Die Früchte des Zorns

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Achtzig Jahre nach 1934, am Übergang von der Zweiten zu einer Dritten Republik, kommt es erstmals zum gemeinsamen Gedenken von SPÖ und ÖVP. Zur Geschichtspsychologie eines Bürgerkriegs.

Kaum ein Kristallisationspunkt der österreichischen Geschichtspolitik wird immer noch unter ähnlich emotional-affektiven Vorzeichen diskutiert wie die sogenannten "Februarkämpfe 1934“. Bis heute schwanken die Narrative zwischen "rotem Putsch“ und "Arbeitermord“, bis heute ist die Anwendung der Termini "faschistisch“ oder "faschistoid“ auf den Staat in toto umstritten; bis heute scheiden sich an unmittelbar wie mittelbar beteiligten Protagonisten die Geister und Seelen.

An dieser Stelle soll es jedenfalls nicht um eine detaillierte Schilderung der damaligen Geschehnisse samt ethisch-moralischer Beurteilung gehen, sondern um eine Analyse von Kausalitäten im Vorder- wie Hintergrund. Als politische "Wunden“ brachen deren Fährten und Spuren am Ende der Ersten Republik nicht nur blutig auf, sondern blieben als Narben für die Zweite Republik zurück.

Dass es erst jetzt - 80 Jahre nach 1934 und am Übergang von der Zweiten wohl zu einer Dritten Republik - zum gemeinsamen Gedenken der Taten und Opfer seitens der beiden im Wortsinn betroffenen Lager kommt, ist quasi eine Rute im Fenster der Erinnerung, wie fatal Instrumente falscher Verdrängung und Kompensation auf historisch-politisches Kollektivgedächtnis (vgl. C. G. Jung) übergreifen.

Der deutschsprachige "Rest“

Dass sich die Mehrheit der Österreicher nach 1918 in einem Staat vorfand, mit dem sie sich nicht identifizieren konnte oder wollte, ist längst kein Geheimnis. Quer durch alle Parteien vertraten viele Tonangebende die Auffassung, der auf sich allein gestellte deutschsprachige "Rest“ (G. Clemenceau) der supranationalen Monarchie sei nicht "lebensfähig“. Der angestrebte Anschluss an das Deutsche Reich wurde von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs bekanntlich ebenso verhindert wie spätere Versuche, die sozioökomischen Beziehungen in Mitteleuropa (etwa in Form einer Zollunion wieder) auf- und auszubauen.

Österreich hatte ein Traditions- und Perspektivenproblem: Indem es - pointiert tiefen (Freud) wie höhenpychologisch (Frankl) gesprochen - nicht nur seine "Eltern“ aus der Vergangenheit, sondern auch seine "Geschwister“ für die Zukunft verloren hatte, waren ihm sein Gestern und Morgen gleichsam verstellt. Statt der jungen Republik wurden so die alten Parteien, vor allem die dominierenden Christsozialen und Sozialdemokraten, zu Konglomeraten politisch-kultureller Identitätsbildung. Als Weltanschauungs- bzw. Weltauffassungsgemeinschaften versprachen sie verängstigten Bürgern, die sich vielfach noch als Untertanen begriffen, eine Art Ritual und Heimat - also eine Absicherung gegen den schier abgründigen (vgl. Heidegger) Zeitraum, in dem sie jäh lebten.

Zwischen Aggression und Depression

Nicht der Staat, sondern die Parteien - nicht die "civitas“, sondern die "partes“ - boten an, was man dringend benötigte: ein Milieu der Geborgenheit im Kleinen nach dem Schiffbruch im Großen - in Arbeitswelt und Freizeit, für Kunst und Sport, in Verbünden und Verbänden nahezu überall und jederzeit kollektivierter Individuen.

Psychologisch hoch relevante Phänomene wie Aggression und Depression - Zwillinge ihrerseits - prägten das schlechte Verhältnis unter den "Lagern“. Wahrhaft war die Existenz bedroht: Neben den ideellen Schock durch den Kollaps der gefestigten Ordnung traten tief greifende materielle Verluste. Weite Teile des Bürgertums verarmten, ebensolche der Arbeiterschaft verelendeten. National wie international bedingte politische Krisen folgten einander auf dem Fuß und ergriffen, ja zerrieben alle Milieus.

