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Jan Assmann: Kulturelles Gedächtnis und Religion

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Am 14. Oktober wird das Kulturwissenschaftler-Ehepaar Aleida und Jan Assmann in der Frankfurter Paulskirche gemeinsam mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Seit Jahrzehnten inspirieren und ergänzen die beiden einander wechselseitig.

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Am 14. Oktober wird das Kulturwissenschaftler-Ehepaar Aleida und Jan Assmann in der Frankfurter Paulskirche gemeinsam mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Seit Jahrzehnten inspirieren und ergänzen die beiden einander wechselseitig.

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Der diesjährige Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sticht aus der Reihe der Preisverleihungen früherer Jahre hervor. Zum einen, weil Persönlichkeiten, die vor allem durch ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgewiesen sind, kaum unter den Preisträgerinnen zu finden sind. Man muss schon ins Jahr 1995 zurückgehen, um mit der Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel eine dem Ehepaar Assmann vergleichbare wissenschaftliche Koryphäe unter den Preisträgerinnen zu finden. Und überhaupt erst einmal wurde die renommierte Auszeichnung einem Ehepaar verliehen - den schwedischen Sozialreformern Alva und Gunnar Myrdal im Jahr 1970.

Dennoch ist die diesjährige Auszeichnung plausibel, sowohl was den "Frieden" als auch was die Gemeinsamkeiten im Œuvre der Assmanns betrifft. Auch Jan Assmann hat Bahnbrechendes zum kulturellen Gedächtnis publiziert, sein "Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen" aus 1992 liegt in 8. Auflage vor, und "Religion und kulturelles Gedächtnis"(2000) in 5. Auflage.

Dem heute 80-jährigen Jan Assmann, der von 1976 bis 2003 an der Universität Heidelberg lehrte, gebührt das Verdienst, seine landläufig als Orchideenfach abgetane Disziplin der Ägyptologie aus dem universitären Elfenbeinturm herausgeholt und in den kulturwissenschaftlichen wie gesellschaftspolitischen Diskurs eingebracht zu haben. Schwer vorstellbar, dass diese Lebensleistung ohne die kongeniale Partnerschaft mit Aleida Assmann so zu leisten gewesen wäre.

Janusköpfige Potenziale der Religionen

Der breiteren Öffentlichkeit wurde Assmann um die Jahrtausendwende mit seinen Thesen zur Entstehung des Monotheismus bekannt. Die von ihm diagnostizierte "Mosaische Unterscheidung"(2003) verortete das religiöse Gewaltpotenzial im Aufkommen des Eingottglaubens, der für sich eine "absolute Wahrheit" postuliere. Die an der biblischen Gestalt des Mose festgemachte Kulturtheorie, die auch die christliche wie muslimische Gewaltgeschichte einschloss, blieb nicht unwidersprochen. Nicht zuletzt den Vorwurf antijüdischer Interpretationsmöglichkeiten dieser Theorie suchte Assmann in der Folge aufzugreifen und zu entkräften.

Als diesbezüglich epochal kann sein Werk "Exodus"(2015) gelten, in dem er seine Theorie modifizierte - weg von der Fokussierung aufs Gewaltpotenzial und hin zu einem "Monotheismus der Treue" sowie auf die Grundlegung der Moderne, die er in der biblischen Exodus-Erzählung ortet. Ein kulturgeschichtlicher Parforce-Ritt, wo er von einem Oratorium Georg Friedrich Händels bis zum Arabischen Frühling Belege für Quervindungen zum Exodus-Narrativ findet, das in Assmanns Argumenten auch eine Gründungserzählung von hier und heute darstellt.

Ein Jahr später richtete Assmann in "Totale Religion" wieder den Blick auf gewalttätige Verwerfungen der Religion, die sich nicht zuletzt im Terror des IS zuspitzten. Er benannte dabei sehr wohl die humaniserenden Elemente der monotheistischen Religionen (exemplifiziert etwa an Lessings Ringparabel), nahm aber auch deren inhumane Kehrseite in den Blick. Der Untertitel des Buchs "Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung" spricht die fundamentalistische Versuchung an, der gerade der Islam zurzeit weitverbreitet anheimfällt.

An Jan Assmanns kaum zu überblickendem publizistischen Schaffen mag sichtbar werden, wie sehr eine von der Ägyptologie ausgehende Herangehensweise an große Menschheitsfragen ganz aktuell, ja sogar tagesaktuell werden kann.

Soeben ist auch die neueste Monografie von Jan Assmann: "Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne", erschienen. Assmann widmet sich darin der von Karl Jaspers so betitelten Epoche im 6. Jahrhundert v. Chr., in der in verschiedenen Teilen der Welt geistesund kulturgeschichtliche Revolutionen stattfanden, die bis heute wirkmächtig sind. Assmann weist darin nach, dass das Jasper'sche Achsenzeit-Konzept als Gründungsmythos der Moderne historisch nicht haltbar ist, er analysiert dies aber auch anhand verschiedener kulturtheoretischer Denkschulen der letzten 250 Jahre. Auch hier bleibt der Friedenspreisträger einem gesellschaftlichen Anliegen verpflichtet, nämlich den bloß eurozentrischen Geschichtsblick zu überwinden.

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