6745015-1967_04_16.jpg
Digital In Arbeit

Davids ohne Schleuder

Werbung
Werbung
Werbung

INMITTEN EINES BLÜHENDEN PRESSEMARKTES, inmitten Länder, in denen Zeitungen und Illustrierte fließen, liegen noch Brachfelder journalistisch-kommerzieller Saumseligkeit. Für die zahlreichen Konsumenten in den Oberstufen der höheren Schulen, denen am Anfang ihres längeren Weges zum „Twen“ höchstens noch „Bravo“ nachgerufen wird, fand bis jetzt keine Markterschließung großen Formats statt. Sie haben keine eigenen Zeitschriften — bis auf diejenigen, die sie sich in ihren Organisationen selbst machen. Was aber gemacht wird, sei hier kurz mit Auflagenhöhe, Seitenanzahl, Erscheinen, Format, Druck und Preis der einzelnen Nummern vorgestellt. Kurz, bündig und nach den vom Österreichischen Bundes-jugendring 1966 erstellten Daten:

• „Anstoß“, herausgegeben vom Evangelischen Jugendwerk. Auflage 5000; 32 Seiten; monatlich (außer Juli und August); Kleinformat; Buchdruck; S 4.—. Ein hauptberuflicher Redakteur, 60 bis 80 Mitarbeiter.

• „Aspekte“ (früher „blinkfeuer“), herausgegeben von der Katholischen Studierenden Jugend, KSJ. Auflage 3500; 24 Seiten; monatlich (außer August und September); Kleinformat (17 X 24); Buchdruck; S 3.50. Ein hauptberuflicher Redakteur, zehn freie Mitarbeiter.

• „Burschenwacht“, herausgegeben vom Mittelschüler-Kartellverband, MKV. Auflage 12.000; 12 Seiten; monatlich (außer Jänner, Juli und August); Großformat (21 X 30); Buchdruck; wird nicht verkauft. 18 Mitarbeiter, zwei Redaktionsleiter.

• „Magis“, herausgegeben von der Marianischen Studentenkongregation, MK. Auflage 1500; 28 Seiten; monatlich (außer Juli und August); Kleinformat; Buchdruck; S 3.—; wird aber nur an Mitglieder verkauft; elf Mitarbeiter.

• „Porträt — Brief an moderne katholische Mädchen, herausgegeben von der Mardanischen Studentenkongregation, MK. Auflage 800; 20 Seiten; monatlich (außer Juli und August); Kleinformat; Buchdruck; S 3.—; wird aber nur an Mitglieder verkauft; zehn Mitarbeiter.

• „Rote Taföl“, herausgegeben vom Verband Sozialistischer Mittelschüler, VSM. Auflage 8000; 16 bis 32 Seiten; monatlich; Kleinformat; Buchdruck; S 4.—; 15 Mitarbeiter.

Einige andere OBganisationszeit-schriften, wie „Aufbruch“, „Unser Weg“ (Pfadfinder), „Ausblick“ (ÖVP — Junge Generation) oder das „österreichische Kolpingsblatt“ wenden sich zwar auch, aber nur unter anderem, an höhere Schüler.

„Wir diskutieren“ ist die Zeitung ider Innsbrucker MK.

AUFFALLEND SIND DIE DIVERGIERENDEN Aufflagenhöhen, bei denen man vorsichtig sein muß, da es sich dabei nicht immer um eine zahlenmäßige Wiedergabe der Interessierten handelt. Stimmen dürften die Höhen von „Magis“ und „Porträt“, auch bei den „Aspekten“ machen Abonnenten die Zahl voll. Ein wenig zu hoch als Verkaufsziffer erscheint „Anstoß“, obwohl es noch im Bereich des Möglichen liegt. Bei der „Roten Tafel“ ist die Diskrepanz zwischen Käufern und Auflage offensichtlich — aber großzügige Schenkungen sind ja auch eine Absatzmöglichkeit. Ähnlich, wenn auch nicht adäquat, liegt die Sache bei der „Burschenwacht“, nur daß hier kein Verkauf vorgegeben wird.