Zahllose Aufmärsche und Ausstände gipfelten im symbolhaften Brand des Justizpalasts 1927 und beflügelten gegenseitige Angst zu deren extremer (nicht radikaler) Form - der Panik. Wo alles Recht zu Unrecht wurde, wurde da jeder Widerstand zur Pflicht?! Blutig jedenfalls attackierte die eine Seite die andere: niedrig nach dem Gräuel des Weltkriegs die Hemmschwelle zur Gewalt, hoch im Bewusstseins des Zeitgeists die Bereitschaft zu töten. Dem Ausschlagen einer Großen Koalition aus Christlichsozialen und Sozialdemokraten als vielleicht letzten Versuch, einander angesichts des großen Feinds im Äußeren innerlich doch noch die Hand zu reichen, folgte wenig später der Putsch gegen die Demokratie als Fanal in Richtung Diktatur. Viele Kreative und Intellektuelle aus Kunstschaffen und Wissenschaft verließen das Land; aus Verzweiflung über den verhängnisvollen Gang der Geschichte(n) legten manche Hand an sich (vgl. "sui caedere“ - Suizid). Was als Heimat gegolten hatte, wandelte sich zum Exil. Die "Welt von Gestern“ (Zweig) - war nicht mehr!

War es nach 1945 ganz anders? Während die Geschichtspolitik der Zweiten Republik - getragen von ÖVP und SPÖ gleichermaßen - den noch im Zweiten Weltkrieg in der Moskauer Deklaration begründeten Opfermythos Österreichs bis in die 1980er Jahre absichtlich bemühte und eine Mitschuld gebürtiger Österreicher am totalitären Hitler-Regime fahrlässig verdrängte (vgl. Ringel), kompensierten die großen Parteien die tiefe Spaltung der Ersten Republik zumindest äußerlich nicht nur durch eine Koalition in Permanenz, sondern auch durch eine übertriebene Tarifpartnerschaft in proportioneller Gesellschaft wie Wirtschaft und priesen dies als den "österreichischen Weg“.

Gedenken mit Blick auf die Zukunft

Nach innen aber blieb das Trennende bestehen - vor allem was die Bewertung und Bemessung der autoritären Dollfuß- und Schuschnigg-Diktatur anlangte. Denn zu sehr differenzierten die Parteien in der Zuweisung von Schuld und Sühne, als dass es in der ersten und zweiten Generation der immer kleiner werdenden Großen Koalitionen zu einer Verständigung, geschweige denn zu einem Verständnis wenigstens über Verantwortung gekommen wäre.

Aktuell befindet sich Österreich sicher nicht nur im Auslauf der dritten und letzten "Großen“ Koalition, sondern wohl auch in der finalen Etappe eines Übergangs von der Zweiten in eine Dritte Republik.

Ob eine solche eher präsidial oder basal, zentral oder föderal usw. ausfällt, wird von vielen Faktoren abhängen: nicht nur von Impulsen neuer Parteien der Mitte und aufstrebender Bürgerkultur in alten wie neuen Foren, sondern auch vom Blick in die Vergangenheit zur konstruktiv-kritischen Verarbeitung offener Fragen für die Zukunft.

Ein gemeinsames rational-kognitives Gedenken dessen, nicht nur was 1938, sondern auch 1934 geschah, stellt dazu einen ersten Schritt dar - nicht mehr, nicht weniger. Nur so können nämlich die vom Baum der Erkenntnis gefallenen Früchte des Zorns allmählich von vergifteten zu genießbaren mutieren.

Die Autoren arbeiten wissenschaftlich in Wien. Im Dezember erschien das von ihnen herausgegebene "Jahrbuch für politische Beratung 2012/2013“ mit Beiträgen u. a. von Clemens Sedmak, Werner Schneyder und Kathrin Stainer-Hämmerle sowie einem Vorwort von Karlheinz Töchterle.

Das Ende der Ideologie

Die Erste Republik zerriss 1934 an der Feindschaft politischer Weltbilder. Nach dem Bürgerkrieg kam der Ständestaat und danach Hitler. Wie Österreichs Publizistik und die katholische Kirche mit der Zersplitterung des Landes umging, beschäftigt Historiker noch heute. Es stellt sich aber auch die Frage, was 1934 für die Politik heute bedeutet.

Redaktion: S.Einöder, R. Mitlöhner, O. Tanzer

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