche nur dadurch erreichen läßt, daß man auch die Auswahl der Kurienkardinäle international vollzieht, müßte ^nan auch diesen letzten Schritt tun. Daß dazu eine Internationalisierung der gesamten Kurie notwendig wäre, wurde bereits gezeigt.

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