DIE MANGELNDEN MÖGLICHKEITEN einer „groß aufgemachten“ Gestaltung macht gerade die „Kleinen“ zu Opfern der Verhältnisse und bereitet ihnen manche Pein. Der Trend zur Aufmachung ist auch hier unschwer zu erkennen; kann man doch feststellen, daß nur bei Ewei Blättern („Anstoß“ und „Aspekte“) Beschäftigte hauptberuflich arbeiten, dafür aber fast bei allen ein eigener Graphiker. Die Entwicklung der meisten Organe ist durch die Suche nach der rechten Form und dem eigenen Ton eine sehr wechselvolle. Nur traditionsbewußte Zeitungen machten eine solche Entwicklung nicht mit: die fast unveränderte „Burschenwacht“ und merkwürdigerweise auch die „Rote Tafel“ als konservatives „Revoluzzerblatt“. Beide bewahrten sich ihre symbolträchtigen Namen; beiden hielten inhaltlich und formal an seit langem praktizierten Gewohnheiten fest. Die „Burschenwacht“ als für Nicht-MKV-Mdtglde-der langweiliges und kaum lesenswertes internes Mitteilungsblatt, die „Rote Tafel“ als Kampfschrift im Taschenformat. Die Buben bekamen hier für ihre Frechheiten keine Verweise und mußten sich für begangene Dummheiten nicht „ins Winkerl stellen“, sondern durften sich beinahe wie ernstzunehmende Streiter der Partei geben und aus der „Narrenfreiheit der Kleinen“ heraus manches sagen, wofür sich „die Großen“ geniert hätten. Von der Überzeugung ausgehend, daß auch der Gymnasiast ein „zoon politikon“ sei, kamen sie zu der seltsamen Annahme, ein erfülltes Plansoll an politischer Polemik würde die Leser ebenso befriedigen wie die Schreiber ...

Aber es scheint, daß sich hier noch manches ändern dürfte. Die „Rote Tafel“ hatte in der letzten Zeit einige Ideen, die nicht neue Akzente setzten, aber aus dem allzu engen Rahmen fielen. Und in der Märznummer 1966 der „Burschenwacht“ konnte man von der neuen Redaktionsleitung den bemerkenswerten Satz lesen: „... Das MKV-Organ sollte mehr werden als ein internes Nachrichtenblatt, nämlich journalistische Heimstatt aller Fragen, mit denen uns unsere Prinzipien konfrontieren: Religion, Politik, Studium, Kartell...“ Es wäre schön, würde vor dem Kartell noch die Kultur ihren bescheidenen Platz finden, aber auch so kann man diese Überlegungen nur begrüßen. *

WEIT WENIGER RUHIG WAR die Entwicklung bei den anderen Zeitschriften. „Anstoß“ wurde beispielsweise für die eigenen Herausgeber ein derartiger Stein des Anstoßes, daß sich die Synodalausschüsse A. B. und H. B. sowie der „Evangelische Oberkirchenrat A. und H.B.“ in einer Sitzung im Jänner 1964 mit ihrer Zeitschrift beschäftigen mußten. Es wurde festgestellt, daß „Anstoß“ keinen Anspruch mehr erheben könne, eine evangelische Zeitschrift zu sein. Die Abberufung des verantwortlichen Schriftleiters und eine neue Zusammensetzung der Redaktion wurde gefordert. Was auch erfolgte. Inzwischen hat sich die Lage wieder konsolidiert, und „Anstoß“ einen neuen Aufschwung erhalten.

