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Im Ringen um das Konzil

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DAS I. VATIKANISCHE KONZIL. Von Cuthbert Butler und Hugo Lang. Kösel-Verlag, München. 2. Auflage, 1961. 540 Seiten. Preis 22.50 DM. - DAS ÖKUMENISCHE KONZIL, DIE KIRCHE UND DIE CHRISTENHEIT. Von Erzbischof Lorenz J a e g e r. Vierte, erweiterte Auflage. Verlag Bonifacius-Druckerei, Paderborn, 1961. 182 Seiten. Preis 6.90 DM. — KONKRETE WÜNSCHE AN DAS KONZIL. Von Viktor Schurr, Marianne Dirks, Richard Bxumann, A. Lissner. Verlag Butzon und Bercker, Kevelaer, 1961. 94 Seiten. Preis 2.80 DM.

„Was erwarten wir vom Konzil?“ So heißt bekanntlich eine vielbeachtete Schrift von Otto B. R o e g e 1 c. In dem kleinen Sammelband, den V. Schurr, Marianne Dirks, Richard Baumann und A. Lissner herausgegeben haben, werden Wünsche des katholischen Seelsorgers, des protestantischen Theologen und katholischer Frauen an das Konzil vorgetragen. Dem Seelsorger geht es um Fragen der Liturgie, um das Verhältnis von Hierarchie und Laien in der Kirche, um Diakonat, Cemeinschaftsseelsorge, Ehe und Familie und Kirchenrecht. Richard Baumann berichtet über das Ergebnis einer Umfrage in der württembergischen evangelischen Landeskirche und faßt diese in Form von Appellen an Rom zusammen: Rom, nimm der Christenheit jeden Anlaß zur Angst! Rom, ziehe deine Mauern weiter! Rom, bringe Wahrheiten zur Deckung! Rom, zeige dich als Vorsteherin des Liebesbundes! Rom, rufe uns zum großen Fischzug! Rom, sei der Gottesfriede aller Völker! Marianne Dirks und Anneliese Lissner legen Dokumente einer Laienaktion und Wünsche, die in Briefen vorgetragen wurden, vor. Bescheidene, rührend bescheidene Wünsche, demütig vorgebracht.

Erzbischof Lorenz Jaeger von Paderborn, Mitglied des „Sekretariats zur Förderung der Einheit der Christen“, legt in seinem vom Johann-Adam-Möhler-Institut, Paderborn, vorbereiteten Werk die Haltung der offiziellen Sprecher der römisch-katholischen Kirche und Stellungnahmen von Führern des Weltprotestantismus und der Orthodoxen vor. Der deutsche Erzbischof kommt hier auch auf die Schwächen, den Argwohn, die Verdächtigungen zu sprechen, die rund um das I. Vatikanische Konzil eine so große Rolle gespielt haben. Hier wird an eine große Wunde gerührt, die heute vielfach verdeckt, überschwiegen, aber noch nicht wirklich ausgeheilt ist.

Eine umfassende katholische Darstellung der dramatischen und tragischen Vorgänge um und auf dem I. Vatikanischen Konzil wird erst möglich sein, wenige Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil, wenn dieses nämlich, wie viele Katholiken hoffen, eine Öffnung der Geister und Herzen im Katholizismus bringt. Das I. Vatikanische Konzil ging, wörtlich und übertragen, in Blitz und Donner auseinander. Während der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas ging ein furchtbares Gewitter über St. Peter nieder, der Vormittag wurde zur finsteren Nacht, vom Sturm wurde das Glas in einem Fenster fast genau über dem päpstlichen Thron zerbrochen und kam klirrend herunter. Am nächsten Tag wurde der Krieg zwischen Frankreich und Preußen erklärt. Am 20. September dieses Jahres 1870 besetzte die italienische Armee Rom, machte der weltlichen Herrschaft des Papstes ein Ende: eben jener Herrschaft, für die die römische Kurie im ganzen 19. Jahrhundert so schwere und gefährliche Opfer gebracht hatte. Noch Leo XIII. hat ja bekanntlich an den Plänen der Wiederherstellung des Kirchenstaates festgehalten und glaubte dies durch ein Eündnis mit Rußland zu erreichen. Weitere Folgen nicht direkt des Konzils allein, sondern vor allem der Verfinsterung des innerkirchlichen Klimas um 1870 waren die Aktionen und Denunziationen im sogenannten Modernistenstreit: zwischen 1870 und zunächst 1914 wurde eine Elite der katholischen Intelligenz in Europa, zumal in Deutschland, Frankreich, England, Italien, „gesäubert“ bzw. unterdrückt, ging in einem wahren Hexenkessel der Verfolgung und Diskrimination unter. Jetzt, am Vorabend des II. Vatikanischen Konzils, haben bedeutende Theologen in Holland, Belgien, Frankreich erklärt: eine zweite Verfolgung dieser Art können wir uns nicht mehr leisten.

