Notiz - © Foto: Pixabay

Was gibt es da zu jubeln?

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Vom Russlandfeldzug 1812 bis zum Wiener Kongress 1814/15: Die kommenden Jahre stehen im Zeichen der Erinnerung an Napoleon. - Vom Sinn historischen Gedenkens im 21. Jahrhundert.

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Vom Russlandfeldzug 1812 bis zum Wiener Kongress 1814/15: Die kommenden Jahre stehen im Zeichen der Erinnerung an Napoleon. - Vom Sinn historischen Gedenkens im 21. Jahrhundert.

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"Eheu, fugaces, Postume, Postume, labuntur anni“ - Horaz’ poetischer Seufzer über die Vergänglichkeit (Oden II, 14) ist von Wilhelm Busch kongenial übersetzt worden: "Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt / Läuft die Zeit; wir laufen mit“ (Tobias Knopp). Die Bedeutung des 50. Jahres, das wir in der Folge der Geburtstage als Höhe- und Wendepunkt des Lebens, gar als Goldene Hochzeit festlich begehen, wurzelt tief: Dem Judentum war nach sieben Sabbatjahren die Heiligung des 50. Jahres, unter dem Klang der Schofarhörner (hebr. jobel), geboten - als Jahr des Schuldenerlasses und der Befreiung der Geknechteten (Lev 25). In der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth zitiert Jesus, als seine erste gute Botschaft, das große Gnadenjahr des Herrn als messianische Proklamation gemäß Jesaja 61 (Lk 4).

Das Jubiläum als Spanne bewusster Lebenszeit eignet sich trefflich als Zäsur historischer Erinnerung. Mit gutem Grund war 1988 der "Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland kein Jubiläumsanlass (obwohl es im Vorfeld einige Versprecher gab), sondern "Bedenkjahr“. Kriegsende 1945 und Staatsvertrag 1955 sind weitere Epochenjahre dieser Dimension. Das jüdische Jubeljahr wurde von der Kirche als Heiliges Jahr seit 1300 übernommen, in der Folge als 25-jährige Periode zur Ablassgewinnung mit feierlichen Zeremonien begangen, zuletzt im Jahr 2000. Einen pensionierten Beamten nannte man im frühen 19. Jahrhundert "jubiliert“ (Grabinschriften auf dem Friedhof von St. Marx).

Per saecula saeculorum: Der liturgischen Anrufung der Ewigkeit Gottes liegt das kaum von einem Menschenleben zu umspannende Jahrhundert zugrunde, im antiken Rom eine Epoche im historischen Selbstverständnis des Imperiums. So wurde das Säkulum zum wichtigsten Gliederungsprinzip auch der Profangeschichte vor und nach Christi Geburt.

Defizite der Erinnerungskultur

Die Erinnerungskultur des beginnenden 21. Jahrhunderts weist bezeichnende Defizite auf: Die Russische Revolution von 1905, die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Österreich (1907), die Jungtürkische Revolution und die folgende Annexionskrise um Bosnien und Herzegowina (1908) wurden nur im Kreise der Fachhistoriker diskutiert. Nicht einmal die dramatischen Vorgänge in Libyen riefen den italienisch-türkischen Krieg von 1911/12 ins öffentliche Bewusstsein. Vermutlich wird es den Revolutionen Chinas und Mexikos 1911 ff. ebenso ergehen, und es ist zu befürchten, dass die verworren bis heute fortwirkenden Balkankriege von 1912/13 nicht als unmittelbares Vorspiel zum Weltkrieg wahrgenommen werden. Wird es 2014 in naiver Überraschung und in Unkenntnis der vom Imperialismus erzeugten Konflikte heißen "… und dann fielen die Schüsse von Sarajewo und der Erste Weltkrieg brach aus“?

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