Etwa zur gleichen Zeit hatte auch das ehemalige „Blinkfeuer“ redaktionelle Umstürze zu verzeichnen, nachdem es seit rund acht Jahren keine sonderlichen Revolten gegeben hatte. Der Redakteur führte das Blatt — zunächst zur allgemeinen Zufriedenheit — in die Nähe lockerer journalistischer Aufmachung. Jung, frei, modern war der Slogan, „twen“ das Vorbild. Als sich diese Bemühungen aber auch auf den Inhalt abzuzeichenen begannen und in einer unliebsamen „Liebe“-Nummer ihren letzten Ausdruck fanden, zeigte die Führung der KSJ verständliicherweise dafür kein Verständnis. Die Wachablöse brachte eine Besinnung auf den Titel „bf — Blatt für denkende junge Menschen“; auf wirksame Aufmachung wurde weniger wert gelegt als auf den Inhalt. Der Umstand, daß ein Großteil der Leser die geistilge Kost nicht schlucken wollte, brachte den neuerlichen Wechsel in der Führung nach eineinhalb Jahren. Der Kurs wurde weich, die neue Chefredafcteurin und Graphikerin erwies sich in der Behandlung ihrer Leser als geschickter. „Blinkfeuer“ wurde in „Aspekte“ umgetauft und bekam ein neues Kleid. Es sollte nicht allzu anspruchsvoll sein, sondern gerne gelesen werden, und tatsächlich stieg die vormals abgesunkene Abonnentenzahl wieder an. Die Leser äußern sich zum Teil begeistert, scheinen also mit der neuen Linie einverstanden zu sein.

Die Marianischen Kongregationen mit der die KSJ durch lange Jahre hindurch das „Blinkfeuer“ herausgegeben hatte, lösten sich im November 1963 aus den Leserreihen, um annähernd ein Jahr später „Magis“ als (bf-nahe) Novität für die männliche MK hervorzubringen. Die Mädchen waren mit ihrem „Porträt“ aMerdfaigs schon lange emanzipiert ...

VERGLEICHT MAN DIE ORGANISATIONSZEITSCHRIFTEN an den Höheren Schulen mit der heimischen Studentenpresse, so kann man divergierende, prinzipielle Schwierigkeiten feststellen. Jene Organe wenden sich nicht an Studierende, die bloß um einige Jahre jünger sind als ihre Kollegen an den Universitäten. Der Niveauunterschied innerhalb der Oberstufenaltersgrenzen ist unvergleichlich größer als der zwischen studentischen Normalwerten. Es ist viel leichter, Studenten unter einen journalistischen Hut zu bringen. Für einen 15jährigen Gymnasiasten beispielsweise dieselbe Zeitschrift zh machen wie für einen 19jährigen, ist eine nahezu unlösbare Aufgabe, die man nur dadurch annähernd lösen kann, daß man sich für die mittleren Jahrgänge entscheidet und fallweise nach unten und oben Zugeständnisse macht.

Größer als bei Studentenzeitschriften sind hier die Schwierigkeiten mit Lesern und Mitarbeitern.

Die Leser sind äußerst kritisch, um nicht zu sagen überkritisch, und sind leicht zu ungerechtfertigten Urteilen bereit, von ausgegorenen Ansichten und Maßstäben ganz zu schweigen. Die Mitarbeiter sind meist selbst nicht allzu weit von der Altersstufe entfernt, für die sie schreibe; es besteht somit die Gefahr eines altklugen Dozierens, das den Ton des krampfhaft Über-den-Dingen-Stehenden charakterisiert.

Ein weiterer Unterschied zum Studentenschrifttuim ist die Art der Verbreitung. Sie werden nicht einfach am die ganze „Gemeinde“ ausgeschickt oder verteilt, sondern auf dem Abonnentenweg den Interessierten zugesandt oder höchstens von Hand zu Hand weitergereicht. Die relativ niedrigen Auflegen beschränken diese Aktionen auf natürliche Weise. Dem Studenten wird mit dem Hochschülerbeitrag auch sein Scherflein für die Zeitschrift „beitragend gemacht“. Die Organisationen an den höheren Schulen verlangen nicht einmal die Bestellung des eigenen Organs als Voraussetzung oder als automatisches „Anhängsel“ zur Mitgliedschaft. Wenn man hier nicht der Zwangsvorstellung unterliegt, die eigene Zeitschrift müsse für sich sprechen und die Interessenten zum Kauf bewegen, dann haben von Zeit zu Zeit auftretende Werbeepidemien den Abonnentenbestand wieder aufzuforsten.