Was hat das alles mit dem II. Vatikanischen Konzil zu tun? Sehr, sehr viel. Nach dem Niederkämpfen der Opposition auf dem I. Vatikanischen Konzil setzte sich ein Absolutismus, wohl nicht des Papstes persönlich, wohl aber der Apparate, durch. Es gibt bis heute keine katholische Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts, welche die fatalen Folgen der „Gehirnwäsche“, die große und so berechtigte Angst führender katholischer Theologen und Denker in dieser Periode permanenter Denunziation und Verfolgung so schildert, wie es notwendig ist. Wenn nämlich diese Verhältnisse nicht überwunden werden, gewinnt der Katholizismus nicht Freiheit nach innen: diese Freiheit nach innen ist die wichtigste Voraussetzung für Geschichtsmächtigkeit nach außen. Ein Vorpreschen nach außen ist gefährlich, wenn es nämlich Ablenkung von den Zuständen im Inneren ist. Es ist also kein Zufall, sondern zeitnotwendig bedingt, daß jetzt, am Vorabend des II. Vatikanischen Konzils, die katholische Forschung und Darstellung beginnt, die teilweise so düsteren Vorkommnisse des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu erhellen. In Frankreich ist in diesem Sinne ein Werk des Jesuiten Rene Marie zu nennen, dem Karl Pfleger soeben in der Weihnachtsnummer des „Hochland“, Dezember 1961, eine bedeutsame Untersuchung widmet: „Das wahre Gesicht der modernistischen Krise.“ In Deutschland ist soeben in zweiter Auflage, übersetzt, eingeleitet und mit einem wichtigen Nachwort von Hugo Lang, dem bekannten Benediktinertheologen und Abt, versehen, eine Bearbeitung des Werkes des englischen Abtes Cuthbert Butler über das I. Vatikanum erschienen: „Das I. Vatikanische Konzil.“ Butler hat mit dem Freimut, der einem Flügel des englischen Katholizismus eigen ist, an Hand der Briefe und Aufzeichnungen des englischen Konzilteilnehmers Bischof Ullathorne die Vorgänge um und auf diesem Konzil geschildert, soweit man sie eben in unserer Zeit, vor dem II. Vatikanischen Konzil, im katholischen Raum schildern darf. Sehr sichtbar wird jedenfalls, warum, aus tausend guten Gründen, man darauf verzichtet hat, das am 20. Oktober 1870 vertagte, nicht abgeschlossene Konzil einfach heute direkt weiterzuführen. Für viele und sehr bedeutende Konzilsteilnehmer galt 1870, als sie Rom verließen, die Uberzeugung: einmal so, aber nicht wieder!

Zur Opposition auf dem I. Vatikanischen Konzil gehörten, unter Führung der österreichischen Kardinäle Rauscher und Schwarzenberg, Erzbischof Melchers von Köln, der ungarischen Erzbischöfe Simor und Haynald, zeitweise rund 200 Konzilsmitglieder, wobei das Schwergewicht, nicht nur zahlenmäßig, auf den 33 französischen, IS österreichischen, 13 ungarischen, 14 deutschen, 24 nordamerikanischen und 19 orientalischen Bischöfen lag, die zeitweise oder bis zum bitteren Ende der Oppositionsgruppe angehörten. Es waren dies Bischöfe und Kardinäle, die, weit mehr als ein Großteil der die zahlenmäßige Mehrheit bildenden Bischöfe Italiens, Spaniens, Südamerikas und anderer Länder, an der Front der Gegenwart standen: in direkter Auseinandersetzung mit der Bildung und Wissenschaft der Zeit, mit dem Protestantismus, mit der Ostkirche.

Ein überragender Führer auf der anderen Seite, auf der Seite der Sieger, war der englische Erzbischof Manning (er wurde 1875 Kardinal), ein Konvertit, von dem Abt Butler schlicht festhält, „daß Andersdenken für ihn schlechthin gleichbedeutend war mit Unrechthaben“ (S. 115). Nicht wenige bedeutende Männer auf dem Konzil waren der Überzeugung, der Bischof Ketteier, der große Führer des deutschen Katholizismus später im innerdeutschen Kampf, in seiner Rede am 28. Mai 1870, Ausdruck gab: wie das Streben im Staate, alle freiheitlichen Formen aufzuheben und die absolute Monarchie herzustellen, gerade den Untergang der Monarchien herbeiführe, so werde auch in der Kirche die Übertreibung der päpstlichen Gewalt zwar nicht den Untergang der Kirche herbeiführen, aber großes Unheil stiften. Absolutismus cor-ruptio populorum. Der Absolutismus ist das Verderben der Völker (S. 325 f.).

Butler, der mit großer, englischer Umsicht, ja Liebe, beide Parteien, die Sieger und die Besiegten, schildert, vertritt, wie es bisher im Orbis catholicus kaum anders möglich war, die Ansicht: die Ängste der Opposition vor einer römischen Diktatur seien zwar sehr verständlich auf Grund der Verhältnisse um 1870 gewesen, seien jedoch durch die Geschichte widerlegt worden. Wer die Kämpfe um den „Modernismus“, das Wesen und Unwesen der Indizierungen und Denunziationen zwischen 1870 und zunächst, sagen wir, 1914, einigermaßen kennt — weithin sind sie tabuiert, man spricht von ihnen nicht —, wird anderer Ansicht sein. Wobei, um nicht mißverstanden zu werden, es nicht so sehr der Eigenwille einzelner Päpste ist, der Unheil angerichtet hat, als der „Übermut der Ämter“, das Wüten von Apparaten, die, päpstlicher als der Papst, sich als Herren, Richter aufspielten.

Hoffnungen und Ängste weben sich am Vorabend des II. Vatikanischen Konzils: sie haben nicht zuletzt in Ängsten und Hoffnungen um das I. Vatikanum ihre Wurzeln. Vom Wachsen der römischkatholischen Kirche und des Katholizismus nach innen, vom Gewinn von Freiheit nach innen, wird alles andere abhängen: nicht zuletzt die echte Verhandlungs-fähigkeit mit den ostkirchlichen und evangelischen Partnern.

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