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KPSp ohne Lenin: Rechnung mit vielen Unbekannten

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Der 1914 geborene Carrillo zählt heute schon zu den Veteranen des spanischen Kommunismus. Anfangs Sozialist, ließ er sich 1936, zu Beginn des Bürgerkriegs, bei den Kommunisten einschreiben und galt lange Jahre, eifrig unterstützt von den Sowjets, als verläßlicher Stalinist. Als dann während der fünfziger Jahre sein Gesinnungswandel offenbar wurde, stand er knapp vor der Exilierung aus dem Paradies der Werktätigen, bis ihn die offizielle Entstalinisierung des Jahres 1956 um so fester im Zentralkomitee der Partei verankerte. Wenig später, im Jahre 1960, war er Parteisekretär. Sein Prestige wuchs, die im Exil zelebrierten Parteikongresse (der VII. 1965, der Vlll. 1972) festigten sein Ansehen. Dann aber, nach dem Uberfall der Warschauer-Pakt-Staaten auf die Tschechoslowakei, begann Carrillo sich von der KPdSU, zu distanzieren und wurde mehr und mehr zum Wortführer des „Eurokommunismus“, eine Wortfindung, die er erstmals auf dem Kongreß der kommunistischen Parteien Europas in Berlin (197^) feierlich anwandte und die er in seinem Buch „Eurokommunismus und Staat“ 1977 des näheren erläuterte. (Dieses Werk entstand im Untergrund, kurz vor der Legalisierung seiner Partei durch die spanische Regierung.)

Trotz des offiziellen Verzichts auf bewaffneten Widerstand, auf die Diktatur des Proletariats und trotz des Bekenntnisses zu den demokratischen Spielregeln, konnte die spanische KP bei den allgemeinen Wahlen vom 15. Juni 1977 nicht mehr als 9,2 Prozent

aller Stimmen und 20 Abgeordnete in der Kammer gewinnen. Ein Drittel dieser Stimmen kam übrigens aus Katalonien, wo die KP als Partido Sociali-sta Unificado de Cataluna auf Autonomie und Eigenständigkeit pocht.

Im Verlauf des eher schwierigen Demokratisierungsprozesses in Spanien hat die KP des Landes bisher sowohl innere Disziplin wie auch politische Mäßigung bewiesen. Nach offiziellen Schätzungen verfügt Spaniens KP über ungefähr 200.000 militante Mitglieder, zum überwiegenden Teil Jugendliche, die seit 1970, also seit dem Rückzug Francos aus der Tagespolitik und der damit verbundenen Lockerung des autoritären Regimes, der ursprünglich noch illegalen Partei beigetreten sind.

Das freundliche Bild, das die KP der spanischen Öffentlichkeit darbot, erfuhr 1977 durch die interne Krise der Partei eine Trübung, die den schönen Schein zu vernichten drohte. Das begann mit dem Erscheinen des Buches „Memörias de Federico Sänchez“ von Jorge Semprün (Jahrgang 1923), eines preisgekrönten Werks, das mit enormen Auflagen Sensation machte.

Semprün, bekanntgeworden durch seinen Roman „El largo viaje“ (1963) und durch Filme wie „Z“ (1968) und „Stavisky“ (1975), war der KP 1943 im KZ Buchenwald beigetreten, wurde Mitglied des illegalen Zentralkomitees und revolutionierte'unter dem Pseudonym Federico Sänchez die spanischen Universitäten in den sechziger Jahren.

In seinem teils autobiographischem, teils historischem, teils romanhaftem Werk beschuldigt nun Semprün auf recht massive Art und Weise Carrillo des Opportunismus und der Intrige. Carrillo habe sowohl Semprün als auch seinen alten Freund, den „orthodoxen“ Kommunisten Fernando Claudio 1964 als „Revisionisten“ und „Gegenrevolutionäre“ denunziert, was deren Ausstoßung aus dem Zentralkomitee zur Folge gehabt habe. Den gleichen „Revisionismus“ verwirkliche jedoch Carrillo nunmehr mit seinem neuen Parteiprogramm.

Das Buch Semprüns erreichte eine erste Auflage von 110.000 Exemplaren und die Folge war die bereits erwähnte interne Krise der spanischen KP, erschienen doch nun alle Thesen des „Eurokommunismus“ in einem neuen, demaskierenden Licht, und dies unmittelbar vor Beginn des LX. Kongresses, auf dem die spanische KP dem bisher sakrosankten Leninismus in aller Form abschwören sollte. Kein

Wunder also, daß auf den vorbereitenden Regionalversammlungen, wo der „demokratische Zentralismus“ nicht so ohne weiteres durchgreifen konnte wie später in Madrid, die Wogen hoch gingen. Zahlreiche Gruppen aus dem stets rebellischen Asturien, aus Andalusien (mit seiner alten anarchistischen Tradition) und aus Katalonien (das sich zwar kultiviert gibt, jeglicher Neuerung aber hartnäckigen Widerstand entgegensetzt) traten in offene Opposition.

