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Bonn, Tel Aviv, Kairo

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Die Nahostpolitik der deutschen Regierung lieferte in den letzten Wochen der Weltpresse wenig schmeichelhafte Schlagzeilen.

Das Unglück begann mit der für Bonn überraschenden Einladung Ulbrichts durch Nasser am 27. Jänner zu einem Staatsbesuch nach Ägypten. Es war nicht der erste Besuch ostdeutscher Minister. Im Jahr 1959 war der Ministerpräsident der Ostzone Otto Grotewohl in Kairo gewesen. Damals hatte man sich in Bonn nicht sonderlich erregt. Hätte Bonn Ulbrichts Besuch nicht mit derselben Gleichgültigkeit hinnehmen können? Es wäre sicher das klügste gewesen. Die Bundesregierung hat sich jedoch aus innenpolitischen Gründen nicht dazu entschließen können. Jede Aufwertung Ulbrichts spielt nämlich in die höchst komplizierte Frage der Wiedervereinigung hinein. Hier aber hat sich die Bundesregierung durch jahrelange Propaganda selbst die Hände gebunden.

Seit Jahren wird die Wiedervereinigung nämlich aus innenpolitischen Gründen als das Zentralproblem der deutschen Außenpolitik behandelt. Da man in der Hauptsache nichts tut und wahrscheinlich auch nichts tun kann, so mußte man an der Peripherie aktiv werden. Das heißt: 1959 konnte man den Besuch Grotewohls noch hinnehmen. Gegen den Besuch Ulbrichts 1965 mußte man sich jedoch mit allen Mitteln zur Wehr setzen, um in einer Sache glaubwürdig zu bleiben, in der man sich gegenüber den afrikanischen und asiatischen Staaten ohnehin schwertut, es zu bleiben. Besaß diese Ausgangsposition noch eine gewisse Folgerichtigkeit, so ist inzwischen die Lage durch Ungeschicklichkeiten, von denen zwei wirklich schwerwiegend waren, so verschlechtert worden, daß die dadurch hervorgerufenen Schwierigkeiten die Grundfrage überdecken, wieweit nämlich die eigene Untätigkeit in der Wiedervereinigungsfrage nicht längst die Hallstein-Doktrin ad absurdum geführt hat. Die Hallstein-Doktrin besagt, daß mit keinem Land, mit Ausnahme von Rußland, diplomatische Beziehungen unterhalten werden, das mit Ostdeutschland solche unterhält.

Während Nasser, wie man heute weiß, offenbar den Ulbricht-Besuch zur Durchsetzung von Forderungen gegen die Bundesrepublik benutzen wollte, beging man in Bonn gleich zu Beginn den ersten grundsätzlichen Fehler, mit Einstellung der Wirtschaftshilfe zu drohen, falls Ägypten nicht seine Einladung an Ulbricht zurückziehe. Damit stellte man einen Zusammenhang her, der vom eigentlichen Problem, der Aufwertung des Ulbrichtschen Terrorsystems, ablenkte. Die Konsequenzen, die sich aus diesem Zusammenhang zwischen Wirtschaftshilfe und der Hallstein-Doktrin ergeben,scheint man in Bonn nicht begriffen zu haben.

Das bringt nun die deutsche Außenpolitik in ein schiefes Licht. Offenbar verläßt man sich in Bonn nicht mehr auf die Gültigkeit des moralischen Anspruchs, der einzige vom deutschen Volk in freien Wahlen legitimierte Vertreter zu sein, sondern darauf, durch Wirtschaftshilfen und dergleichen neben Ulbricht als der wesentlich attraktivere Partner zu gelten. Bei Nasser hat man nun erfahren, daß diese Art von „Diplomatie“ bei den freigebig von allen Seiten feilgebotenen Krediten ihre Grenzen hat. So ist man ratlos aus einem Dilemma in das andere gerannt, ließ sich bestimmen, einen Vertrag mit Israel über Waffenlieferungen nicht zu erfüllen, wertete Ulbrichts Besuch in einer Weise auf, wie das Nasser nie gekonnt hätte und wahrscheinlich auch nicht gewollt hat, verärgerte sich die arabische Welt und hat schließlich, um die vollständige Ratlosigkeit zu überwinden, den zweiten entscheidenden Fehler gemacht, indem man plötzlich erklärte, Israel anerkennen zu wollen. Die Anerkennung Israels aber ist eine ausschließlich die Bundesregierung angehende Angelegenheit. Darüber dürfte es keinen Handel geben. Indem man sie aber in der Regierungserklärung vom 7. März quasi zur Strafmaßnahme gegen den bösen Nasser deklassierte, unterhöhlte man die Hallstein-Doktrin und die damit zusammenhängende These von der Alleinvertretung Deutschlands durch die Bundesrepublik von einer anderen Seite. Mit dieser Erklärung wurde sie nämlich endgültig zum Handetsobjekt. Jetzt heißt es auf einmal in Kairo in Umkehrung der Hallstein-Doktrin, wenn Westdeutschland Israel anerkennt, erkennen wir Ostdeutschland an. Selbst wenn mit Israel die diplomatischen Beziehungen aufgenommen werden und die arabische Welt Ulbricht anerkennt, in welch verheerenden Zirkulus vitiosus hat uns diese Politik gebracht?

Nur muß man insofern gefecht sein, als das Debakel im Grunde nicht von Ludwig Erhard herrührt, so unverzeihliche Fehler er auch gemacht hat. Eine Initiative in der Frage der Wiedervereinigung ohne Anerkennung der DDR gehört zu den schwierigsten Problemen. Das ist auch der Grund, weshalb sich die SPD zurückhält, die überdies aus Vorliebe für Bundesaußenminister Schröder kaum eine Opposition in außenpolitischen Fragen wagt. Eine Patentlösung, mit der Westdeutschland mit einem Schlag aus allen Schwierigkeiten herauskäme, gibt es nicht. Zu lange haben alle Parteien in der Wiedervereinigungsfrage Phrasen gedroschen, als daß man jetzt ohne Vorbereitung zu einer nüchternen Politik zurückkehren kann.

Hier kann die CDU und hier können wahrscheinlich auch die anderen Parteien nicht zurück. Es zeigen sich hier die Gefahren einer unsicheren Haltung. Was für die Wiedervereinigung gilt, gilt auch für die Behandlung der Oder-Neiße-Linie und, wenn es nach Herrn Seebohm ginge, auch für die Sudetenfrage. Diese Wunschpolitik, die man auf die Devise bringen könnte: Immer darüber reden, aber nie darüber nachdenken, wird Deutschland über kurz oder lang in eine Isolierung bringen, von der, wenn nicht alles täuscht, Ulbricht entscheidend profitieren wird. Insoferne sind die Fehler der Nahostpolitik Erhards irrelevant. Sie haben nur einen Prozeß beschleunigt, der in dem Augenblick begann, als man die Bemühungen um die Wiedervereinigung durch Phrasen ersetzte. Heute steht nicht mehr die deutsche Nahostpolitik vor dem Zusammenbruch, sondern die ganze deutsche Außenpolitik.

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