Kamera_Erinnerung - © Congerdesign/Pixabay

Plädoyer für das Erinnern

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Verstellt die Beschäftigung mit Fragen der Vergangenheit den Blick auf die Zukunft?

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Verstellt die Beschäftigung mit Fragen der Vergangenheit den Blick auf die Zukunft?

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Etwas mehr Gegenwart, bitte", forderte Michael Naumann kürzlich in der Zeit. Der Autor, Mitherausgeber des Blattes und als früherer Kulturstaatsminister unter Kanzler Schröder auch auf dem Feld der Politik erfahren, monierte, dass "allzu viele Energien in unsere Aufarbeitung der Nationalgeschichte" flössen - zu Lasten der zukunftsrelevanten Fragen etwa der Biotechnologie oder des globalen Terrorismus.

Wie denn? Ein (verhaltenes) Plädoyer für das Vergessen gar, von unverdächtiger Seite? "Vergangenheitsbewältigung" und "Erinnerungskultur" nennt Naumann "seltsame Begriffe", die die Sprache quälten. Er kritisiert die Instrumentalisierung der Geschichte zur Rechten wie zur Linken, unmittelbarer Anlassfall sind ihm freilich zwei "rechte" Themen: zum einen die Diskussion um die Grass-Novelle über den Untergang der "Wilhelm Gustloff" - ein "Rückgriff auf die deutsche Leidensgeschichte der furchtbaren Kriegs- und Nachkriegsjahre" (Naumann), zum anderen die Debatte, ob ein mit Berlin vereinigtes Brandenburg sich "Preußen" nennen dürfe. Pikanterweise wurde keine der beiden Auseinandersetzungen von der rechten Ecke aus angestoßen: Im Falle der "Gustloff" hat ja irritiert, dass ausgerechnet Günter Grass dergleichen zum Gegenstand seiner Literatur macht; der Preußen-Vorschlag kam vom brandenburgischen SPD-Sozialminister Alwin Ziel.

Vor einiger Zeit hatte der Wiener Philosoph Rudolf Burger - er gilt vielen mittlerweile nicht mehr als "unverdächtig" - mit einem "Plädoyer für das Vergessen" für erhebliche Verstörung gesorgt. Burger hatte sich im Unterschied zu Naumann sehr deutlich auf die NS-Zeit bezogen und erinnerte in vielem an Martin Walsers Paulskirchen-Rede, die von der "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" gesprochen hatte (1998). Es war nur eine Frage der Zeit, bis in der gegenwärtigen Kontroverse um die BenesÇ-Dekrete jemand auf Burger zurückgreifen würde: "... und Rudolf Burger hat doch Recht", meinte Heinz Kienzl, Ex-Generaldirektor der Nationalbank, im Standard und beklagte, dass nun die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa auf der tagespolitischen Agenda steht.

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