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An den Rand geshriefer

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DER NOTWENDIGE PROTEST. Das

Rücktritfsangebot des Unterrichfs- ministers Dr. Drimmel in der vergangenen Woche ab der angekündigten Kürzung des Ku-Ifurbudgets um 185 Millionen Schilling und diese Ankündigung selbst haben eine Kettenreaktion ausgelöst, die längst fällig war. Das ist nämlich das einzige stichhaltige Argument der Sozialisten: Seit Jahren haben auch gewichtige Männer und Gruppen der Volkspartei ihr Teil beigetragen zur Schaffung von Zuständen, die eben jetzt von der österreichischen Rekforenkonferenz als „skandalös" bezeichnet wurden und dem Rektor der Wiener Universität die Aussage entlockten: „Wir gehören alle ins Kriminal." Die Hauptschuld trifft jedoch dieses Mal offensichtlich die Sozialisten, die unter Führung des Vizekanzlers, der sich einem immer unheilvolleren Kurs verschreibt, eine Politik der Erpressung betreiben, die höchst gefährlich für den Gesamtstaaf isf. Die österreichische Rektorenkonferenz schloß sich dem achttägigen Streik der Hochschülerschaft einstimmig an und stellte ein Ultimatum: „Sollten bis zum 15. Juni die geplanten Kürzungen nicht im vollen Ausmaß rückgängig gemacht werden, so behält sich die Rektorenkonferenz vor, !m Einvernehmen mit der österreichischen Hochschülerschaft durch strikte Erfüllung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen die katastrophale Lage der österreichischen Hochschulen zu demonstrieren." Nun sind die Dinge in Fluß gekommen: Nachdem der Wiener Polizeipräsident zuerst, politisch durchsichtig, die ersten Kundgebungen der Hochschülerschaft verboten hatte, dann freigab, haben diese gezeigt, wieviel an Explosivstoff in unserem Lande angesammelt ist. Es sfeht der sozialistischen Parteiprominenz und Bürokratie, die zum Teil Gehälter und Tantiemen bezieht, die im Monat weit größer sind als das Jahresbudget einzelner Hochschulinstitute. nicht zu, wieder den Schwarzen Peter der CfVP zuzuschieben. Wird es im Lager der SPÖ zu einer Gewissenserforschung und zu demokratischer Zusammenarbeit kommen oder wird der Gelsf Pitter- manns siegen? Wir wissen es nicht. Wollen aber nicht verhehlen, dafj es auch höchste Zeit ist A’wfi die 75 ÖVP-Abgeordnet.en und die führenden Männer äln d?älr Bu’riderL der ÖVP sich klar machen, inwieweit sie mitschuldig sind an der gefährlichen Zuspitzung der Lage, die unhaltbar geworden ist.

NUR EIN PATER. Die kommunistische Propaganda weiß, warum sie auch heute noch mit dem übrigens auch von den aut Englands „Führerschaft" neidischen Nationalsozialisten übernommenen Zerrbild des Missionärs arbeitet, der mit Bibel, Feuerwasser und Glasperlen die Geschälte der Imperialisten besorgt. Die Kommunisten sehen in den Missionären auch heute noch die größte und wirksamste Gefahr gegen ihre eigenen Afrlka- pläne, gerade weil sie insgeheim sehr genau wissen, dat; das Zerrbild nicht stimmt. Vor einem Popanz brauchte man nicht unaufhörlich zu warnen. Wie wenig die Missionen heute mit einer nicht immer sehr glücklichen Vergangenheit zu tun haben, zeigte die Internationale Missionsstudienwoche, die vor wenigen Tagen in Wien abgeschlossen wurde. Hier war von Weltpolitik die Rede und hier war Wien wirklich der Boden für eine Arbeit, die zwar weniger wort- und phrasenreich, dafür aber um so realistischer vor sich geht, obwohl sie „nur" von weltfremden Mönchen geleistet wird. Was der Generalsuperior der Sfeyler Missionsgesellschaft, P. Dr. J. Schütte SVD. (Rom), in seiner Untersuchung über Mission und Entwicklungshilfe zu sagen wußte, könnte für manchen Weltbeglücker und Großmarvager ein Lehrstück an Nüchternheit und praktischer Erfahrung sein. Offener und besseren Gewissens als alle „Linken" von Ost und West warnte er vor dem Neukolonialismus des Geldes, schonungslos nannte er alle versteckten Formen des Selbstbetrugs beim Namen, mit dem man geben und doch behalfen, abziehen und doch „mitmischen" möchte. Und radikal auch seine Konsequenz, Missionäre sind keine Sekretäre und keine Bettler. Sie werden in ihrer Arbeit jede Partnerschaft mit denen ein- gehen, die wirklich helfen wollen, wenn sie frei von jeder Auflage ihrer eigenen qeistlichen Mission folgen können. Das, was sich an diesem Horizont zeigt, ist die grohe Weltkirche von morgen, die nichts mehr mit dem sentimentalen Kifschbild vom „armen Negerknaben’ zu tun hat.

