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Okkupation, Annexion und Konkordat

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Vizekanzler Dr. Adolf Schärf hat in der sozialistischen Monatsschrift „Die Zukunft“ die Frage aufgeworfen: „Gilt das Konkordat?“ und daran die weitere Frage geknüpft: „War der Anschluß Annexion oder Okkupation?“ Die Diskussion, die in der „Arbeiter-Zeitung“ mit großem Eifer weitergeführt wurde, kommt zu dem anscheinehd einfachen Ergebnis, daß die Okkubationstheorie von jenen Kräften aufgestellt wurde, die für die Fortsetzung des Konkordats seien, während die Konkordatsgegner sich zur Annexionstheorie bekennen müßten. Damit wurde die Frage, die entscheidend ist für den rechtlichen Bestand Österreichs, zu einem Kulturkampfproblem gestempelt: wer für den rechtlichen Fortbestand Österreichs während der deutschen Herrschaft 1938 bis 1945 eintrete, sei ein Anhänger des Konkordats, wer jedoch ein Konkordatsgegner sei, müsse Österreich während dieser Zeit auch rechtlich als einen Bestandteil des Deutschen Reiches ansehen. Diese überscharfe Gegenüberstellung, aus parteipolitischen Erwägungen entsprungen, ist für das österreichische Gesamtproblem durchaus unzutreffend. Es gibt viele Österreicher, die leidenschaftlich dafür eingetreten sind, daß Österreich ein besetztes Land war und rechtlich niemals zum Bestandteil Deutschlands wurde, aber aus weltanschaulichen Gründen Gegner des Konkordats sind. Diese Anhänger der Okkupationstheorie heute zu Anhängern des Konkordats erklären zu wollen, wird wohl kaum die Wirkung hervorbringen, die den Initiatoren dieser Diskussion am Herzen gelegen ist.

Wenn der erstgenannte Autor zur Stützung seiner Thesen das Bundesgesetzblatt für einen Zeitpunkt zitiert, in dem dieses überhaupt noch nicht existiert hat, liegt offensichtlich ein bedauerliches Versehen vor. Schlimmer ist, daß im Zusammenhang mit der Untersuchung ein seriöser, durch seine wissenschaftlichen Arbeiten bekannter höherer Beamter des Außenministeriums und Dozent der Wiener Universität, Dr. Stephan V e r o s t a, Angriffen ausgesetzt war, die völlig unberechtigt und unzutreffend sind. So wurde in der „Arbeiter-Zeitung“ behauptet, daß Verosta an mehreren Stellen den Streitgegenstand, nämlich, ob es Okkupation oder Annexion heißen soll, weginterpretiert hat,

„indem er nämlich dort, wo in internationalen Dokumenten in fremden Sprachen von Annexion die Rede ist, dies einfach mit Okkupation übersetzt — und allenfalls die richtige sprachliche Wiedergabe in eine Fußnote verweist. Das ist vollkommen unzulässig und eine solche Methode der Beweisführung hätte in früheren Zeiten den, der sie anwendet, einfach disqualifiziert: sie hätte nicht als wissenschaftlich, ja schlechthin als schwindelhaft gegolten.' Wer Verostas Buch „Die internationale Stellung Österreichs 1938 bis 1947“ auf diese Beschuldigung hin überprüft, wird finden, daß der Verfasser amtliche Übersetzungen alliierter Dienststellen verwendet und als gewissenhafter wissenschaftlicher Arbeiter in den Fußnoten immer wieder auf die Quelle und den Originaltext in Fremdsprache verwiesen hat. Hiezu kommt noch, daß Verosta bei der Abfassung seines Buches überhaupt nicht an das Konkordat, sondern an die brennende Frage des rechtlichen Fortbestandes Österreichs gedacht hat.

Dr. Schärf bedient sich zur Stützung seiner Argumente auch des Vorwurfs gegen Verosta, daß er in einem „wichtigen Rechtsgutachten für den amerikanischen Kongreß den Ausdruck Annexion“ übergehe. Der Verfasser dieses ratsächlich Wichtigen Rechtsgutachtens ist mein leider seither verstorbener Kollege Professor Herbert W r i g h t, ein großer Freund Österreichs. Der ganze Tenor seiner Arbeit, die amtliches amerikanisches Material Und die Meinungen führender amerikanischer Völkerrechtler enthält, läuft darauf hinaus, die sogenannte „Annexion“ als das zu charakterisieren, was Sie tatsächlich war: die gewaltsame Besetzung eines freien Landes, Zu der die amerikanische Politik nie ihre Zustimmung gegeben hat. Diese Haltung, die der damalige Staatssekretär für Äußeres, Mr. Cordeil Hull, unter anderem am 27. September 1942 klar mit der Feststellung umrissen hat, daß die amerikanische Regierung „niemals die Stellung eingenommen habe, daß Österreich vom Deutschen Reich rechtlich absorbiert wurde“, kommt auch in den von amtlicher amerikanischer Stelle vorbereiteten Übersetzungen zum Ausdruck, die in der „Arbeiter-Zeitung“ als schwindelhaft bezeichnet werden.

