Rudolf Burger - © Foto: Robert Newald /picturedesk.com

Rudolf Burger: Der Philosoph der Metamoral

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Rudolf Burger (1938–2021) galt als „Philosoph der Wende“ des Jahres 2000 und „Prophet des Vergessens“. Am 19. April ist der ebenso brilliante wie polarisierende Intellektuelle in Wien gestorben.

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Rudolf Burger (1938–2021) galt als „Philosoph der Wende“ des Jahres 2000 und „Prophet des Vergessens“. Am 19. April ist der ebenso brilliante wie polarisierende Intellektuelle in Wien gestorben.

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Oft wurde Rudolf Burger eine Haltung unterstellt, die sich darauf beläuft, politische Angelegenheiten – selbst solche des Schlimmsten, des Holocaust – nicht immerfort mit moralischen Begriffen zu traktieren, Stichwort: Gedenkkultur. Für jene, welche gerade das Fehlen des Moralischen in der Politik beklagen, war eine solche Haltung naturgemäß inakzeptabel, weil gefährlich. Beförderte sie nicht eine Unkultur des Vergessens (siehe das „Anno dazumal“ unten), ja, unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine „Philosophie der Wende“, mit deren Hilfe die Rechtspopulisten ihre Ressentiments unters Volk bringen? Führte Burgers zwar rhetorisch feingeschliffener, doch im Kern antimoralistischer Standpunkt nicht zur Rechtfertigung einer Politik des Machiavellismus, gepaart mit brutaler Ignoranz gegen alles Massenelend aufgrund sozialer Ungerechtigkeit?

Es handelt sich hier zum Teil um Missverständnisse. Burgers Aversion gegen das „Gutmenschentum“ sollte als die Empfindlichkeit einer intellektuellen Existenz gelesen werden, für welche das Verantwortungsethische im Sinne Max Webers, das Höfliche und Distanzierte ineinander spielten – ein Habitus, der heute fast schon anachronistisch wirkt. Der – wie Burger formulierte – „hermeneutische“ im Gegensatz zum „politischen Multikulturalismus“ reiht die Zivilisation vor jede Weltanschauung. Mit dem Argument altehrwürdiger, gar gottgewollter Kulturpflichten dürfen die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen nicht unterdrückt werden. Kulturen, so Burger, sollten zwar im Sinne einer innergesellschaftlichen Vielfalt des Zusammenlebens gefördert, aber zugleich durch die Staatsmacht daran gehindert werden, ihre eigene Wahrheit über das zivilisatorische Projekt zu stellen.

Wofür Burger plädierte, war eine „Metamoral“, welche lautet: Jede liberaldemokratische Gesellschaft befasst eine Vielzahl kultureller Lebensstile unter sich, ohne dass es ihnen gestattet wäre, für ihre eigensüchtigen Interessen – und seien diese identitätspolitisch erheblich – jene Rechtsmittel zu instrumentalisieren, welche erst eine friedliche Koexistenz unter einem Staatsdach ermöglichen. Wenn sich etwas gegen Burger – abgesehen von manchen seiner polemischen Kommentare – einwenden ließe, dann ist es sein Unwille, gegenüber jenen Ultrarechten und Ewiggestrigen, die ihn für ihre Ansichten vereinnahmen wollten, unmissverständlich auf Distanz zu gehen. Hinzu kam seine fragwürdige Lust, die eigene Position mit mehr als fragwürdigen Autoritäten zu unterlegen – allen voran mit dem Staatsrechtler Carl Schmitt, der, ein glühender Antisemit, den Beinamen „Kronjurist Hitlers“ trug.

Rudolf Burger, am 8. Dezember 1938 in Wien geboren, starb am 19. April, auf einer Wiener Intensivstation, selbstbestimmt: Er wollte nicht mehr. Mit ihm verlieren wir nicht nur einen der scharfsinnigsten Intellektuellen der Zweiten Republik. Seine Kontroversen werden uns auch deshalb fehlen, weil wir ohne sie allzu leicht einer Humanitätsillusion erliegen, während die Welt zusehends von skrupellosen Machtmenschen regiert wird und unsere kleine Republik vor der Frage steht, was es bedeutet, menschlich zu sein gegenüber dem Andrang der Schutzsuchenden, unter denen sich auch jene finden, die unsere Lebensart zerstören wollen. Wir sollten Burgers gedankliches Erbe hüten – als den höchst kontroversen Denkschatz eines höchst Gebildeten. Dieses Erbe droht, im Pöbeluniversum des Internetzeitalters, der digitalen Ochlokratie, verloren zu gehen. Durch unseren Einspruch ehren wir den obstinaten Querdenker Rudolf Burger am besten.

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