Relative Ruhe trat erst ein, als die KP mit ihrer „neuen Linie“ bei den Gewerkschaftswahlen triumphierte und 43 Prozent aller abgegebenen Stim-

men auf sich vereinen konnte, gegenüber den 27 Prozent der Sozialisten.

So konnte denn schließlich der IX. Kongreß planmäßig und in aller wünschenswerten Parteidisziplin über die Bühne gehen. Wie vorgesehen, gab es zahlreiche Delegationen aus dem Ausland, unter ihnen am auffallendsten die sowjetische unter der Führung des „Prawda“-Herausgebers Affana-siew, der nicht verabsäumte, der Uberbringung des „brüderlichen Grußes“ der Moskauer Genossen die Mahnung anzuschließen, Lenins Beispiel nie zu vergessen...

Carrillos diplomatisches Geschick wurde bereits bei der Verlesung seiner

Eröffnungsansprache offenbar. Lyrische Passagen galten dem kommunistischen Untergrund, Lobsprüche nagelten auf den König und auf den Ministerpräsidenten Suärez herab, harte Worte verurteilten die Sozialisten. Als dieses erstaunliche Statement mit 898 Stimmen gegen 37 (bei 51 Enthaltungen) angenommen wurde, konnte man die innere Krise der Partei als überwunden ansehen, nichts stand der Wahl des Zentralkomitees im Wege, in welches allerdings, altem kommunistischen Brauch zufolge, auch kooptiert werden durfte. Wie erwartet, wurde dabei die „Pasionäria“ Dolores Ibarruri (Jahrgang 1895) als Vorsitzende ebenso bestätigt wie Carrillo als Generalsekretär. Rund um das Zweigespann gruppieren sich nach wie vor sieben Veteranen aus dem einstigen Exil. Eine Zufuhr frischen Blutes erfolgte dann durch die Aufnahme der Gewerkschaftsvertreter ins Zentralkomitee, aus denen vor allem Nicolas Sartorius als Führungspersönlichkeit hervorragt.

Die 15 vom Präsidium vorgelegten Thesen“ wurden ohne größere Veränderungen angenommen. In ihnen bekennen sich die spanischen Kommunisten neuerlich zum demokratischen System und zur Duldung konfessioneller Privatschulen. Sie verstehen sich als laizistische Partei, die jedoch Glaubensüberzeugungen ihrer Mitglieder respektiert. (Was einer Anerkennung der „Cristianos por el socia-lismo“, der katholischen Marxisten, als vollgültige Kommunisten gleichkommt.)

These Nummer 15, die erst nach langem Tauziehen mit 968 Stimmen gegen 248 bei 40 Stimmenthaltungen angenommen wurde, lautet sinngemäß: „Die spanische KP ist eine marxistische, revolutionäre und demokratische Partei. Sie inspiriert sich an den Theorien über die soziale Entwicklung, wie sie von den Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus und der analytischen Methode, Marx und Engels, erkannt und festgelegt wurden. Die spanische KP erklärt zwar den leninistischen Beitrag zu diesem wissenschaftlichen System als weiterhin gültig und als integriert in ihr Gedankengut, wie den Beitrag anderer großer Revolutionäre auch, jedoch unter Voraussetzung, daß die im Leninismus enthaltene Restriktion nicht als die heute noch brauchbare Form des Marxismus gelten kann.“

Noch fällt es schwer, unter den IX. Kongreß der KP Spaniens einen Bilanzstrich zu ziehen. Zu der Schwierigkeit, eine oppositionelle Minorität überhaupt zu beurteilen, die ihr öffentliches Image zu „demokratisieren“ wünscht, kommen die Schwierigkeiten, die allein schon aus sprachlichen Doppelzüngigkeiten und zweideutigen Definitionen resultieren. Hat denn die Streichung des Wortes „Leninismus“ etwas mit dem Bekenntnis zum Marxismus zu' tun? Was hat die Verbindung der Wörter „revolutionär“ und „demokratisch“ zu bedeuten?

Die Basis der spanischen KP scheint den demokratischen Weg zur Macht anzuerkennen. Gilt dies aber auch für die kommunistischen Gewerkschaften? Da sie die Mehrheit innerhalb der Gewerkschaftsbewegung besitzen, dürfte diesbezüglich die Stunde der Wahrheit bald kommen. Verdankt das Zentralkomitee und verdankt das Exekutivkomitee, dessen Einfluß enorm zu sein scheint, seine Macht lediglich der erzielten Stimmenmehrheit? Eine Rechnung mit vielen Unbekannten, die auch während der nunmehr begonnenen Parlamentsdebatte über die neue Verfassung nicht aufgehen dürfte. 0

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