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Totaler Zusammenbruch der extremen Linken

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Gefangen in einer Ideologie, deren innerster Kern der unbezwingbare Drang zur Selbstvemichtung zu sein scheint, strebten seit Jahren einige der größten regionalen Organisationen der Kommunistischen Partei Schwedens einem Höhepunkt der inneren Auseinandersetzungen zu, an deren Ende nur der vollständige Zusammenbruch der Partei und das totale Chaos stehen konnten. Dieser Punkt wurde am 1. März 1977 erreicht; nach diesem Datum gibt es im Lager der Linken zwar noch ein halbes Dutzend Splittergruppen, aber es gibt keine KP von Bedeutung mehr.

Die KP Schwedens, die in einigen Monaten ihren sechzigjährigen Bestand hätte feiern können, war schon seit Jahren durch innere Auseinandersetzungen gelähmt. Die Hochburgen der Partei befanden sich seit jeher im hohen Norden des Landes. Die schwedischen und finnischen Bergarbeiter der Erzgruben von Kiruna und Malmberget waren die treue Avantgarde, die - durch Verfolgungen während der Kriegszeit zusammengeschweißt - seit jeher defi moskautreuen radikalen Unken Flügel bildeten. Ihr Sprachrohr war die Zeitung „Norrskensflamman”, deren Redaktion einmal von Rechtsextremisten niedergebrannt wurde, wobei es sogar Todesopfer gab. Dieser Vorfall löste verbissenen Trotz aus: Die nördlichen Provinzen waren die einzigen, die kommunistische Direktmandate in das Parlament entsenden konnten. Und dieser radikale Norden wandte sich in den letzten Jahren immer heftiger gegen die „Akademikerclique” in Stockholm, die einen von Moskau unabhängigen Kurs steuerte.

Nachdem Im Jahre 1964 die Parteiführung von Hilding Hagberg, dem Führer der nordschwedischen Grubenarbeiter, auf den Akademiker und politischen Schriftsteller Carl-Henrik Hermansson übergegangen war, bemühte sich die Führung der schwedischen KP, ein neuefe Image demokratischer Glaubwürdigkeit zu schaffen. Als jedoch 1968 Hermansson den Einmarsch der Sowjettruppen in die CSSR scharf verurteilte - er ging dabei, als einziger schwedischer Parteiführer, so weit, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion zu verlangen wurde die Stockholmer KP-Zentrale zur Zielscheibe harter Angriffe aus dęm Norden. 1976 kam es in den Provinzen Norrbotten und Västerbotten zu ersten Versuchen, eine separate radikalkommunistische Organisation zu schaffen. Am 1. März 1977 hat man nun in fünf Verwaltungsgebieten, in Malmö, Göteborg, im Mälartal und in den zwei nördlichsten Provinzen durch coupartige Aktionen versucht, die Führung der regionalen Organisationen in die Hand zu bekommen, um eine völlig neue Partei, die „Kommunistische Arbeiterpartei” (APK), auf die Beine zu stellen. Wie groß die Teile der alten Anhängerschaft sind, die von den Linksradikalen dabei mitgerissen wurden, ist zur Stunde noch unklar. Von der „alten” schwedischen KP haben sich im Lauf der letzten zehn Jahre zuerst der „Kommunistische Verband der Maoisten-Leninisten”, später die radikalen Maoisten, der Kommunistische Arbeiterbund, dann die „Schwedische Kommunistische Partei” und schließlich noch einige weitere Sekten abgespalten. Keine dieser Gruppen hat auch nur die geringste Aussicht, einmal ein Parlamentsmandat zu erringen. Durch die Spaltung aber vermindert sich auch für die Kommunisten überhaupt jegliche Chance, die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen, die Splitterparteien den Zugang zum Parlament verwehren soll. Ihr künftiges Schicksal hängt davon ab, ob die größte regionale Organisation, jene Norrbottens, sich der neuen Partei anschließt; damit würde die Stockhol mer Zentrale auch ihre einzige Tageszeitung, die „Norrskensflamman”, verlieren.

Die Bedeutung dieser Spaltung reicht weit über das Lager der Linken hinaus: Ohne die Stimmenhilfe der Kommunisten im Parlament hätte Olof Palme seit 1970 nicht mehr regieren können, und ohne ihre Unterstützung hat er kaum eine Chance, die Macht von der jetzigen bürgerlichen Einheitsfront zurückzuerobem. Nach letzten Wählerbefragungen hielt sich das Kräfteverhältnis zwischen rechts und links ziemlich genau die Waage. Eine Wahl würde also abermals zu einer Pattstellung im Parlament führen. Nun aber hat sich mit einem Schlage die Situation geändert: Die linkssozialistischen Kräfte in Schweden haben sich selbst das Grab gegraben.

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