
"Bei den Tätern ist nur Schweigen"
Gedenken und Gedächtnis haben im Jubiläumsjahr Hochkonjunktur. Doch die Gefahr ist groß, dass es bei hohlen Gesten bleibt. Die deutsche Kulturwissenschafterin Aleida Assmann beschreibt die Tücken des kulturellen Gedächtnisses.
Gedenken und Gedächtnis haben im Jubiläumsjahr Hochkonjunktur. Doch die Gefahr ist groß, dass es bei hohlen Gesten bleibt. Die deutsche Kulturwissenschafterin Aleida Assmann beschreibt die Tücken des kulturellen Gedächtnisses.
DIE FURCHE: In ihrem Buch "Geschichtsvergessenheit - Geschichtsversessenheit" beschreiben Sie das problematische Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit. Ist die Tatsache, dass nun ein Deutscher zum Papst gewählt wurde, ein Zeichen für die Rückkehr zur Normalität?
Aleida Assmann: Es gab für dieses Ereignis eine denkbar merkwürdige Überschrift in der Bild-Zeitung: "Wir sind Papst!" Hinter diesem Satz steckt eine Formulierung, die plausibler ist: "Wir sind Weltmeister!" Das ist ein Satz aus dem Vokabular des Nationalstolzes. Es zeigt eine neue Ambition einer Nation, die durch Negativerfahrungen geprägt ist und nun versucht, positive Erlebnisse dagegenzustellen. In diesem Fall denke ich, dass das Thema Normalität noch nicht Gegenwart geworden ist. Wir befinden uns vielmehr noch immer in einer posttraumatischen Zeit. Man sieht das an der Anormalität dieses Erinnerungsprozesses - Erinnerungen, die in die Ferne rücken, werden nicht blasser, sondern stärker. Das kann man nur aus einer gewissen Psychodynamik heraus erklären, die immer noch anhält - auch 60 Jahre nach dem Krieg. Die Jahre des Nationalsozialismus und des Krieges waren so etwas wie eine gestauchte Zeit, eine Zeit, die wie in einem Teleskop ineinandergeschoben war, wo sich ein entsetzliches Grauen entfaltet hat, das nicht sofort bearbeitet werden konnte. Es gab immer noch Tabuphasen von bestimmten Themen und eine lange Phase des Integrierens in Gesprächs- und Diskurszusammenhänge.
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