Johannes Paul - © Foto: APA / AFP / Gabriel Bouys

Katholisch in einer globalisierten Welt - Zum 100. Geburtstag von Johannes Paul II.

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Er war eine Jahrhundertpersönlichkeit. Was aber hat der „polnische Papst“ seiner Kirche – abseits der Klischees seine Person betreffend – hinterlassen? Zum 100. Geburtstag von Johannes Paul II. am 18. Mai.

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Er war eine Jahrhundertpersönlichkeit. Was aber hat der „polnische Papst“ seiner Kirche – abseits der Klischees seine Person betreffend – hinterlassen? Zum 100. Geburtstag von Johannes Paul II. am 18. Mai.

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War es ein Zufall oder das Ergebnis bewusster Planung? Für seine Reise zur letzten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils wählte Karol Wojtyła den viel längeren Weg über Innsbruck. Wollte der passionierte Skifahrer noch schnell die inzwischen im damaligen Polen durch die Olympischen Spiele 1964 bekannt gewordene Alpenstadt und die Sprungschanze sehen?

Mit realistischem Auge betrachtet, schien dies die letzte Möglichkeit zu sein, die Grenze des Eisernen Vorhangs zu passieren. Das Konzil näherte sich seinem Ende und abseits dieses weltweit beachteten Ereignisses würden die kommunistischen Machthaber einen Bischof kaum ins Ausland reisen lassen. Im Gästebuch des Innsbrucker Priesterseminars findet sich unter dem Datum 12. September 1965 ein im schönsten Latein verfasstes Dankeswort des Erzbischofs von Krakau. Die zwei Tage später, am 14. September beginnende letzte Sitzungsperiode des Konzils dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass Wojtyła 13 Jahre später, am 16. Oktober 1978, zum Papst gewählt wurde.

Der bisher eher im Schatten der westlichen Theologen und Bischöfe stehende polnische Hierarch arbeitete nämlich intensiv an den letzten – bei den reaktionären Bischöfen und Katholiken am meisten umstrittenen – Beschlüssen des Konzils mit: dem Dekret über die Religionsfreiheit, Dignitatis humanae (DH), und der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et Spes (GS). Der inhaltliche Fokus beider Dokumente entsprach zutiefst seiner personalistisch ausgerichteten Philosophie, aber auch seinem mystisch angehauchten Zugang zur christlichen Spiritualität.

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Der „Unbekannte aus dem Osten“ ist in diesen letzten Wochen des Konzils zu einer bekannten Persönlichkeit geworden: Papst Paul VI. ernennt ihn gleich beim nächsten Konsistorium zum Kardinal, hört mehr auf seinen Rat im Kontext von Humanae vitae denn auf das Votum der von ihm selber eingesetzten Kommission, überlässt ihm dann gegen Ende seines Pontifikats 1976 die Durchführung der Fastenexerzitien für die Mitarbeiter der Vatikanischen Kurie.

Augenzwinkernd könnte man also sagen: Der kurze Aufenthalt in der Alpenstadt markiert den Beginn einer weltkirchlichen Karriere des in Polen immer in der zweiten Reihe hinter Kardinal Stefan Wyszyński stehenden Wojtyła.

Roter Faden des „polnischen“ Pontifikats

Der 100. Geburtstag dieser Jahrhundertpersönlichkeit motiviert zur Frage, was dieser „polnische Papst“ der Kirche hinterließ? Und dies abseits der bekannten Klischees, die seine weltkirchliche Bedeutung auf die unzähligen Reisen reduzieren. Oder aber auf die genauso unzähligen Selig- und Heiligsprechungen, auf die in der Weltgeschichte größten religiösen Massenversammlungen von Millionen von Menschen und auf die erst lange nach seinem Tod aufgebrochene Diskussion über den in kirchlichen Kreisen zur Zeit seines Pontifikats so gegenwärtigen sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen.

So überraschend es auf den ersten Blick klingen mag: Die beiden genannten Dokumente weisen auch auf den entscheidenden roten Faden seines Pontifikates hin. Und dieser Faden stellt auch dessen bleibendes Erbe dar. Es ist dies die durchaus moderne christologische Fundierung der im Konzil begonnenen und durch sein Pontifikat Wirklichkeit gewordenen Revolution im Verständnis dessen, was Katholizität in einer globalisierten Welt bedeuten kann.

