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Industrie der öffentlichen Meinung

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Mehr als je muß man feststellen, daß heutzutage der gebildete Durchschnittseuropäer — von dem ungebildeten nicht zu reden — sich das Weltbild — seine Konturen und seine Gegensätze — in Schwarzweißmalerei vorstellt. Mitteltöne gibt es nicht, zwischen Tugend und Laster, zwischen Freund und Feind gibt es kein Mittel — alles ist entweder schwarz oder ist weiß. So verzerren sich die wirklichen Linien. An diesem Zustand trägt nicht zuletzt Schuld die herrschende Nachrichtenapparatur und die von ihr gelenkte Schreibweise der Presse samt der dazugehörigen Propaganda, die von der Rednertribüne herab, durch Radio, Film, Theater und Literatur betrieben wird. Gesündigt wird in dieser Hinsicht von beiden Seiten, wenn auch ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen dem demokratischen Westen und dem kommunistischen oder kommunistisch kontrollierten Osten. Im Westen hat jeder Leser die freie Wahl zwischen Erzeugnissen aller Richtungen und Weltanschauungen, im Osten gibt es nur (oder fast nur) der Regierung genehme, also ihren Zielen dienstbare Publikationen.

Zunächst eine auffallende Erscheinung: di wachsende Angleichung aller osteuropäischen Organe der „mass Information“ an die entsprechenden Formen in Rußland. Das Rundfunkwesen ist neuen Datums; dennoch hatte sich in der Zwischenkriegszeit in den einzelnen Oststaaten ein eigener Nationalstil entwickelt. Das tschechoslowakische Radio war zum Beispiel in seinem Programmaufbau keineswegs vom österreichischen und vom deutschen Vorbild unbeeinflußt; ähnlich verhielt es sich mit dem ungarischen Rundfunk. Doch nirgends bemerkte man eine Spur von russischen Vorbildern. Das hat sich gründlich geändert. Alle Sendestationen in der sowjetischen Einflußsphäre bringen tagtäglich ein großes Aufgebot von russischen Sprachkursen, Vorträge über russische Kultur, die materiellen und geistigen Fortschritte in der Sowjetunion, lange Auszüge aus der Sowjetpresse, vor allem deren Kommentare zum weltpolitischen Tagesgeschehen, und immer wieder russische Musik. Nicht nur die Meisterwerke der Tondichtung, sondern auch Volkslieder, Militärmärsche, ja Filmmusik und das,was ln der UdSSR aßs Jazzersatz gilt. Besonders eifrig wird versucht, den breitesten Schichten der Hörerschaft Geschmack an den sowjetischen Massenliedern und Massentänzen beizubringen. Gleichzeitig verschwinden immer mehr die Zeugnisse westlicher Kultur aus den Programmen. Mit Ausnahme der klassischen Musik, die allerdings vorurteilsfrei geboten wird — vielleicht weil Radio Moskau selbst sehr viel Mozart und Beethoven, Rossini und Verdi bringt —, hört man in den Ätherwellen fast nur Russisches, Nationales oder brüderlich Volksdemokratisches.- Die religiösen Sendungen sind nicht überall ausgemerzt worden, doch haben sie eine starke Einschränkung erfahren, und sie bestehen zumeist nur aus der Übertragung sonn- und feiertäglicher Gottesdienste. Daneben werden weltanschauliche Sendungen zur Verbreitung des dialektischen Materialismus nach Marx und Lenin gebracht. Der Nachrichtendienst und die eigentlich politischen Sendungen stehen ausschließlich im Zeichen der kommunistischen Zielsetzungen und der Moskauer Richtlinien.