Schließlich unterscheiden sie sich neben der Verbreitung auch durch ihre finanzielle Situation. Da sich keine der Zeitschriften selbst erhalten kann — was ihre Organisationen übrigens nicht erwarten —, bleibt nur noch die heikle Erage, wie hoch man ihren apostolischen oder propagandistischen Wert einschätzt. Investiert wird nur soviel, daß sich das Blatt noch gerade „über Wasser“ halten kann. Verbesserungen und Erweiterungen müssen mit

Inseraten erkauft werden. Und der Weg zu den Zeitungskiosken ist noch weit....

• UNREGELMÄSSIGES ERSCHEINEN;

• oftmaliger Wechsel der Redaktion und des Stils;

• Schwanken zwischen Magazin und Mitteilungsblatt;

• Frage nach hauptberuflichen oder ehrenamtlichen Kräften sind Schwierigkeiten, mit denen fast alle Zeitschriften an den höheren Schulen zu kämpfen haben.

Es zeigt sich immer deutlicher, daß der Anschluß an die „Großen“ erstrebt wird: die „Ehrenamtlichen“ kommen aus der Mode, ebenso die „Redakteure zwischen Tür und Angel“, die Linkshänder aus Prinzip oder Zeitmangel — man legt auch hier schon höhere Maßstäbe an und will Leistungen, die man auch entsprechend, das heißt iim Verhältnis der vorhandenen Mittel, au honorieren bereit ist. Das Magazin hat Vorrang vor dem in Verruf geratenen Mitteilungsblatt, mit dem man heute nur noch die wenigsten Schüler anlocken kann.

*

WORAN LIEGT ES, daß alle diese Zeitschriften — von den verschiedenen Schulzeitungen nicht zu reden — einen so kleinen, inferioren Eindruck machen?

Zum Teil liegt es am Geld, zum Teil an den oben erwähnten Umständen, die sich als prinzipielle Schwierigkeiten erweisen — zum Teil aber ganz einfach an Kurz-sichtlgkeit und falsch verstandenem Aktionswillen.

Die katholischen Zeitschriften huldigen einem unverständlichen Separatismus und leisten sich ein grotesk anmutendes Eigenbrötler-tum. Da gibt es die „Aspekte“ der KSJ, das „Magis“ der MK-Burschen, das „Porträt“ der MK-Mädchen und die Innsbrucker MK hat sogar eine „richtige“ Zeitung (das Doppelblatt „Wir diskutieren“), die MKV-„Bur-schenwacht“ der katholischen fer-bentragenden Studentenkorporaitio-nen, die Pfadflnderzertschriften, kurz: zusammen eine Auflage von mehr als 20.000 . .

Selbstverständlich gehen die Interessen nicht konform, die Intentionen der KSJ, der MK, des MKV sind verschieden; sind sie aber so weilt voneinander entfernt, daß sie sich nicht auf den Nenner einer gemeinsamen, repräsentativen ZeitschriCt bringen ließen, wobei die einzelnen Organisationen ihre Mitteilungea sozusagen als Anhang einlegen 'könnten? Aber es scheint jedem der Maikäfer in der eigenen Hand lieber zu sein als die Taube auf aäiea Dach; und diese These vertreten nicht nur die katholischen Vertreter dieser journalistischen Kleinkunst.

EINE GUTE, WIRKSAME ZEITSCHRIFT, die dem Studierenden das weltanschauliche und gesell* schaftliche I gagement erleichtert, Maßstäbe setzt und Ausbildungsstätte ist, hat mehr Bedeutung, ala man in den meisten Sekretariaten anscheinend zu glauben bereit ist. Oder müssen die kleinen Davids noch wachsen, bis man ihnen eines Tages die Schleuder gibt, um gegen den Goliath der Inferiorität siegreich kämpfen zu können?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung