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Aktuell… und schon historisch

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DIE DEUTSCHE NOT. Von Erika von Hornstein. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln-Berlin 1960. 343 Seiten. Preis 16.80 DM.

DIE WEIMARER REPUBLIK. Von Karl Buchheim, Kösel-Verlag, München 1960. 140 Seiten. Preis 7.80 DM.

DIE BLUTLINIE. Von Kurt Hirsch. Röderberg-Verlag, Frankfurt am Main 1960. 291 Seiten.

Es ist nicht einfach, der Zeit auf den Fersen zu bleiben, ohne atemlos zu werden, auf der anderen Seite aber die historische Distanz der Klärung zu gewinnen, ohne im Akademismus des „Propheten im nachhinein“ zu erstarren. Am ehrlichsten ist da wohl immer noch die Methode der Dokumentation, der Momentaufnahme einer noch im Fluß befindlichen Wirklichkeit, deren Perspektiven und Hintergrundlinien von der Sache selbst her nachgezogen und deutlich gemacht werden können. Als Erika von Hornstein ihr Buch „Die deutsche Not“ schrieb, hatte sie es mit einer von Tag zu Tag „flüssiger“ werdenden Realität, dem Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone, zu tun. Sie konnte nicht vorahnen, daß diese Realität mit dem 13. August 1961 zur Geschichte erstarrte und,, sich in let „hier- aiif ezeich- neten Form wohl auch in absehbarer Zukunft — wie immer sie aussehen wird — nicht fortsetzen dürfte. Um so wertvoller ist diese Aufzeichnung nun geworden. Sie hatte schon ihrer Anlage nach nichts mit „Greuelpropaganda“ zu tun und ist jetzt auch dem tagespolitischen Wertungsstreit entzogen. Um so klarer treten die allgemein-menschlichen und gruppensoziologischen Konturen hervor. Der Einzelfall wird zum Lehrbeispiel menschlicher Verhaltensweise unter den Bedingungen einer sich immer stärker verfestigenden totalitären Gesellschaft. Die quälende Gewissensfrage: Aushalten oder durch die Flucht demonstrieren ist für die meisten Menschen der Zone brutal durch die Fakten beantwortet. Aber die Verhältnisse, von denen wir nun immer weniger und weniger erfahren werden, sind genau die gleichen geblieben, wie sie hier aus den schlichten, zuweilen fast ungelenk stotternden Berichten, klaT werden. Man wird dieses Buch nicht vergessen dürfen und es gerade in den kommenden Monaten, in denen soviel von „Liberalisierung Ulbrichts“ und allmählichen Verbesserungen in der Zone geredet werden wird, immer wieder aufzuschlagen haben. Gerade weil es dem aktuellen Tageskampf entrückt ist, hat es an düsterer Beweiskraft nur noch gewonnen.