IN DREI FEUERN. Das, was dem

Portugiesen Salazar — keinesfalls

nur seines „bösen Willens’ wegen, sondern aus einer inneren Bindung an jahrhundertealte Strukturen heraus — nicht möglich zu sein scheint, kämpft der fast gleich alte, ebenso traditionsgeprägte Präsident de Gaulle in diesen Tagen für sich selbst und sein Frankreich durch: die schmerzliche und unendlich mühsame Umwandlung einer Herrschaft in ein Partnerschaftsverhälfnis. Portugal hofft, des um sich greifenden Aufstandes in Angola, über dessen Greuel von beiden Seiten nur sehr spärliche Nachrichten die diversen seidenen Zensurvorhänge passieren, durch harte Gewalt Herr zu werden. Es scheint, daß er die Anerkennung des zu Gast in Lissabon weilenden britischen Außenministers für die zivilisatorischen Leistungen der Vergangenheit nur halb verstehen wollte. Eine Blankovollmacht für die Gegenwart bedeuten sie bestimmt nicht, De Gaulle aber hat den schweren Zweifrontenkampf aufgenommen. Er stellt .sich als unsichtbarer Partner den angeklaqten und anklagenden Putsehgenerälen vor

dem Pariser Gericht, die von ihm pathelisch „die Legionen wieder" fordern. Und er führt zugleich das orientaiisch-zähe Gespräch mit den algerischen Führern in Evian — hier durch den ausgezeichneten Minister Jox, einen der kommenden Männer Frankreichs, verireten. Und er wird in der gleichen Stunde das dritte Gespräch zu führen haben: Als eine der großen Gestalten Alteuropas mit Kennedy, der gerade in diesen Tagen sehr summarisch dem Kolonialismus flammende, rhetorische Absage erteilte.

OFFENE WORTE IN OST-BERLIN. Bei

dem soeben beendeten Ost-Berliner Schriftstellerkongreß gab es eine echte Sensation. Der als Gast eingeladene Günter Grass, Katholik Nonkonformisf, Autor der „Blech- trommel", ein Enfant terrible de: Westens, das in der Bundesrepublik dieser nicht wenige bittere Wahrheiten gesagt hatte, erklärte hier vor fünfhundert Autoren und Funktionären der „DDR", dem Kulturministei Bentzien: Trotz aller ersichtlicher

Schwächen stehe er auf der Seite de: Westens; dort könne jede scharfe Feder wenigstens ein Wölkcher Staub aufwirbeln. Hier, im Osten, se das freie Wort verboten. Grass appellierte an den Kulturminister, de: die „unvergleichbare" Literatur dei DDR rühmte, er möge doch die Einfuhr der westlichen Literatur gestatten, damit sich das Volk selbst eir Bild machen könne. Grass nannte e: vor dem hohen roten Gremium eint „Schweinerei", wie man hier mi Schriftstellern umgehe, und zitierte als Exempel die Behandlung seine: Freundes Uwe Johnson, von dem mar Übersetzungen herausgab, ohne seinen Nomen zu nennen, da er aus dei DDR floh. Zu guter Letzt wies Gras) unter hellem Entsetzen seines großer Auditoriums und zum sichtlichen Unbehagen der DDR-Prominenz darau hin, wieviel freie doch in Polen dei Schriftsteller arbeiten dürfe als ir dem harten Reglement der Pankowei Regierunq. — Grass hat durch diese: sein Auftreten gezeiqf, daß es einer echten Nonkonformismus gibt, dei sich nicht damit begnügt, im eigener Hause den Unrat zu bekämpfen sondern auch den da draußen voi der eigenen Tür.

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