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Kirchlicher Konservativismus

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Alle diese Fragen werden sich auch dem neuen Papst stellen: das Konzil, die Katholiken Osteuropas, der Frieden. Welche Antwort wird er auf sie geben? Das läßt sich nicht voraussehen und vorausbestimmen, aber mit ihrer Wahl stoßen die Kardinäle das Schifflein Petri unzweifelhaft in eine bestimmte Richtung. In welche? Während des ökumenischen Konzils sind bestimmte Meinungsgruppen zutage getreten, für die man, obwohl es sich nicht um Parteien handelt, die der Politik entlehnte Begriffe, „Konservative“, „Fortschrittliche“ oder „Gemäßigte“ der Bequemlichkeit halber verwendet. Was aber bedeutet „konservativ“ in unserem Zusammenhang? Auf religiösem und ideologischem Gebiet bedeutet es eine klare Abgrenzung des Katholizismus und das Sichabschließen gegen außen, ein Versiegen des ökumenischen Gedankens.

Aus dem Versöhnungskonzil würde ein Verteidigungskonzil werden. Sich den anderen Christen verständlich zu machen, ist Sache der anderen. Neue dogmatische Definitionen sollen die Katholiken gegen Irrtümer abschirmen. Auf pastoralem Gebiet bedeutet „konservativ“, daß die traditionellen Mittel der Seelsorge intensiviert, aber keine grundlegend neuen dazu kommen sollen: die Herz-Jesu-Andachten würden verbreitet werden und die Arbeiterpriester verboten bleiben, um nur ein Beispiel zu nennen. Psychologisch gesehen, bedeutet „konservativ“ eine pessimistische Einstellung gegenüber dem Weltlauf und der Menschennatur.

Der Mensch ist schwach und verfällt leicht der Sünde: Mit Autorität und Nachdruck, notfalls mit Gewalt, muß den Menschen geholfen werden, sich vom Irrtum, zu befreien. Politisch bedeutet „konservativ“ die Abschlie-ßung gegen links, gewiß, aber auch gegen den Liberalismus, gegen den demokratischen Sozialismus, gegen die modernen Methoden der Wissenschaft, zum Beispiel ihre Anwendung in der Bibelwissenschaft. Die Jesuiten im Bibelinstitut der „Grego-riana“ würden nur mehr Sprachen unterrichten dürfen.

Nun, „fortschrittlich“ bedeutet genau das Gegenteil all dessen, wobei man sich darüber im klaren sein muß, daß der revolutionäre Geist der Kirche fremd ist. Die „Fortschrittlichen“ sind der Meinung, daß es für die Kirche verhängnisvoll wäre, den ökumenischen Gedanken auf dem Konzil dialektisch auszuhöhlen und sie wünschen, daß der von Johannes XXIII. eingeschlagene Kurs fortgesetzt werde, mit fester Hand, wenn notwendig, gegen die Konservativen, aber natürlich auch gegen auflösende Tendenzen einzelner Heiß-SDorne. Genau so hatte Papst Roncalli auf dem Konzil gehandelt, immer das Gleichgewicht hergestellt, wenn es bedroht schien. Die „Fortschrittlichen“ betrachten nicht wie ihre konservativen Antipoden Freiheit und Demokratie als schöne Illusionen, ihre Sympathien gehören nicht den rechtsautoritären Regimen wie denen Francos oder Salazars (der Sekretär des heiligen Offiziums, Ottaviani, und der Kurien-

kardinal, Antoniutti, lange Nuntius in Madrid, haben sie offen bekundet).

