6848899-1976_37_05.jpg
Digital In Arbeit

Die Fackel von Zeitz

19451960198020002020

Oskar Brüsewitz, der evangelische Pfarrer aus dem thüringischen Städtchen Zeitz, starb an einem Sonntag im August auf der Intensivstation des Krankenhauses, vier Tage nachdem er sich auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt mit Benzin Übergossen und angezündet hatte. Aus Protest, wie ein mitgeführtes Plakat ausdrücklich sagte, gegen den Kommunismus.

19451960198020002020

Oskar Brüsewitz, der evangelische Pfarrer aus dem thüringischen Städtchen Zeitz, starb an einem Sonntag im August auf der Intensivstation des Krankenhauses, vier Tage nachdem er sich auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt mit Benzin Übergossen und angezündet hatte. Aus Protest, wie ein mitgeführtes Plakat ausdrücklich sagte, gegen den Kommunismus.

Werbung
Werbung
Werbung

Vier Tage lang erfuhren die Bürger der DDR aus ihren Zeitungen und aus dem Radio kein Sterbenswörtchen über die Fackel von Zeitz, aber trotzdem gab es in den Familien und unter Freunden kein anderes Thema. Der Berichterstatter befand sich während dieser Tage nur hundert Kilometer entfernt von dem Ort, an dem Oskar Brüsewitz zum Fanal der Wahrheit wurde. Bedrücktes, erschrecktes Schweigen, Bewunderung, Erwartung und Resignation — alles kam zusammen und mündete in die angstvolle Frage: Für wen hat er das getan? Wer gab ihm den Mut dazu? Was bedeutet das für uns, vor allem für die Christen, die sich in diesem Land überwiegend an Schweigen und Anpassung gewöhnt haben?

Lediglich das „Neue Deutschland“ veröffentlichte an dem Tag, da sowjetische Truppen acht Jahre vorher aus der DDR über das Erzgebirge in die CSSR einmarschiert waren, eine kurze Notiz. „Von abnormaler Haltung distanziert“, so lautete die Überschrift. Einen Selbstmordversuch habe, so hieß es in der knappen Meldung, der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz unternommen. Westliche Nachrichtenagenturen und Fernsehstationen hätten daraufhin einen verleumderischen Hetzkrieg gegen die DDR begonnen. Kirchgemeinde, Kreiskirchenrat und Mitglieder der Kirchenleitung jedoch hätten erklärt, Brüsewitz sei ein abnormal und krankhaft veranlagter Mensch, dem man schon öfter einen Wechsel seines Amtes nahegelegt habe.

Jeder, der dies las, wußte aus Erfahrung, daß die Amtlichen das Fanal von Zeitz überaus ernst nahmen, wenn sie sich überhaupt im Gegensatz zu sonstiger Übung, Unangenehmes einfach zu übergehen oder kommentarlos kurz zu melden, zu einer Stellungnahme und zur Zitierung kirchlicher Amtsstellen gedrängt sahen. Jedermann wußte aber aus der gleichen Erfahrung auch, daß hier gelogen oder zumindest durch manipulierte Zusammenstellung von ersten Meinungen die eigentliche Wahrheit verschleiert wurde. Die Gewißheit wuchs, daß in Zeitz etwas geschehen war, das an die Grundfesten dieses Staates rührte. Jan Pallach auf dem Wenzelsplatz in Prag handelte noch als Verbündeter

eines freiheitlichen Sozialismus, als er mit seinem Opfertod auf die drohende totale Knebelung hinweis — der Mann von Zeitz aber hatte sich zur Selbstverbrennung entschlossen, weil das lähmende Schweigen über den Seelenmord eines kommunistischen Staates nur mit der Hingabe des eigenen Lebens durchbrochen werden konnte.

Vier Tage nach seiner Selbsthingabe starb Oskar Brüsewitz. Zeitz war während dieser Zeit ein Hauptquartier der Geheimen und der Uniformierten. Niemand, auch nicht der Berichterstatter, konnte es wagen, die Stätte des Opfertodes zu besichtigen oder gar den hermetisch abgeriegelten, mit dem Tode ringenden Mann zu besuchen. Nicht einmal Telegramme an ihn absenden, wäre jemandem in den Sinn gekommen — der Dank für den Tapferen, die Gebete für ihn und die Hoffnung auf sein Durchkommen mußten in der Stille, zwischen den zwei oder drei Menschen, die einander vertrauten, abgestattet werden.