Das gedruckte Wort ist als Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung immer noch wichtiger denn das gesprochene Wort„ zumal in Zwischeneuropa, wo die „Radiio- phonisierung“ nicht sehr weit gediehen ist. Die Presse Verhältnisse in den Staaten des Ostblocks haben sek Kriegsende eine überall gleichbleibende Entwicklung durchgemacht. Zunächst gab es eine Vorzensur, die verhinderte, daß irgend etwas gegen die Sowjetunion geschrieben werde und daß sich „faschistisches“ Gedankengut in die Presse einschleiche. Doch bald ging di Zensur weiter und übte eine scharfe Kontrolle auf Geist und Inhalt der periodischen Druckschriften aus, besonders auf die — in jenem Stadium immer noch vorhandenen — Oppositionsblätter, auf die unabhängige parteilose und auf di kirchliche Presse. Theoretisch bestehen noch allerorts in den Volksdemokratien nichtmarxistische Zeitungen. Theoretisch. Denn sie haben ich in Form und Schreibweise völlig den Organen der herrschenden Arbeiterparteien angeglichen und sie unterscheiden sich von diesen nur mehr, aber nicht immer, durch die Personen der Mitarbeiter und Leser. Die Prager „Lidova Demokracia“ etwa, die Warschauer „Gazeta Ludowa“ oder das Budapester Organ der Kleinlandwirte bringen genau dieselben Nachrichten, in derselben Aufmachung, mit denselben Kommentaren wie die kommunistischen Parteiblätter. Auch die in Bukarest, Budapest und Warschau vorhandene Boulevardpresse hat ihr Antlitz gründlich geändert. Sie bringt noch manches fürs Herz und Gemüt des sensationsgierigen Großstadtpublikums, doch gewürzt mit gesinnungs- frommen Depeschen politischen Inhalts. Immerhin bedeutet das Fortbestehen solcher Presseerzeugnisse ein Ärgernis für die sehr puritanischen Kommunisten strenger Observanz; denn die echte Sowjetpresse kennt überhaupt keine Berichte über Gesellschaftliche Verbrechen oder über harmlose Privatangelegenheiten großer Leute.

Doch die politisch maßgebenden Zeitungen haben sich, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, überall dem Moskauer Standard angeglichen. Zunächst — abgesehen von der Tendenz — in der grundsätzlichen Aufmachung. Die Presse soll der Erziehung der Lesermassen im marxistischen Geist dienen. Sie bringt also ausschließlich Nachrichten und Artikel weltanschaulichen, politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Inhalts unter möglichster Ausschaltung der Unterhaltung und der Sensation sowie des Privatlebens der Staatsbürger. Die Wichtigkeit eines Ereignisses und der Platz, der ihm eingeräumt wird, hängen nur von seiner Bedeutung für den kommunistischen Staat ab. Allem voran also, was sich auf den Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft bezieht. Die Eröffnung einer neuen Fabrik, die Erfüllung des Produktionsplans in einem industriellen Sektor, besonders aber die Ergebnisse der Leistungswettbewerbe kommen an die Spitze des Tagesberichtes. Innenpolitisch wird fast nur die Tätigkeit der Arbeiterpartei, der Gewerkschaften und anderer, dem Regime unterstellten Körperschaften erwähnt, es sei denn, man berichte über Prozesse gegen Staatsfeinde oder über reaktionäre Umtriebe, vor allem über „Machenschaften“ kirchlicher Kreise. Den Ereignissen im Ausland wird ziemlich breiter Raum gewährt, doch streng den Bedürfnissen der Propaganda entsprechend. Einen großen Platz nehmen die Ereignisse in Spanien, Griechenland, Indonesien n sowie neuerdings die Befreiung Chinas durch die Volksarmee unter Mao Tse-tung... Wo immer in der Welt akute Meinungsverschiedenheiten zwischen der UdSSR und einer anderen Regierung bestehen, wird ausschließlich der sowjetische Standpunkt be kanntgegeben. Doch wird sorgsam zwischen den Regierungen und den Völkern unterschieden: denn diese wollen alle den Frieden und die Freundschaft mit der Sowjetunion.

In dieses von uns skizzierte Schema müssen sich alle Weltereignisse einfügen ...

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