Johannes Paul II. war ein hochpolitischer Mensch und ein frommer – sich von der mystischen Erfahrung angezogen fühlender – Zeitgenosse.

Weil sich der Sohn Gottes in seiner Menschwerdung mit jedem Menschen verbunden hat (GS 22), er und seine Apostel aber die Wahrheit über Gott niemals mit Gewalt bezeugt haben (DH 11), kann es für Christen keine Grenze für den Dialog und für das gemeinsame Zeugnis in Sachen Frieden und Gerechtigkeit, Menschenrechte und Gewaltverzicht geben.

Nicht nur der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger musste mehrmals Luft holen, als „sein“ Papst die Vertreter christlicher und nichtchristlicher Religionen für den 27. Oktober 1986 zu einem Gebetstreffen um den Weltfrieden nach Assisi einlud. Der Besuch in der römischen Synagoge (13. April 1986) und an der Klagemauer (27. März 2000), das Küssen des Koran in der Umayyaden-Moschee in Damaskus (6. Mai 2001) – jeweils historische Sensationen sondergleichen – stellten nur eine allzu logische Folge dieser konziliaren Glaubensgrundsätze dar. Wenn Papst Franziskus in Zeiten der Pandemie zu einem gemeinsamen Gebet aller Religionen (für den 14. Mai) aufruft, so bewegt er sich auf den Pfaden, die Johannes Paul II. als Erster beschritten hat.

Ähnliches trifft für die Frage der spezifisch kirchlichen Sünde zu. Der am 1. Fastensonntag 2000 (12. März 2000) im Petersdom gefeierte Bußgottesdienst dürfte unter dogmatischer Rücksicht genauso eine Revolution im Verständnis dessen sein, was Kirche sei, wie das Treffen in Assisi. Auch damals „musste“ der Glaubenskongregationspräfekt mehrmals schlucken, als er im Namen seiner Behörde – die ja eine Nachfolgeinstitution der Inquisition bleibt – an Gott die Klage und die Bitte um Vergebung richtete, weil die Kirche in ihrer Geschichte „die Wahrheit“ mit den Mitteln verkündigte, die dieser Wahrheit widersprachen.

Eine neue Bußkultur

Das Schuldbekenntnis, das der Papst bei seinem Besuch bei der Klagemauer in die Ritze steckte, war der erste Schritt auf dem Weg einer neuen Bußkultur. Der Widerstand der Kurie und die mangelnde Rezeption des Umdenkens in Sachen „heilige Kirche“ von Seiten der Theologie ließ den epochalen Schritt des ersten Fastensonntags 2000 schnell vergessen. Erst das Erschrecken über das Ausmaß des Missbrauchs bewegte Franziskus dazu, klar von der spezifischen kirchlichen Sünde zu sprechen.

Und die Sache mit dem Sozialengagement? Johannes Paul II. hat keine Enzyklika über die Kirche hinterlassen (abgesehen von der Enzyklika über Ökumene), wohl aber drei Sozialenzykliken. Erst durch diese lehramtliche Aufwertung der christlichen Soziallehre rückte diese ins Zentrum des kirchlich verfassten Glaubens. Es ist das Erbe dieses Pontifikates, dass man im 21. Jahrhundert die Frömmigkeit und das Sozialengagement nicht mehr gegeneinander ausspielen kann. Ihm verdankt die Kirche auch den Grundsatz, dass Menschenrechte den Weg des Evangeliums anzeigen. Er meinte damit aber nicht die bürgerliche Mentalität, die Rechte für sich reklamiert, sondern die Bereitschaft, sich für Rechte anderer einzusetzen.

Johannes Paul II. war ein hochpolitischer Mensch und ein frommer – sich von der mystischen Erfahrung angezogen fühlender – Zeitgenosse. Die Bedeutung seiner Erkenntnis, dass absolut gesetzte Gerechtigkeit zur Barbarei führen kann, die Gerechtigkeit deswegen auch immer in der viel größeren Barmherzigkeit aufgehoben werden muss, verdankte er der Mystik. Auch in dieser Hinsicht ist der lateinamerikanische Papst Franziskus ein treuer Schüler des polnischen Pontifex. Dieser hat auch den Jesuiten – entgegen der Ordensspiritualität – zum Bischof ernannt und zum Kardinal erhoben. Ihn also auf eine entscheidende Weise zum „papabile“ gemacht.

Der Autor ist em. Professor für Dogmatik an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck.

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