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Von Krise zu Krise

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Als dieser 1853 vom Seckauer Bischofsstuhl nach Wien versetzt wurde, findet er eine Situation vor, die sich durch die Ereignisse der Französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts, durch die Revolution von 1848 in Österreich, durch die Einführung der konstitutionellen Monarchie, die Thronbesteigung Franz Joseph I. stark verändert hatte. Staat und Kirche treten in Verhandlungen über die gemeinsamen Angelegenheiten. Rauscher ist am Verhandlungstisch der Bevollmächtigte des Kaisers. In Rom und in Wien werden die Besprechungen intensiv geführt, bis am 18. August 1855 — der Kaiser ist 25 Jahre1 alt — das Konkordat unterzeichnet werden kann.

Das Konkordat hatte von vornherein seine Feinde in den liberalen Kreisen. Rauscher mußte oft im Herrenhaus in der Debatte für ein Verständnis eintreten. 1867 erschienen Gesetze, die dem Konkordat widersprachen, und 1870 wurde es einseitig gekündigt, weil — so lautet die Begründung — durch Erklärung der Unfehlbarkeit des Papstes der Kompaziszent ein anderer geworden sei. Selbst Bismarck wunderte sich über das Unsinnige dieser Begründung.

Das kirchliche Leben ging trotzdem weiter; die Bevormundung ist jedenfalls beseitigt. Erfreulich ist auch, daß sich die Katholiken ihrer sozialen Aufgabe besinnen. Wurde schon bei der Vollversammlung der Bischöfe 1856 über die Verwahrlosung der Jugend in den Fabriken gehandelt, so verschwindet das soziale Problem nicht mehr aus dem Blickfeld, besonders als gegen Ende des Jahrhunderts Freiherr von Vogel-sang zum Sprecher in sozialen Fragen wird. Die Entfaltung des kirchlichen Lebens hält an und bestimmt den Gang der Dinge vom 19. in das 20. Jahrhundert über die Kardinäle Gruscha und Nagl in die Zeit, die wir schon teilweise miterlebten.

Der Propst des Chorherrenstiftes Klosterneuburg, Friedrich Gustav Piffl, übernimmt am 2. Mai 1913 die Erzdiözese in kritischer Zeit. Seine schwerste Aufgabe war es, beim Zusammenbruch des großen Reiches nach dem ersten Weltkrieg den Weg zu finden und zu weisen, wie die Seelsorge auch in den geänderten Verhältnissen weitergeführt werden konnte.

Eine ähnlich schwere Aufgabe wird auch auf seinen Nachfolger Theodor Innitzer gelegt. Der Abstand ist noch nicht groß genug, um ihm ganz gerecht zu werden. Ich kann aber eines mit Sicherheit sagen, daß es die Lauterkeit seines Charakters war und seine grenzenlose Güte, die ihn bestimmten, als Bischof sein Bestes zu geben. Sein Wahlspruch „In Liebe dienen“ ist sein seelsorgliches Konzept. Das Volk gehört zum Bischof und der Bischof gehört zum Volk, so drückt er sich einmal aus.

Die Krise beginnt erstmalig, als 1934 der christliche Ständestaat proklamiert wird und zugleich das neue Konkordat in Kraft tritt. Man tut ihm bestimmt unrecht, wenn man meint, er sei einem bestimmten politischen System verschrieben gewesen. Das gutgemeinte Konzept des Ständestaates mußte scheitern, weil der Druck von außen her zu stark war und weil in den meisten Staatsbürgern die christliche Substanz sehr dürftig war. Dem Kardinal mußte es aber darum gehen, im Sinne der Vereinbarung zwischen Staat und Kirche die Seelsorge noch mehr zu aktivieren; so, hatte es den Anschein, er würde voll und ganz auch das sogenannte „System“ unterstützen. In Wahrheit wurde er aber sehr bald zum mahnenden Gewissen und legte ernst, voll Verantwortung im Einzelgespräch sowie in öffentlichen Kundgebungen, den Finger auf Wunden, wies hin auf christlichem Geist widersprechende Ungerechtigkeiten.

Eine andere Krise brachte ihm dann der März 1938. Es waren Tage ohne Paradigma, wo man eben nicht viel fragen konnte, sondern das Beste zu tun bestrebt war, um zu retten, was zu retten war. Daß trotzdem die Verhaftungswelle hereinbrach, daß der Religionsunterricht aus den Schulen verwiesen wurde, daß Vereine aufgelöst wurden, kirchliche Einrichtungen beschlagnahmt wurden, daß eine polizeiliche Überwachung einsetzte, ärger als in den Tagen des Josephinismus — und dies trotz aller Verhandlungen und Vorsprachen, das zeigte nur, daß der Kardinal einem Partner gegenüberstand, dem man nicht Lauterkeit' nachsagen kann. Auch in dieser Periode bleibt er den Seinen ein sorgender Vater. Zum drittenmal brechen krisenhafte Tage herein im April 1945, als die Befreiung kommt, wie man sie sich eigentlich nicht vorgestellt hat. Wieder steht der Kardinal so wie im Oktober 1938 in einer verwüsteten Wohnung, ausgeraubt bis auf das, was er am Leibe trägt. Aber auch jetzt geht er an den Wiederaufbau mit den Seinen: der Dom, die zerrütterte Seelsorge, die Armut und Not Der Katholikentag 1952, bei dem er als päpstlicher Legat fungiert, kann ihm die Beruhigung geben, daß er das Seine getan hat.

Das Wirken der Bischöfe Wiens in den 500 verflossenen Jahren fließt 1956 ein in die Arbeit des jetzigen Oberhirten, unter dessen Führung das Bistum in das 6. Jahrhundert seines Bestandes eintritt Mit Interesse und Liebe an seine neue Aufgabe herantretend, hat er in der Folge die Anregungen und Beschlüsse des Konzils für eine Neugestaltung und Intensivierung der seelsorglichen Arbeit ausersehen, indem er zu einer Kirchenversammlung aufrief, zur Diözesansynode, die jetzt begann. So betritt er mit den Seinen die Schwelle des 6. Jahrhunderts.

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