Wer so wie ich Gelegenheit hatte, die Entwicklung dieser Rechtsfragen i n Amerika zu verfolgen, wird bezeugen können daß von dieser Grundlinie nie abgewichen würde. Der amerikanische Standpunkt war nun einmal, daß Gewalt nicht vor Recht geht, und es ist daher zumindest für die amerikanische Auffassung nicht richtig, wie Vizekanzler Doktor Schärf behauptet, „daß die Frage der Rechtmäßigkeit einer Annexion nichts mit der Frage zu tun hat, ob eine solche überhaupt vorliegt“. Wie hätten andererseits die Amerikaner die österreichischen Staatsbürger weiterhin als solche ansehen können, wie dies immer der Fall gewesen ist, und wie- hätten sie am 23. November 1943 eine eigene rot-weißrote Österreichmarke emittieren können, wenn die offizielle Politik, die in wiederholten Erklärungen des Präsidenten Roosevelt in der Österreichfrage eindeutig zum Ausdruck gekommen war, die gewaltsame Besetzung Österreichs nicht als das deklariert hätte, was sie wirklich war — einen Rechtsbruch, der wohl das österreichische Volk unterdrücken, aber seinen Staat nicht auslöschen konnte? Die Moskau-Deklaration, die gleichfalls die Annexion als null und nichtig erklärte, hätte überhaupt nicht von Österreich sprechen können, wenn die Alliierten den rechtlichen Bestand Österreichs nicht als gegeben betrachtet hätten. Ich weiß genau, es hat auch Gegner der Okkupationstheorie während des Krieges in Amerika gegeben. Die Wortführer waren Vertreter der deutschen politischen Emigration, die durchaus damit einverstanden waren, daß Österreich von Deutschland absorbiert worden war, und nur Hitler nicht verzeihen konnten, daß diesen Schritt er und nicht sie selbst getan hatten. Für diese Kreise war es auch ausgemacht, daß Österreich als Völkerrechtssubjekt verschwunden war und verschwunden bleiben sollte. Will mah sich etwa mit diesen Anhängern der Annexionstheorie identifizieren?

Es müßte den Verfassern bekannt sein, daß die österreichische Regierung in ihrer bisherigen Zusammensetzung immer wieder den Standpunkt vertreten hat, daß die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich ein Gewaltakt war, nicht aber eine rechtlich gültige Handlung. Und darum geht es letzten Endes. Wer ernstlich dafür einträte daß Österreich 1938 auch rechtlich ausgelöscht wurde, würde damit billigen, daß Gewalt Recht schafft und Macht vor Recht geht — eine

These, die sich mit demokratischem Denken nicht Vereinen läßt.

Eines aber ist sicher: den Initiatoren der neuen Diskussion kommt das Verdienst zu, nicht nur die Frage des rechtlichen Bestandes Ostedeichs, sondern auch jene des Fortbestandes des Konkordats neuerlich auf die Tagesordnung gesetzt zü haben. Das Ist im Grunde begrüßenswert, denn nur die Klärurtg allfälliger Zweifelsfragen kann dazu beitragen, Ungewißheit aus der Welt zu schaffen. Zu lange ist gezögert worden, diese Fragen zu bereinigen. Die Neuordnung des österreichischen Staatswesens berührt selbstverständlich auch die Frage der Beziehung von Kirche und Staat, und damit im Zusammenhang steht natürlich auch die Frage des Konkordats. Daß viele seiner Bestimmungen, wie etwa die staatliche Beiträgsleistung an die katholische Kirche, durch die Entwicklung überholt sind, liegt auf der Hand. Daß hier Änderungen einzutreten haben, um den Inhalt des Konkordats mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Gegenwart in Einklang zu bringen, wird nicht bestritten.

Die Frage zu bereinigen, ist nunmehr Sache von Bundesregierung und Kirche, und es ist zu hoffen, daß der erste Schritt zu einem gemeinsamen Weg führt — niemals aber um den Preis, daß sich die österreichische Politik im fünften Jahre der Wiedergewonnehen Selbständigkeit von ihrer bisherigen Haltung in der Frage der deutschen Gewaltherrschaft trennt.

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