Mehr mit der Aktualität, als es zunächst scheinen mag, hat der Gesamtkomplex dessen zu tun, was man „Die Weimarer Republik“ nennt. Gerade in jüngster Zeit haben sich besonders katholische Kreise bemüht, eine bis zur Schonungslosigkeit offene, fast selbstquälerisch anmutende Gewissenserforschung über das Jahr 1933 und die umstrittene Haltung von Klerus und Laien gegenüber der Hitlerschen Machtergreifung anzustellen. Wer immer sich an diesem mit Blickpunkt auf die Gegenwart geführten Auseinandersetzungen beteiligen wollte und sich nicht mit dem Nachplappern unkontrollierter Schlagworte zufriedengab, mußte feststellen, daß er die Situation von 1933 in all ihrer Verwirrung und Verkettung nicht verstehen oder gar beurteilen konnte, ohne die Vorgeschichte wirklich zu kennen. Die 1918 dem Kaiserreich von Berlin nachfolgende Republik hatte sich in ihren Gründungsversammlungen das Goethesche Weimar zum Tagungsort erwählt und sich damit ein antithetisches Programm zum preußischen Potsdam gesetzt. Zwölf Jahre hat diese von allem Anfang an durch Existenzkrisen schwerster Art dauernd bedrohte deutsche Staatlichkeit dem inneren Zersetzungsprozeß von links und rechts her standgehalten. Mit dem Jahre 1930 setzt der Todeskampf ein, über eine halbautoritäre Zwischenperiode in die offene Diktatur Hitlers. Es ist leicht, in eilfertigen Zensuren von Schuld und Unschuld zu sprechen, es ist aber auch möglich, in den reinen Historismus zu flüchten und die verwirrte Gesamtsituation so breit und weitschweifig darzustellen, daß am Ende jeder „irgendwie“ recht bekommt und die Vergangenheit völlig unübersichtlich wird. Nur ein Mann wie Karl Buchheim, der die souveräne Detail- und Dokumentkenntnis besitzt, die ihn vor ungerechten Verallgemeinerungen bewahrt, sich zugleich aber den Mannesmut erhalten hat, Schwarz und Weiß beim Namen zu nennen und nicht „alles zu erklären und dann auch wirklich alles zu entschuldigen“, kann es sich leisten, den roten Faden dieser Zeit auf kaum 140 kleinen Druckseiten aus dem Gewirr zu ziehen. Es gibt nicht nur Wissen, sondern auch entscheidungsbereite Orientierung. Seine klare, an der katholischen Wertordnung ausgerichtete Grundeinstellung, die ihn aber nicht zu einem lobhudelnden Chronisten des in mancher Hinsicht nicht unbedenklichen „Zentrums" von einst macht, verbindet sich dabei mit einem Erbe von

„Helligkeit“, das er aus der sächsischen Aufklärung mitgebracht hat.

Keines dieser Attribute kann man bei der reißerisch aufgezogenen Veröffentlichung von Kurt Hirsch anwenden, die unter dem Titel „Die Blutlinie“ einen „Beitrag zur Geschichte des Antikommunismus in Deutschland“ geben will. Auch er möchte aus der Dokumentation und Analyse der Vergangenheit die Gegenwart belehren. Aber er tut dies in einer so plakathaften, die Zusammenhänge brutal vereinfachenden Weise, daß er sich jede Beweiswirkung nimmt. Der Antikommunismus der Jahre nach dem ersten Weltkrieg hatte den Charakter einer von beiden Seiten mit brutalsten Mitteln ausgetragenen klassenkämpferischen Auseinandersetzung. Er hat mit der heutigen Situation kaum etwas zu tun. Der Kommunismus ist jm freien Teil Deutschlands keine politische Realkraft. Das bewiesen die jüngsten Wahlen überaus deutlich. Denn das illegale ZK der verbotenen KP hatte die Möglichkeit, von Ost-Berlin her mit einem direkten Wahlaufruf, der jedermann zur Kenntnis kam, in den Wahlkampf einzugreifen. Es gab eine Parteigruppe, die als einzig wählbare bezeichnet wurde. Logischerweise hätte ihr jeder Anhänger des Kommunismus die Stimme geben müssen. Sie blieb aber dennoch, trotz unbehinderter Propaganda, unter der politischen Sichtbarkeitsgrenze. Die Auseinandersetzung hat sich auf eine andere Ebene verlagert, die mit den alten Frontstellungen kaum mehr verglichen werden kann. Auch wird hier durch den Autor das verschiedenste zu einer Montage zusammengeschnitten, die selbst den gutgläubigsten Leser durch ihre Sprunghaftigkeit verwirren muß. Wo Hirsch im Bereich der reinen Historie bleibt und das Mitwirken der radikalen Rechten am Untergang der Weimarer Demokratie schildert, gibt er Tatsachen wieder, die zwar nicht ganz neu, aber immer wieder des Aufzeichnens wert sind. Nicht einmal aber kommt es ihm in den Sinn, auch etwas von der Tätigkeit der Kommunisten gegen die Weimarer Republik zu berichten, von ‘hrem Zusammenspiel mit den Nazis in bestimmten Entscheidungsphasen ganz zu schweigen …

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