Suche nach einem Kompromiß

Die gleichen Meinungsgruppen werden jetzt im Konklave zum Vorschein kommen und einen Vertreter der eigenen Richtung auf den Papstthron bringen oder die Wahl eines der anderen verhindern wollen. Allerdings bringen die Kräfteverhältnisse, soweit sie von Rom aus überschaubar sind, mit sich, daß keiner der extremen Exponenten Aussicht hat, die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erlangen Es wird notwendigerweise nach einigen erfolglosen Wahlgängen zu einem Kompromiß kommen müssen, der entweder einen weniger ausgesprochenen Anhänger bestimmter Richtungen, der aus dem einen oder anderen Grund auch auf der anderen Seite Sympathien besitzt, oder aber einen Außenseiter betreffen kann. Das Konklave bietet eine günstige Gelegenheit für Journalisten, sich mit Voraussagen über den vermutlichen Ausgang zu blamieren. Dennoch sollen hier einige Namen genannt werden, aber nur als typische Kandidaten dieses Kompromisses: Carlo Confalonieri, heute als Sekretär der Konsistorialkongregation in engem Kontakt mit dem Weltepiskopat, mit 70 Jahren in einem „guten“ Papstalter, als einstiger Bischof von Aqüila verfügt er auch über seelsorgerliche Erfahrung, was bei der Papstwahl ins Gewicht fällt. Confalonieri war in seiner Jugend Privatsekretär Pius' XI. gewesen und hat als solcher die kirchliche Regierung aus nächster Nähe kennengelernt. Der aus der Diözese Mailand stammende Norditaliener stand bei Johannes XXIII. in hohem Ansehen, was sich darin ausdrückt, daß er in die Kardinalskommission für die Koordinierung der Konzilarbeiten ernannt worden ist, das wichtigste Organ des Konzils.

Alfonso C a s t a 1 d o, Erzbischof von Neapel und Bischof von Pozzuoli, würde als Außenseiter'in Frage kommen. Der fromme und karitative Seelenhirt würde den idealen „religiösen Papst“ darstellen, aber seiner Wahl steht entgegen, daß er unter den nichtitalienischen Kardinälen wenig bekannt ist, daß er keine diplomatische und

keine Kurienerfahrung mitbringt. Er ist 73 Jahre alt.

Paolo M a r e 11 a hingegen, Erzprie-ster von St. Peter und Präfekt der Bauhütte, ist ein Mann mit reicher diplomatischer Vergangenheit. Er ist elf Jahre in Washington, fünfzehn in Tokio, fünf in Sidney und schließlich sechs als Nuntius in Paris gewesen. Das bedeutet ein ganzes Vermögen an Kontakten, dann die Unterstützung der sechs Kardinäle zählenden Franzosen. Obwohl er der konservativen Meinungsgruppe angehört, ist ihm der extreme Integralismus und fanatisches Eiferertum fremd. Man erinnert sich, daß der verstorbene Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini ihn gern als seinen Nachfolger gesehen hätte, aber Johannes XXIII. hat nichts davon wissen wollen. Marella zählt 68 Jahre. Sollte sich die konservative Gruppe im Konklave sehr stark erweisen, würde er den „Fortschrittlichen“ noch am ehesten akzeptabel erscheinen, eher noch als Ernesto R u f f i n i, Erzbischof von Palermo, obwohl diesem wegen seiner menschlichen Qualitäten, seiner Offenheit, der Lauterkeit seines Charakters, leicht die Sympathien zufliegen. Noch geringere Chancen hätte der erwähnte Ildebrando Antoniutti, 65 Jahre,

hochgelehrter Theologe und von tiefer Frömmigkeit. Nach Ottawa war er Nuntius in Madrid gewesen. Er stammt aus der Provinz Udine und verkörpert einen lupenreinen Konservativismus, für den das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, wie es in Spanien herrscht, einen Idealfall darstellt.

Bei den „Fortschrittlichen“ gibt es weder eine einheitliche Ausrichtung, welche die Stärke ihrer konservativen Konkurrenten ausmacht, noch einen wirklich aussichtsreichen Kandidaten. Am ehesten noch der Patriarch von Venedig, Giovanni U r b a n i, ein Venezianer, der mit Papst Roncalli auch freundschaftlich verbunden war. Seltsamerweise befindet sich sein Name auf jener Liste von neunzehn Kardinälen, die während des ökumenischen Konzils einen gegen die Forschungsmethoden des Bibelinstitutes gerichteten Protest unterzeichnet haben. Diese wurde als authentische Liste der Konservativen bezeichnet. Urbani hat allerdings später erklärt, er habe nicht richtig erkannt, worum es sich handelte. Zum engsten Freundeskreis Roncallis gehörte auch Gustavo T e s t a aus der Diözese Bergamo, Sekretär der Kongregation für die Ostkirchen. Er ist bereits 77 Jahre alt.

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