Am Morgen nach seinem Tod wurden die Bürger der DDR durch verschieden lange Berichte noch einmal aufgeschreckt. Das „Neue Deutschland“, in der Sprachregelung immer amtlich und maßgebend, berichtete schon auf Seite 2 auszugsweise von einem „Wort an die Gemeinden“, das die Kirchenzeitung der zuständigen Kirchenprovinz Sachsen formuliert hatte. Den gleichen Kurz-' text brachten die „Berliner Zeitung“ und die „Thüringische Landeszeitung“. Lediglich die Zeitung der ostdeutschen CDU, die „Neue Zeit“, veröffentlichte den ganzen Wortlaut dieses Hirtenwortes der Kirchenleitung. Es soll hier, als wichtiges Dokument der Zeitgeschichte, unkommentiert folgen. Jeder kann selbst entscheiden, was ungesagt blieb, wo vorsichtige Rücksichtnahme regierte — und welchen Stellenwert in Wahrheit die Distanzierung von dem, was westliche Medien meldeten, hat.

„In großer Betroffenheit müssen wir bestätigen, daß ein Pfarrer unserer Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Droßdorf/Rippicha, am Mittwoch, dem 18. August 1976, in Zeitz den Versuch unternommen hat, sich selbst öffentlich zu ver-

brennen. Wir sind davon völlig überrascht worden. Bruder Brüsewitz hat weder seiner Familie noch einem unserer Mitarbeiter sein Vorhaben in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben. Wir beklagen es, daß in der Gemeinschaft unserer Kirche ein solcher Entschluß nicht abgewendet werden konnte.

Wir wissen, daß Bruder Brüsewitz sich in seinem Dienst als Zeuge Gottes verstand, auch mit manchen ungewöhnlichen Aktionen. Selbst mit dieser Tat wollte er auf Gott, als den Herrn über unsere Welt, hinweisen. Er war getrieben von der Sorge, daß unsere Kirche in ihrem Zeugnis zu unentschlossen sei.

Wir können der Tat unseres Bruders nicht zustimmen. In der Nachfolge Jesu Christi sollen wir bereit sein, Opfer zu bringen, aber nicht so, daß wir vorsätzlich unser Leben beenden. Wir meinen, daß unsere Aufgabe darin besteht, in unserer Gesellschaft mitzuarbeiten, um durch das Zeugnis und Beispiel unseres Lebens dazu zu helfen, daß Gottes Ziele in dieser Welt verwirklicht werden. Wir dürfen unseren Bruder Oskar Brüsewitz nicht verurteilen. Wir alle werden vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden (Römer 14, 10 b).

Wir bedauern, daß Äußerungen verantwortlicher Mitarbeiter des Kirchenkreises Zeitz und der Kirchenleitung sinnentstellt veröffentlicht worden sind. Jeden Versuch, das Geschehen in Zeitz zur Propaganda gegen die Deutsche Demokratische Republik zu benutzen, weisen wir zurück.

Zur Zeit befindet sich Bruder Brüsewitz mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus. Wir bitten die Gemeinden, ihn und seine Familie in die Fürbitte einzuschließen.“

Offenbar war die Redaktion der „Neuen Zeit“ über ihren Mut, diesen Text mit seiner eindeutigen Absage an jeden Versuch, den Mann aus Zeitz zum psychiatrischen Fall umzufunktionieren, nachträglich bestürzt. So folgten nach dem brüderlichen und sicher nur notgedrungen streckenweise auf Distanz gehenden Wort der Kirchenleitung Stellungnahmen, die den Eindruck des Magdeburger Votums abzuschwächen versuchten. Feindselige Hysterie gegen die DDR als Folge des Zeitzer Fanals, Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zwischen Staat und Kirche, Aufbau des Sozialismus — davon war dann die Rede. Persönliches Scheitern eines Mannes — dies wagte ein Dozent der Theologie zu behaupten, nachdem die Kirchenleitung klar von einem Zeugen Gottes gesprochen hatte.

Raymond Barre gehört keiner Partei an. Um ihn zu klassifizieren, kann man sagen, daß er der linken Mitte angehört. Er verfügt über zahlreiche Freunde, ja Bewunderer in der nichtkommunistischen Opposition. So sei vermerkt, daß erstmalig eine Persönlichkeit Minister wurde, die direkt von den linken Radikalsozialisten kommt.

So wurde das überaus einflußreiche Kultusministerium, welches Film und Fernsehen kontrolliert, der ehemaligen „Express“-Journalistin

Francoise Giroud anvertraut. Die einstige Direktorin des- auflagenstarken Nachrichtenmagazins muß ebenfalls dem linken Flügel der Majorität zugezählt werden. - Die Reaktionen auf die Bildung des Kabinetts Raymond Barre sind überwiegend positiv. Die Börse reagierte mit Begeisterung, und zahlreiche französische Wertpapiere verzeichneten überraschende Kursgewinne. Auch die Gewerkschaften meldeten den Wunsch nach konstruktiven Gesprächen an.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung